Das musst du wissen

  • Am 27. September stimmt die Schweiz über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge für sechs Milliarden Franken ab.
  • Welcher Flugzeugtyp gewählt wird, will die Regierung später entscheiden.
  • In den 1950er Jahren versuchte die Schweiz, Kampfjets selber zu bauen – und scheiterte daran.
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In den 1950er Jahren war das Militär in der Schweiz noch eine «heilige Kuh», kaum jemand stellte die «bewaffnete Neutralität» in Frage. Die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge sorgte aber trotzdem schon damals für hitzige Debatten, ja gar für Hohn und Spott. Wie kam das?

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Der Zweite Weltkrieg hatte die Bedeutung einer schlagkräftigen Luftwaffe deutlich aufgezeigt. Der Bund kaufte nach dem Krieg eine grosse Stückzahl ausländischer Kampfflieger. Um möglichst unabhängig zu sein, steckte er aber gleichzeitig Millionen in die Entwicklung eines eigenen Kampfflugzeugs. Es sollte selbstverständlich ein Jet werden, der die schnellere Antriebstechnik mittels Düsen anstatt Propellern nutzte.

Nach der Entwicklung zahlreicher Prototypen und langen Diskussionen in Kommissionen war es im März 1958 schliesslich soweit: Das Parlament bewilligte einen Kredit von 441 Millionen für den Kauf von 100 P-16. Doch der Traum vom eigenen Kampfflugzeug währte nicht lange. Sieben Tage nach dem Entscheid stürzte ein P-16 der Vorserie wegen Problemen mit der Hydraulik in den Bodensee. Der Testpilot konnte sich zwar mit dem Schleudersitz retten, die Empörung im Land war aber gross. Dies umso mehr, als bereits drei Jahre zuvor ein erster P-16 nach einer Störung der Treibstoffzufuhr im Bodensee versunken war. Der Bundesrat musste die Bestellung annullieren.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Es kursierten zahlreiche Witze zur Pleite mit den Schweizer Kampfjets: Ein Radiomoderator meinte zum Beispiel, es sei seines Wissens das erste Mal, dass das Parlament eine halbe Milliarde Franken zur Förderung des Pedalosports bewilligt habe.

Abstürze gehören zur Entwicklung

Seit diesem Fiasko ist die Entwicklung eines eigenen Schweizer Kampfjets vom Tisch. Was war schief gelaufen? Dass Prototypen ab und zu mal abstürzen, gehöre zu ihrem Daseinszweck, schreibt Roman Schürmann. Der Historiker widmete in seinem Buch «Helvetische Jäger – Dramen und Skandale am Militärhimmel» der missglückten Entwicklung des Schweizer Kampfjets ein eigenes Kapitel. Nicht nur Schweizer Flugzeugbauer, sondern auch ausländische Firmen hatten mit Abstürzen zu kämpfen. Die Satirezeitschrift «Nebelspalter» kalauerte nach der Annullierung der Bestellung: «Die frömde gheie vorderhand/Bim abegheie gäng ufs Land/Der hiesig gheit is gäng i See/Dasch nid erloubt bim EMD!» Das EMD war damals das Militärdepartement.

Schürmann sieht einen wichtigen Grund für das Scheitern in der Konkurrenz zwischen den privaten Flug- und Fahrzeugwerken Altenrhein und den staatlichen Flugzeugwerken in Emmen. Nach dem zweiten Weltkrieg erhielten beide Firmen für die Entwicklung eines eigenen Kampfflugzeugs Bundesgelder. Das Militärdepartment hoffte, dass der Wettbewerb das Geschäft belebe und man dann zwischen zwei Varianten auswählen könne. Dies sei aber ein strategischer Fehler gewesen, schreibt Schürmann, weil die sowieso schon bescheidenen Mittel so auf zwei Projekte verteilt wurden. Der Jet der Waffenfabrik Emmen wurde sogar noch vor dem P-16 fallen gelassen.

Robustes Flugzeug oder Jäger?

