Einen Computer hatte sich der 13-jährige Michael Näf im Jahr 1987 eigentlich nicht zu Weihnachten gewünscht. Doch beim Auspacken des unerwarteten Geschenks seiner Gotte wich die Verwunderung grosser Begeisterung. Und diese wuchs, je mehr sich der Junge mit seinem neuen Commodore 64 auseinandersetzt: «Zunächst habe ich vor allem gezockt – wie die meisten Jugendlichen», sagt Näf, als wir ihn an seinem Firmensitz beim Stauffacher in Zürich treffen. Doch schon bald habe sich sein Interesse verlagert: «Mich hat fasziniert, was man mit der grauen Kiste alles machen konnte.» Er probiert, tüftelt und experimentiert. Schliesslich entwickelt er sogar erste Programme. Unter anderem eines, mit dem er seine Schulnoten verwalten kann. Weil es das Internet von heute in den 1980er-Jahren noch nicht gab, konnte Näf nicht Google fragen, wenn er beim Programmieren nicht weiter wusste. Er brachte sich alles selber bei. «Das war zwar mühsam», sagt der heute 40-Jährige. «Aber meine Neugier hat mich stets vorangetrieben.»

Das entscheidende Erlebnis brachte das Jahr 2003, als der unterdessen studierte Informatiker mit Freunden ein gemeinsames Nachtessen organisieren will: Die Kumpels mussten unzählige E-Mails austauschen und mehrfach telefonieren, bis die Verabredung endlich stand. «Das war alles andere als effizient», erinnert sich Michael Näf. Deswegen habe er beschlossen, eine Lösung zu finden.

Die Idee: ein Programm im Internet, in dem die Freunde ihre Wunschtermine für alle sichtbar notieren können. Doch eine solche Applikation hatte Näf zuvor noch nie geschrieben. «Wieder musste ich mich zuerst einarbeiten und herausfinden, was überhaupt möglich war», so Näf. «Denn auch wenn mir kein technisches Meisterwerk vorschwebte: funktionieren sollte es schon.» Mehrere Wochen arbeitete er daran, opferte Wochenenden und Feierabende. Dies alles neben seiner Tätigkeit als Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH.

«Auch wenn mir kein technisches Meisterwerk vorschwebte: funktionieren sollte es schon.»Michael Näf

Das Nachtessen, das den Stein überhaupt ins Rollen gebracht hatte, ist längst vorbei, als die noch namenlose Web-Applikation schliesslich fertig wird. Doch Näf zögert, sie einzusetzen: «Ich wollte mein Programm niemandem aufdrängen.» Aber in der Schublade verschwinden lassen will er es auch nicht. Zum Testen kopiert Näf den Link zum Programm in eine E-Mail, als er mit Arbeitskollegen einen Termin vereinbaren will. Die Angeschriebenen sind begeistert. Denn der Termin ist schnell gefunden. Ebenso der Name für die Applikation: Doodle, das englische Wort für Gekritzel. «Das gefiel mir, weil es kurz, einprägsam und sympathisch ist», sagt Näf.

Sein Doodle bleibt zunächst ein privates Projekt. Aber immer häufiger greifen auch Personen ausserhalb seines Bekanntenkreises auf das Angebot zu – auch aus dem Ausland. Deshalb macht Näf sich daran, Doodle auszubauen. Bald schon gibt es die Applikation auch auf Englisch. Später übersetzen Freiwillige sie auch noch in andere Sprachen. Als Näf im Jahr 2006 eine neue Herausforderung sucht, beschliesst er, sein Hobby zum Beruf zu machen und den Terminplaner zu professionalisieren.

