Das Prunkstück des Telefonmuseums im thurgauischen Islikon gehörte einst Aga Khan, einem der reichsten Männer der Welt. Der grosse, fast ein Meter hohe und 164 Kilogramm schwere Metallkasten stand in seinem Ferienhaus in Gstaad: das Ipsophon, der erste vollautomatische Telefonbeantworter der Welt. «Eine Wundermaschine», schrieb die Presse. «Ein Telefon, das denkt und spricht.»

Dass das neuartige Gerät als «geniale Schweizer Erfindung» gepriesen wurde, war eine Folge des Zweiten Weltkriegs. Denn entwickelt wurde der Prototyp Ende der 1930er-Jahre von einem Deutschen: dem Elektrotechniker Willy Müller, der in München eine Firma für Apparateversuchsbau führte. Zwar hat ihm das Reichspostzentralamt in Berlin im Jahr 1942 die Bewilligung erteilt, das Gerät ans deutsche Telefonnetz anzuschliessen; aber aus Angst vor Bombenangriffen lagerte Müller den ersten und einzigen funktionstüchtigen Apparat lieber im Keller einer Münchner Brauerei. In seinen Erinnerungen mit dem Titel Mein Erfinder-Leben schreibt er: «Da ich schon damals an die internationale Vermarktung dieser Erfindung dachte, stellte ich an die Wirtschaftsgruppe Elektroindustrie in Berlin das Gesuch, dieses Gerät bei der Eidgenössischen Telefondirektion in Bern vorstellen zu dürfen.» Der clevere Erfinder wollte seinen Prototypen in der Schweiz in Sicherheit bringen. Sein Antrag wurde im September 1942 bewilligt, wie ein Schreiben, unterzeichnet mit der offiziellen Grussformel «Heil Hitler!», beweist.

Foto von Willy Müller, älterer Herr mit grauem Kurzhaarschnitt, verschmitzte Lächeln, Anzug.Telephonica.ch

Willy Müller.

Doch kaum war Müller samt Telefonbeantworter Anfang 1943 nach Bern gereist, gab es unerwartete Schwierigkeiten: Der deutsche Reichspostminister hatte erst jetzt von der Erfindung und der Ausfuhr des Prototypen erfahren. Er eröffnete gegen Müller ein «Verfahren wegen bewusster Industrieverschiebung». «Es wurde mir zur Auflage gemacht, innerhalb 14 Tagen 500 000 Schweizer Franken in Devisen an die deutsche Reichsbank einzubringen», schreibt Müller in seinen Erinnerungen. Auf den ersten Blick scheint das ein aussichtsloses Unterfangen. Doch nicht für den Erfinder, der schon früher in der Schweiz Geschäftskontakte geknüpft hatte. Mit Hilfe von Emil Bührle, dem Chef der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, liess sich die Angelegenheit regeln. Der Prototyp blieb in der Schweiz und wurde in Oerlikon für die Serienfabrikation weiterentwickelt. Dafür durfte Müller als «geheime Reichssache» jeden Monat für 14 Tage in die Schweiz reisen. Sein Labor in München betrieb er weiter. Doch es wurde durch Bombenangriffe 1943 und 1944 zweimal völlig zerstört. «Als der Zweite Weltkrieg dem Ende zuging, kehrte ich nicht mehr nach München zurück, da ich nicht gewusst hätte wohin», schreibt der Erfinder. Seit Frühjahr 1945 habe er seinen Wohnsitz in der Schweiz, sei aber deutscher Staatsbürger geblieben. 1946 gründete er in Küsnacht am Zürichsee die Firma Phonova und liess sich schliesslich in Zollikon nieder, wo er 1992 im Alter von 89 Jahren starb.

«Die Technik begleitete ihn bis zum letzten Atemzug», erinnert sich Peter Appoloni, der ihn gut gekannt hat. «Müller war der typische Erfinder, völlig besessen von seiner Arbeit.»

Am Museumsstück in Islikon lässt sich nachvollziehen, wie das Ipsophon funktionierte. Besonders auffällig sind drei grosse Spulenpaare; die so genannten Aufnahmewerke: eines für die Ansage und zwei für die eingehenden Mitteilungen. Auf den Spulen aufgewickelt wurde bis zu 1000 Meter magnetisierbarer Stahldraht. Darüber sind 71 Relais für die elektrische Steuerung angebracht. Gemäss Betriebsanleitung wurde ein Anrufer etwa so begrüsst: «Hier Ipsophon Meier & Co., Zürich. Ihre Mitteilung wird automatisch aufgenommen. Achtung… sprechen Sie bitte jetzt!»

