Mit Antisemitismus verbinden viele unsere Nachbarländer «ännet de Grenze». Doch wie diverse historische Aufarbeitungen zeigen, machte das faschistische und nationalsozialistische Gedankengut auch vor der Schweiz nicht Halt. Nun hat die Historikerin und ehemalige Leiterin des Uni-Archivs Silvia Bolliger in ihrer Dissertation die Haltung der Uni gegenüber den migrierten Studierenden in der Zwischenkriegszeit untersucht. Dabei stellte sie «leicht antisemitische Tendenzen» fest.

Die Schweiz wies bereits im 19. Jahrhundert ein dichtes Netz von Unis auf. Nur: Es gab schlicht nicht genügend inländische Studierende. Deshalb wurden die Zulassungsbedingungen für gewisse Fächer gelockert. Ausländische Studierende schrieben sich vor allem an die medizinische und die rechtswissenschaftliche Fakultät ein. Auch Jüd*innen aus Deutschland, Polen und den USA kamen nach Zürich, um an der hiesigen Uni zu studieren. In den 1930er-Jahren kehrte sich die Uni dann aus Angst vor «Überfremdung» wieder von ihrer Politik der internationalen Anwerbung ab.

Numerus clausus gegen Jüd*innen

Der erste Schritt in Richtung offensichtlicher Fremdenfeindlichkeit erfolgte im Frühlingssemester 1933, als die Kanzlei der Universität erstmals die Konfession der Erstsemestrigen festhielt. Zuerst tat sie dies nur mit Bleistift, kurz darauf nahm sie die Angabe aber als festen Bestandteil im Immatrikulationsformular auf. Daneben bestanden weitere Diskriminierungen: Ausländische Studierende mussten über genügend Vermögen verfügen; gleichzeitig durften sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Gegen Jüd*innen richteten sich sogar noch weitere Verschärfungen: Die medizinische Fakultät führte angeblich aus Platzgründen einen Numerus clausus ein – de facto richtete er sich aber gegen Jüd*innen aus den USA. Dies, weil dort besonders viele Nachkommen von osteuropäischen Jüd*innen lebten.

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Trotzdem wurden Immatrikulationen weiter bewilligt – allerdings nicht aus humanitärer Überzeugung, erklärt Bolliger: «Es gab schon Einzelfälle. Professor*innen, die jüdischen Bekannten einen Forschungsaufenthalt organisierten und sie so vor der Willkür der Nationalsozialisten schützten.» Solche Taten stellten allerdings Ausnahmen dar: «Die Universitätsleitung wie auch die Profs waren mehrheitlich rechts eingestellt, die ganze Schweiz war dazumal sehr konservativ.»

Die ETH bezog politisch eher eine linke Position – obwohl sie dem Bund näher stand als die vom Kanton finanzierte Uni. Michel Plancherel, der damalige Rektor der ETH, hat sich der «Abschiebung» von Studierenden klar widersetzt. Obwohl die Uni der Fremdenpolizei zumeist diskussionslos Folge leistete, empfand auch der damalige Rektor Fritz Fleiner diese Massnahme als zu rigoros.

Nationalistische Studentenschaft

Die Diffamierung von jüdischen Studierenden ging jedoch über bürokratische Probleme und Scherereien mit der Fremdenpolizei hinaus. Auch ihr Alltag an der Uni war davon geprägt. Obwohl zum Umgang der Studierenden untereinander wenige Dokumente vorhanden sind, weiss Bolliger von individuellem Einstehen für jüdische Kommiliton*innen zu berichten. Daneben wurden aber auch andere Töne angeschlagen: «Die damalige offizielle Studentenschaft, die SUZ, war ganz klar nationalistisch geprägt», sagt Bolliger. Auch wenn die SUZ-Gremien offenen Antisemitismus nicht tolerierten, waren jüdische Schweizer*innen auf den Schutz von nicht-jüdischen Mitstudierenden angewiesen.

