Benedikt Meyer
Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Mit «Im Flug» hat er die erste wissenschaftliche Geschichte der Schweizer Luftfahrt geschrieben, mit «Nach Ohio» seinen ersten Roman veröffentlicht. Bei higgs erzählt er in der «Zeitreise» jeden Sonntag Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catherine Reponds tragischem Ende und von Henri Dunant bis zu Iris von Roten.
Uni Bern, 1908. Der Dozent räusperte sich. Nicht um für Ruhe zu sorgen, sondern um seine Stimme zu wecken. Am Samstagmorgen um 7.15 Uhr war auch Herr Einstein noch müde. Müde und etwas enttäuscht. An seiner allerersten Vorlesung hatten sich gerade mal drei Personen eingefunden. Zwei davon waren seine besten Freunde, gescheite Leute zwar, aber seinen physikalischen Ausführungen konnten sie bei weitem nicht folgen. Nein, auch drei Jahre nach Albert Einsteins Wunderjahr kam die Karriere des Physikers nicht so recht in Fahrt.
Vor zehn Jahren war Einstein als damals 16-Jähriger in die Schweiz gekommen. Er hatte in Aarau die Matura gemacht, später die Staatsbürgerschaft erhalten und dann an der ETH studiert. Dort wollte ihn allerdings keiner der Professoren fördern, also ging er nach Bern, wo er sich als Hauslehrer durchschlug, bis er eine Anstellung am Patentamt fand. 1904 heiratete er Mileva Maric, die Alberts Forschung entscheidend mit vorantrieb und im selben Jahr den gemeinsamen Sohn Hans Albert gebar. Dann folgte das «annus mirabilis» 1905.
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1905 schrieb Einstein seine Dissertation, dazu vier revolutionäre Artikel. Zur Lichtquantenhypothese, zum molekularen Aufbau der Materie, zur quantentheoretischen Erklärung der spezifischen Wärme fester Körper – und zur speziellen Relativitätstheorie. Und das alles in einer Phase, in der ihn sein Sohn um die Nächte brachte und er tagsüber als «ehrbarer eidgenössischer Tintenscheisser» Patentanträge überprüfte.
Einstein stellte die Physik auf den Kopf und einige Physikprofessoren nahmen das auch zur Kenntnis. Der grosse Durchbruch aber blieb fürs Erste aus. Daran änderten auch schlecht besuchte Vorlesungen nichts. Einsteins Ideen waren schwer verständlich und umstritten. Dass sein Stern schliesslich doch noch richtig aufging, lag zu einem guten Teil an einem Engländer namens Arthur Eddington. Der Astronom sah 1919 bei einer Sonnenfinsternis einen Stern leicht versetzt – und nur die Ablenkung des Lichts durch die Masse der Sonne konnte die Beobachtung erklären. Etwas, das Einstein mit seiner Relativitätstheorie vorhergesagt hatte.
In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wurde die erstmals in Bern verfasste Formel E = mc² zum Symbol für Genialität – und Einstein zum Popstar der Wissenschaft. Dass der Physiker zur Ikone wurde, lag aber auch einfach am richtigen Timing. Nach dem Horror des ersten Weltkriegs sehnten sich die Menschen nach einem Neuanfang und den verkörperte niemand so gut, wie ein pazifistisches Genie. Einstein surfte auf dem Boom der Massenmedien, von den Zeitungen übers Radio zum Fernsehen. Diese hatten an den schalkhaften Zitaten des Physikers mit der Strubbelfrisur ihre helle Freude.