«Erstaunlich ist, dass das Ipsophon von 1946 alle Funktionen besitzt, die ein heutiger Anrufbeantworter hat.»Arthur Kammer, Museumskurator

Jeder Satz werde wortgetreu aufgezeichnet, versicherte der Hersteller, räumt aber ein: «Antworten dagegen wird das Gerät nicht.» Erstaunlich sei, sagt Museumskurator Arthur Kammer, dass das Ipsophon aus dem Jahr 1946 bereits alle Funktionen besitze, die ein heutiger Anrufbeantworter habe. So konnte der Besitzer das Gerät nicht nur direkt vor Ort abfragen, sondern auch von jedem beliebigen Telefon aus. Das einzige, was er dazu benötigte, war ein Code; denn das Gerät war sogar schon passwortgeschützt. Auch das Überspringen von Leerstellen und das Fernlöschen war möglich – und dies alles bloss mit Draht und Mechanik. Warum der Erfinder nicht das damals schon bekannte Kunststoff-Tonband verwendet habe, wisse man nicht, sagt Kammer.

Telephonica.ch

Aus der Bedienungsanleitung des Ipsophon: «2 Telefonanschlüsse, 71 Relais für Funktionsablauf, 3 Spulenpaare Magnetdraht (50 m, 250 m, 1000 m)».

Aus Müllers Aufzeichnungen erfährt man hingegen, dass er 1903 im bayerischen Dorf Burgberg geboren wurde. Sein Vater war Malermeister. Nach einer Lehre als Elektrotechniker bei den Allgäuer Kraftwerken, arbeitete Willy Müller bei einer Firma, die Kleinstmotoren baute und profilierte sich bereits im Alter von 21 Jahren mit einer ersten Erfindung. Sie hiess «der lebende Strumpf», wie Müller in seinen Erinnerungen schreibt: «An einem Kunststoff-Damenbein wurde durch einen eingebauten Elektromechanismus ein seidener Damenstrumpf unsichtbar von der Ferse bis über das Knie auf- und abgezogen.» Das Reklame-Bein ging bald in Serienfabrikation und wurde in Modehäusern überall in Europa ausgestellt. Es folgte ein Flüssigkeitsmesser mit Zählwerk, wie man ihn heute an Tankstellen verwendet; ein elektrischer Autoheber, der von Rolls Royce gekauft wurde und eine erste elektromechanische Hebebühne. Seine Erfindungen stellte Müller unter anderem 1934 an der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin vor. Die Aussteller-Karte im Telefonmuseum zeigt das Foto eines jungen eleganten Mannes mit Hut und verschmitztem Lächeln.

Als Müller das Ipsophon 1946 der Presse vorstellte, machte er international Schlagzeilen. Das Time Magazine bezeichnete den «Schweizer Roboter» als «beinahe menschlich». «Eine extrem übergewichtige Sekretärin », kommentierte die britische Rundfunkanstalt BBC. In der Schweiz zählten das Warenhaus Jelmoli in Zürich und das Genfer Büro der Nachrichtenagentur Reuters zu den Kunden, die sich das teure Gerät leisteten. Jenes von Reuters war bis in die 1960er-Jahre in Gebrauch; allerdings begann der alternde Apparat damals die Benutzer zu tyrannisieren, wie sich ein Korrespondent erinnert. Musste man ursprünglich «Hallo, hallo!» in den Hörer rufen, um die Meldungen von einem öffentlichen Telefonapparat aus abzufragen, reagierte das Gerät später nur noch auf lautes Pusten. «Köpfe drehten sich, Leute schauten mich befremdet an und überlegten sich wohl, ob ich verwirrt oder gefährlich sei», erzählt der Korrespondent.

Obwohl Müller seine Erfindung während des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz retten konnte, lief nicht alles nach Plan. Die Patente auf dem Ipsophon wurden ein Jahr nach der Markteinführung von den USA als deutsches Feindvermögen beschlagnahmt. Doch auch davon liess sich der unermüdliche Erfinder nicht beirren. Er entwickelte ein neues Gerät, das viel kleiner und kostengünstiger war. Allerdings war es immer noch zu teuer, um in grosser Stückzahl verkauft zu werden. Dies schaffte erst das 1954 entwickelte vereinfachte Alibiphon, das aber nur eine Abwesenheitsmeldung weitergab. Innerhalb von zwölf Jahren wurden 100 000 Geräte verkauft.

Mit viel Energie arbeitete Müller weiter. Er beschäftigte junge Ingenieure und präsentierte als 70-Jähriger den weltweit kleinsten Anrufbeantworter mit Minikassetten. «Für ihn gab es keine Hindernisse», sagt Franz Ryser, der damals mit ihm zusammenarbeitete und ihn auch auf Reisen begleitete. So habe Müller beim Einsteigen ins Flugzeug zielstrebig die Treppe für Erstklasspassagiere benutzt, obwohl er nur ein Economy- Ticket besass. «Müller kam meistens ans Ziel und zwar schnell.» Er liebte den Erfolg und liess sich gern als Erfinder des Telefonbeantworters feiern. Noch im hohen Alter schmückte er an einem festlichen Anlass seinen Smoking stolz mit dem Bundesverdienstkreuz, das er 1984 erhalten hatte.

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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