Verbale Attacken und kleine Tätlichkeiten

Nebst der SUZ gab es diverse weitere studentische Gruppierungen, die auf dem gesamten politischen Spektrum verortet werden können. So schaut auch diese Zeitung auf ein unrühmliches Stück faschistischer Geschichte zurück (aufgearbeitet in Ausgabe 4/18 der Zürcher Studierendenzeitung). Da der «Zürcher Student» als Sprachrohr der gesamten Studierendenschaft verstanden wurde, regte sich sehr schnell Widerstand gegen ihren faschistischen Einschlag. Die Marxistischen Studierenden veröffentlichten als Reaktion darauf mit «Der rote Student» eine eigene Zeitschrift. Diese Spannungen beschränkten sich aber auf polemische, ideologische Provokationen. «Ich wüsste von keiner Gruppierung, die sich öffentlich für jüdische Studierende eingesetzt hat», so Bolliger. Gleichzeitig gab es aber auch keine Hetzereien: «Es blieb meist bei verbalen Attacken und kleinen Tätlichkeiten. So störten Studierende der rechtsgerichteten Erneuerungsbewegung die sozialistischen Gruppierungen beim Verteilen von Flugblättern.» Es scheint also, dass bei den Studierenden ideologische Auseinandersetzungen fast mehr Raum einnahmen als Diskussionen über humanistische Werte und das politische Geschehen weltweit.

«Überrascht hat mich auch, wie verbreitet nationalsozialistisches und faschistisches Gedankengut an der Uni war», sagt Bolliger über die Ergebnisse ihrer Dissertation. Mit der zeitaufwändigen Sichtung von zahlreichen Protokollen und Dokumenten brachte sie Licht in ein dunkles, bis anhin unerforschtes Kapitel der Universität Zürich.

Eine Frage der Finanzierung

Die Uni selbst schien an dieser Aufarbeitung allerdings wenig Interesse zu haben. Zu Beginn von Bolligers Recherche hat die Universität ihr Finanzierungsgesuch abgelehnt. Die Historikerin zieht zur Erklärung der reservierten Haltung verschiedene Punkte in Betracht. Am Anfang wusste sie noch nicht, ob sie tatsächlich zu aussagekräftigen Resultaten kommen würde. Dazu sei das Thema wenig vielversprechend gewesen. Auf Nachfrage konnte sich die Uni nicht mehr an den Grund erinnern, der zur Ablehnung des Kreditantrages geführt hat.

Doch auch nachdem Bolliger die Dissertation fertiggeschrieben hatte, verhielt sich die Uni bei der Frage nach der Finanzierung der Publikation reserviert. Denn sie hätte die Arbeit nur finanziell unterstützt, wenn sie als Open-Access-Publikation erschienen wäre. Uni-Mediensprecher Kurt Bodenmüller begründete den Entscheid: «Einerseits ist Open Access das strategische Ziel der Uni und andererseits würden damit die Resultate der Studie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.» Allerdings: Eine Open-Access-Publikation wäre laut Bolliger mit rund 20’000 Franken teuer zu stehen gekommen. Da Bolliger dank der Förderung von jüdischen Stiftungen die Chance auf eine kostengünstigere Print-Ausgabe erhielt, entschloss sie sich für letztere Option.

Diese Finanzierungsgeschichte gewann an Brisanz, als das jüdische Wochenmagazin «Tachles» einen kritischen Artikel darüber veröffentlichte. 20 Tage später sah sich die Uni veranlasst, auf der hauseigenen Online-Plattform «UZH News» eine öffentliche Stellungnahme zu publizieren. Darin bedankte sich Hengartner bei Bolliger für ihre Arbeit. Ihre Dissertation sei von grosser Bedeutung: «Sie leistet einen Beitrag zur kritischen Selbstreflektion unserer Universität.»

In diesem Sinne ist der Blick zurück wohl auch einer nach vorne.

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