Einen weiteren Grund für das Fiasko sieht Schürmann in der Uneinigkeit der Militärs. In der Truppenordnung vom Jahr 1951 war die Rede von einem robusten Flugzeug für den Erdkampf, das die Schweiz benötige. Diese Forderung erfüllte der P-16, welcher zudem auf den kurzen Pisten in den Alpen starten und landen konnte. Mit der Zeit neigten aber mehr und mehr Militärs bis hinauf zum Militärminister Paul Chaudet zur Ansicht, dass die Schweiz einen schnellen Jäger brauche. Dieser sollte feindliche Kampfflugzeuge und vielleicht sogar Atomraketenabschussrampen im fernen Ausland angreifen können.

Der P-16 sei sicherlich keine Fehlkonstruktion gewesen, findet der emeritierte Geschichtsprofessor Hans-Ulrich Jost von der Universität Lausanne im Gespräch mit higgs. Der 80-Jährige beleuchtete die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg während seiner Karriere kritisch – und war selber Militärpilot. Mit Kampfjets kennt er sich also aus. «Es war damals ein fortschrittliches Flugzeug, das für den Einsatz in den Alpen geeignet war. Der Flieger war sicher so gut wie der britische Hunter, den die Schweiz dann kaufte.» Aber der Hunter sei eben preiswert gewesen.

Immer Ärger mit Kampfflugzeugen

Fortan sollte die Schweiz ihre Kampfflugzeuge stets im Ausland kaufen, und immer wieder gab es heftige Diskussionen. So führte in den sechziger Jahren die Anschaffung von französischen Mirages zu «einer der grössten Staatskrisen der Schweiz im 20. Jahrhundert», wie Jost vor ein paar Jahren in einer Zeitung schrieb. Das Militärdepartement überschritt die Kosten für eine Weiterentwicklung des Fliegers im Lizenzbau um Hunderte von Millionen Franken. Erstmals in der Geschichte der Schweiz wurde eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt, diese verlangte erfolgreich eine Reduktion der Bestellung von 100 auf 57 Flugzeuge.

1993 dann konnte die Regierung eine Volksabstimmung über die Anschaffung des amerikanischen F/A-18 noch gewinnen. Vor sieben Jahren scheiterte sie jedoch mit dem schwedischen Gripen am Nein des Volkes. Das ist auch ein Grund, weshalb, der Bundesrat die Bevölkerung am 27. September bloss noch über den Kreditrahmen von 6 Milliarden für neue Kampfflugzeuge befinden lässt. Welcher Flugzeugtyp gewählt wird, will die Regierung später entscheiden.

Abstimmung


Die Referendumsabstimmung über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge findet am 27. September 2020 statt. Stimmt das Volk zu, sollen bis 2030 neue Kampfflugzeuge für maximal sechs Milliarden Franken beschafft werden. Ausländische Unternehmen, die im Rahmen der Beschaffung Aufträge erhalten, müssen 60 Prozent des Vertragswertes durch die Vergabe von Aufträgen in der Schweiz (Offsets) kompensieren. Im laufenden Evaluationsverfahren sind die Flugzeugtypen Eurofighter (Airbus, Deutschland), F/A-18 Super Hornet (Boeing, USA), Rafale (Dassault, Frankreich), F-35A (Lockheed-Martin, USA) sowie die Systeme der bodengestützten Luftverteidigung SAMP/T (Eurosam, Frankreich) und Patriot (Raytheon, USA). Die neuen Kampfflugzeuge werden aus dem Armeebudget bezahlt. Sie sind eine Investition für mindestens 30 Jahre. Parallel dazu evaluiert der Bund zwei Boden-Luft-Verteidigungssysteme (Bodluv), die zwei Milliarden Franken kosten sollen und nicht Gegenstand der Abstimmung sind. Die heutigen Kampfflugzeuge und bodengestützte Luftverteidigung kurzer Reichweite sind laut Bund veraltet oder werden es bald sein.
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