Das musst du wissen

  • Forschende haben die Schneedecke und Vegetation in den Alpen oberhalb von 1700 Metern mit Satellitenbildern untersucht
  • Der Blick aus dem Weltall zeigt, dass die Alpen immer grüner werden – und gleichzeitig immer weniger weiss.
  • Problematisch dabei: Grüne Hänge reflektieren weniger Sonnenlicht, die Temperaturen steigen, noch mehr Schnee schmilzt

Berge per Satellit unter die Lupe genommen. Ein Schweizer Team hat zusammen mit niederländischen und finnischen Forschenden die Entwicklung der Produktivität von Pflanzen in den Alpen untersucht – so systematisch und umfassend, wie noch nie zuvor. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachzeitschrift Science. Zwei Professoren der Universität Lausanne, die daran beteiligt waren sind Antoine Guisan und Grégoire Mariethoz.

  • Sie erklärten, dass sie sich auf Satellitenbilder aus fast 37 Jahren stützten, die zwischen 1984 und 2021 aufgenommen wurden, um die Entwicklung der Schneedecke einerseits und der Vegetation andererseits zu untersuchen.
  • Sie interessierten sich für die Gebiete jenseits der Baumgrenze, oberhalb von 1700 Metern, und schlossen die Gletscher aus, die einen Sonderfall darstellen.

Grégoire Mariéthoz erklärt: «Dank der Landsat-Erdbeobachtungssatelliten, die eine über einen so langen Zeitraum unerreichte Auflösung von dreissig Metern pro Pixel ermöglichten, konnten wir schnelle Veränderungen der Landschaften beobachten.»

Sabine Rumpf, Professorin an der Universität Basel, die diese Forschung leitete, fügt hinzu:

«Die ersten Hinweise auf das Phänomen der Vergrünung von zuvor schneebedeckten Gebieten wurden zuerst in der Arktis entdeckt. In jüngerer Zeit wurden weitere Studien veröffentlicht, die sich lokal mit der Situation in den Alpen oder in Zentralasien befassten, aber keine über einen so langen Zeitraum und mit der Auflösung unserer Studie.»

Das Ergebnis ist eindeutig: In mehr als 77 Prozent der Alpen hat die Biomasse der Hochlandpflanzen in diesem Zeitraum deutlich zugenommen. Konkret wurde mit Hilfe der Satellitenbilder ein sogenannter «normalized difference vegetation index» (NDVI) berechnet, der eine schnelle Einschätzung der Vegetationsmenge ermöglicht. Antoine Guisan:

«Die Ergebnisse sind spektakulär. In früheren Studien wurde die Begrünung auf 56 Prozent geschätzt. Wir zeigen, dass diese Zahl in Wirklichkeit viel höher ist.»

Die Forschenden erklären, dass diese Trends auf den Klimawandel zurückzuführen sind, der die Wachstumszeit der Pflanzen verlängert und gleichzeitig die Niederschlagsmuster verändert: Aufgrund der steigenden Temperaturen steigt die Regen-Schnee-Grenze allmählich an, ebenso wie die Vegetation, die neue Gebiete besiedelt und sich nun weit über die Baumgrenze hinaus ausbreitet.

Die Forschenden führten auch statistische Analysen durch, um die Genauigkeit zu verbessern und alle Pixel in den Alpen zu berücksichtigen, wobei sie nur diejenigen auswählten, deren Vegetationsveränderung sie als signifikant einschätzten, erklärt Antoine Guisan, während es bis dahin üblich war, Pixel zufällig aus den Bildern auszuwählen. So konnte man sich unter anderem von der Wolkenbedeckung befreien, die das Lesen der Bilder manchmal erschweren kann. «Im Durchschnitt konnten wir für jedes Pixel zwei bis sieben auswertbare Bilder pro Jahr zurückbehalten», erklärt Grégoire Mariéthoz.