An seiner Seite: der Software-Architekt Paul Sevinç, mit dem er bereits an der ETH Zürich das Büro teilte. Gemeinsam gründen sie Anfang 2007 die Inturico Engineering GmbH, die ein Jahr später in die Doodle AG umgewandelt wird. «Mir war von Anfang an klar, dass ich Doodle nicht alleine stemmen will», erinnert sich Michael Näf. «Denn ich wünschte mir einen Sparringspartner, der meine Überlegungen kritisch hinterfragt und mich so antreibt, mein Bestes zu geben», erklärt er. Für ihre Firmengründung Geld von ihren Familien anzunehmen, kommt für die beiden nicht in Frage. «Zwar hätten die gerne gegeben; dies allerdings aus den falschen Beweggründen», so Näf. «Nicht, weil sie wussten, worauf sie sich einlassen, sondern einfach weil sie uns vertrauten. Wir wollten aber Investoren, die auch die Risiken kennen.» Deswegen finanzieren er und Sevinç das Start-up zunächst mit ihren Ersparnissen. Und das erfolgreich.

Bereits im Sommer 2007 schalten die beiden eine überarbeitete Version des Online-Terminplaners auf, die sich über Werbebanner finanziert. Neu lassen sich mit Doodle nun beispielsweise auch einfache Umfragen durchführen. Trotzdem sind Näf und Sevinç nach wie vor darauf bedacht, den Dienst möglichst einfach und benutzerfreundlich zu halten. «Wir wollten und wollen die Nutzer nicht belasten, sondern ihnen eine Hilfe sein», sagt Näf. Doodle müsse so einfach sein, dass jeder es auf Anhieb verwenden kann.

Von den Vorteilen des Online-Terminplaners überzeugt ist auch die Hochschule, an der die beiden Tüftler einst studiert haben. So integriert die ETH Zürich im Jahr 2007 Doodle als erste Institution überhaupt in ihren Online-Auftritt. Damit sollen Mitarbeitende und Studierende ihre Termine unter dem Signet der Hochschule vereinbaren. Seit Juni 2009 stellt Doodle diesen so genannten Premiumdienst auch anderen Institutionen und Firmen zur Verfügung.

Dass für die Entwickler nicht nur die eigenen Überzeugungen zählen, sondern stets auch die Anregungen von anderen willkommen willkommen waren, beweist der Besuch am Firmensitz: Hier sind die Mitarbeiter aufgefordert, zu notieren, welche Ideen unbedingt einmal umgesetzt werden sollten und was verbessert werden könnte. Auf der so genannten Kiss Goodbye-Liste hingegen landen Features, von denen man sich nach Meinung der Belegschaft trennen könnte. Regelmässig diskutiere und überprüfe das inzwischen 12-köpfige Team, welche Vorschläge angenommen werden sollen. «Was nicht überzeugt, fliegt raus», so Näf. Dieses Vorgehen helfe, das Angebot agil und à jour zu halten. Der Aufwand zahlt sich aus: Im Jahr 2008 stiegen eine Finanzgesellschaft und die Innovationsstiftung der Schwyzer Kantonalbank bei Doodle ein. Und Im Jahr 2010 machte die Firma erstmals Gewinn und die Zahl der Nutzer stieg auf über 6 Millionen. Zwei Jahre später doodelten bereits 15 Millionen Menschen rund um den Globus. Besonders beliebt ist Doodle im deutschsprachigen Raum, in Frankreich und in den USA. Ganz vorne: die Schweiz, Näfs Heimatland.

2011 hat das Medienhaus Tamedia eine 49-Prozent-Beteiligung an Doodle erworben. In den kommenden Jahren wird der Konzern die Mehrheit übernehmen und weiter in den internationalen Ausbau investieren. Gleichzeitig werden Michael Näf und sein Partner Paul E. Sevinç die operative Geschäftsführung abgeben. «Alle Projekte enden irgendwann. Der jetzige Zeitpunkt passt. Die Firma steht gut da, die Aufbauarbeit ist getan. Bei uns ist die Lust da, etwas Neues zu machen», so Michael Näf. Bereits seit dem 1. Februar verantwortet Michael Brecht als neuer CEO gemeinsam mit einem Team aus Doodle-Mitarbeitern das Management des Online-Dienstes.

Untätig wird Näf auch in Zukunft nicht sein. Auf formeller und informeller Basis unterstützt Michael Näf zudem mehrere Startups. Ganz uneigennützig ist er dabei nicht: «Es macht mir Spass, mich mit schlauen Leuten und spannenden Ideen auseinanderzusetzen.»

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende