Im Jahr 2009 wurde der erste Bitcoin geschürft, seither haben sich die virtuellen Wertmittel rasant verbreitet. Zurzeit werden weltweit über 3000 Kryptowährungen gehandelt. Gemeinsam hatten sie Anfang 2020 einen Wert von rund 250 Milliarden Schweizer Franken. Sie haben verschiedene Eigenschaften und Anwendungszwecke, doch drei Dinge haben fast alle gemeinsam: Sie basieren auf der Blockchain-Technologie, werden dezentral verwaltet und bewegen sich rechtlich in einer Grauzone. «Wer einen Bitcoin erwirbt, ist weder Eigentümer noch sonst in seiner rechtlichen Stellung geschützt», sagt Stephan D. Meyer, der an der Universität Zürich seine Doktorarbeit zur bestehenden Rechtsunsicherheit verfasst hat.

«Kryptowährungen stellen vermeintlich klar gezogene Grenzen bestehender Rechtsinstitute infrage.»Stephan D. Meyer

Es ist eine der ersten Forschungsarbeiten in der Schweiz, die sich vertieft mit dem Thema befasst. «Es handelt sich dabei um eine Art Grundlagenforschung», sagt sein Betreuer Harald Bärtschi, Leiter des Projekts «Virtuelle Währungen» an der ZHAW School of Management and Law. «Solche Forschung ist wichtig, um rechtliche Lösungen zu entwickeln und dabei das neue technische Phänomen mit den traditionellen Rechtsinstrumenten in Einklang zu bringen.»

Exklusiv beherrschbar, aber flüchtig

Die Schweiz solle zur «Crypto Nation» werden, forderte der ehemalige Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann vor zwei Jahren und sprach von «optimalen Rahmenbedingungen » für die Krypto-Finanzindustrie. Dazu gehört eigentlich auch eine klare Gesetzgebung, doch Kryptowährungen werden von keinem Gesetz voll erfasst: Sie existieren nur virtuell und ähneln somit Immaterialgütern, sie sind aber auch wie Sachen exklusiv beherrschbar und basieren, ähnlich wie gewisse Wertschriften, auf einem Register. Kontrollieren kann sie jedoch nur, wer über den privaten Schlüssel in Form einer Zahlen- und Buchstabenkombination verfügt. «Kryptowährungen stellen vermeintlich klar gezogene Grenzen bestehender Rechtsinstitute infrage», sagt Meyer. Er arbeitet inzwischen als Unternehmer an der Digitalisierung von Wertpapieren und ist Rechtsanwalt bei einer grossen Anwaltskanzlei, wo er auf die Blockchain-Technologie spezialisiert ist.
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Während Bitcoin als reines Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel konzipiert wurde, ist in den vergangenen Jahren eine Vielzahl neuer Werteinheiten entstanden, die nicht mehr nur als sogenanntes digitales Geld genutzt werden. Sie sind unter dem Sammelbegriff Krypto-Token bekannt und haben ohne die Währungen eine Marktkapitalisierung von über hundert Milliarden Schweizer Franken. Vergleichbar sind sie mit klassischen Wertpapieren, mit denen sich Forderungen und Mitgliedschaftsrechte übertragen und physische Güter- oder Immaterialgüterrechte beglaubigen lassen. Aber sie stehen rechtlich gesehen weitgehend im luftleeren Raum.

Wenig Schutz bei Delikten

«Die Probleme zeigen sich insbesondere in den Bereichen des Konkurs-, des Delikts- und des Erbrechts», sagt Stephan D. Meyer. Die Schwierigkeiten illustriert er an drei Beispielen. «Wenn ein Unternehmen in Konkurs geht, das für Dritte die Zugangsschlüssel zu Krypto- Tokens aufbewahrt, ist unklar, ob der Eigentümer die Zugangsschlüssel und mit diesen den Zugang zu seinem Vermögen herausverlangen kann.» Denn eine solche Aussonderung im Konkurs ist per Gesetz grundsätzlich nur bei körperlichen Sachen möglich.