Alle Farben des Klimawandels. Mehr Grün also, aber auch weniger Weiss aufgrund des allmählichen Verschwindens der Schneedecke. Laut den von den Forschenden ausgewerteten Satellitenbildern hat die Schneedecke in fast zehn Prozent der untersuchten Regionen deutlich abgenommen. «Das mag ziemlich wenig erscheinen, aber das liegt daran, dass die Satellitenbilder keine Aussage über die Dicke der Schneedecke zulassen», erklärt Grégoire Mariéthoz.

Jenseits von Weiss und Grün kann es auch um Braun gehen. Denn in der Arktis hat das «Braunwerden» manchmal das «Grünwerden» abgelöst. «Das ist der umgekehrte Prozess des Grünwerdens, bei dem die Vegetation nicht mehr wächst, sondern absterben wird», veranschaulicht Sabine Rumpf.

«Das könnte auch in den Alpen passieren, aber es ist schwierig, die Zukunft vorherzusagen. Es ist zu beachten, dass diese Verbräunung nicht das vollständige Verschwinden der pflanzlichen Biomasse bedeutet, sondern dass sie abnimmt. Dies kann ein vorübergehendes Phänomen sein und es gibt immer spezialisierte Pflanzenarten, die dies überleben können.»

Alpine Ökosysteme unter Druck. Was bedeutet die Zunahme der Biomasse in den Hochlagen konkret für die alpinen Ökosysteme? Sabine Rumpf sieht das differenziert: «Der Klimawandel ist nicht per se gut oder schlecht für die Pflanzen. Er ist nicht schwarz oder weiss. Allerdings sind alpine Pflanzen an schwierige Bedingungen angepasst, aber sie sind weniger konkurrenzfähig als Pflanzen aus niedrigeren Lagen, die schneller wachsen und grösser werden. Sie könnten im Laufe der Zeit ersetzt werden.»

Da sich die Umweltbedingungen ändern, sind endemische Arten benachteiligt und laufen Gefahr, von der Konkurrenz verdrängt zu werden. Antoine Guisan sagt dazu:

«Die negativen Auswirkungen dieses Greenings überwiegen insgesamt die positiven Auswirkungen, wenn man den Verlust endemischer Arten und die Störung der Ökosysteme berücksichtigt.»

Die falsche gute Nachricht. Warum sprechen wir von positiven Effekten? «Man könnte meinen, dass mehr Vegetation auch mehr CO₂ bedeutet, das von den Pflanzen gebunden wird, aber was die alpinen Ökosysteme angeht, ist das ein bescheidener Beitrag», betont er. Sabine Rumpf stimmt zu:

«Das in Form von Biomasse gespeicherte CO₂ in den Höhenlagen der Alpen ist im Vergleich zu dem CO₂, das beispielsweise in einem tropischen Regenwald gespeichert wird, vernachlässigbar.»

Schlimmer noch: Wenn die schneebedeckten Gipfel allmählich durch saftige Wiesen ersetzt werden, könnte sich der Klimawandel noch weiter verschärfen. Der Grund dafür ist die Albedo – also die Energie, die im Verhältnis zur empfangenen Energie zurück ins All reflektiert wird –, die sich je nach Farbe der Oberfläche ändert. Weiss reflektiert das Licht stärker als Grün. «Dies wird die Erwärmung verstärken und im Gegenzug die Schneedecke und ihre reflektierende Wirkung verringern», betont Sabine Rumpf.

Aber das ist noch nicht alles: Grössere Pflanzenarten werden auch die Schneeverschiebung blockieren, was zu einer schnelleren Schneeschmelze und einer weiteren Verringerung der Schneedecke beitragen kann, so die Forschenden in ihrer Studie.

«Das Risiko ist natürlich auch wirtschaftlich, da weniger Schneedecke auch weniger Wasserressourcen bedeutet, ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf den Wintertourismus», schliesst Grégoire Mariéthoz.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von unserer Redaktorin Felicitas Erzinger aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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