«Im Moment sehe ich im Gesetzesentwurf zu den Krypto-Tokens keine grossen Lücken.»Mirjam Eggen

Auch im Fall von Delikten ist die rechtliche Lage unklar. Angenommen, ein Arbeitskollege löscht fahrlässig die Zugangsschlüssel und der Inhaber verliert damit den Zugang zu seinen Tokens unwiderruflich, dann kann dieser kaum Schadenersatz einfordern, da entsprechende Schutznormen fehlen. Offene Fragen sieht Meyer auch bei Erbfällen. «Denn wie soll damit umgegangen werden, wenn ein Erblasser Tokens vererbt, an denen er eigentlich keine Rechte besitzt?»

Meyer hat verschiedene Varianten geprüft, mit denen sich die rechtlichen Lücken schliessen lassen. Er plädiert am Ende für die Schaffung eines Spezialgesetzes, wie das Liechtenstein im Januar 2020 bereits eingeführt hat. «Die einzigartigen Merkmale von Krypto-Tokens könnten von einem Spezialgesetz am sinnvollsten erfasst werden», so Meyer. In den vergangenen zwei Jahren hat sich auch der Bundesrat mit diesen Gesetzeslücken befasst. Im November 2019 hat er einen Gesetzesvorschlag veröffentlicht. Ein spezielles Blockchain-Gesetz nach dem Vorbild Liechtensteins, wie es Stephan D. Meyer vorgeschlagen hat, will der Bundesrat aber nicht. Stattdessen schlägt er die Anpassung zahlreicher bestehender Gesetze vor. In Zukunft sollen Krypto-Tokens rechtlich ähnlich wie Wertpapiere behandelt werden. An die Stelle des Papiers tritt die fälschungssichere Datenstruktur der Blockchain, wo Vermögenswerte erfasst und Käufe und Verkäufe ohne traditionelle Banken oder Börsen online abgewickelt werden können.

Mirjam Eggen ist Professorin für Privatrecht an der Universität Bern. Sie wurde als Expertin für die Ausarbeitung des Vorentwurfs der Gesetzesvorlage konsultiert und war Mitglied in der Blockchain Taskforce Schweiz. «Den Gesetzesvorschlag des Bundesrats halte ich insbesondere im Bereich des Obligationenrechts für sehr gelungen», so Eggen. Man habe in der Taskforce die Schaffung eines Spezialgesetzes diskutiert, sei aber schnell davon abgekommen. Die schweizerische Gesetzgebung orientiere sich nicht an Sachthemen, deshalb gebe es auch kein «Internetgesetz» und kein «Tiergesetz». Die Einbettung in bestehende Gesetze sei sinnvoller. «Im Moment sehe ich im Entwurf keine grossen Lücken. Wenn sich aber die Technologie weiterentwickelt, wird man nachbessern müssen.»

Bleibt für Gerichte schwierig

Stephan D. Meyer bewertet den Vorschlag des Bundesrats kritischer. «Mit der Gesetzesanpassung werden nur jene Tokens rechtlich erfasst, die einem Wertpapier ähnlich sind. Virtuelle Währungen wie etwa Bitcoin und andere Werteinheiten bleiben mit wenigen Ausnahmen auf der Strecke.»

Stimmt das Parlament dem Gesetzesvorschlag so zu, würden in Zukunft die Unklarheiten bei Konkursfällen geregelt. Die fehlende rechtliche Erfassung und die offenen Fragen bei Delikten und Erbfällen blieben jedoch bestehen. «Der Bundesrat hat leider die Chance verpasst, eine ganzheitliche Einordnung solcher digitaler Güter vorzunehmen.» Die Gerichte, befürchtet Meyer, werden vor grosse Herausforderungen gestellt. «Ihnen kommt die Aufgabe zu, in ihren Urteilen gesetzliche Lücken zu füllen.» Weitere rechtliche Anpassungen seien zur Gewährleistung der Rechtssicherheit deshalb unvermeidlich. Insbesondere wenn die Schweiz ihren Ruf als attraktiven Krypto-Standort nicht verlieren wolle.

Horizonte Magazin

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