Bettina Büsser für «Edito», 20. April 2018

Er trete «die Flucht nach vorne» an, sagt Beat Glogger. Im Januar hat der langjährige Wissenschaftsjournalist die Plattform higgs.ch gestartet – und will vor allem sein «System higgs» dauerhaft zum Laufen bringen (siehe Interview weiter unten): eine Drehscheibe für Wissen, die Medien mit Inhalten aus der Wissenschaft beliefert.

Es ist dies ein weiterer Versuch Gloggers, mehr wissenschaftliche Inhalte in die Medien zu bringen. Seit Jahren beobachtet er einen «Abbau» im Wissenschaftsjournalismus. Wissensseiten seien aus vielen Zeitungen verschwunden, sagt er, zum Teil ersetzt durch «Gemischtwarenläden», die neben den Bereichen Leben, Lifestyle, Gesundheit auch noch den Bereich Wissen abdecken. Gerade noch vier Wissensredaktionen zählt Glogger in der Deutschschweiz: bei NZZ, «NZZ am Sonntag» und SRF, dazu kommt das gemeinsame Ressort von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung». Die noch bestehenden Kanäle für Wissenschaftsjournalismus müssten mit weniger Budget auskommen: «Vor gut zehn Jahren rechnete eine Redaktion pro Seite Wissen eine Stelle, heute sind es noch etwa 0,6 Stellen.»

Gloggers erster Anlauf startete 2009. Mit Unterstützung der Gebert Rüf Stiftung und der Stiftung Mercator Schweiz lancierte er ein erstes Projekt: Von 2009 bis 2016 lieferte seine Firma Scitec-Media «20 Minuten» wöchentlich eine fixfertig produzierte Doppelseite mit Texten aus dem Wissenschaftsbereich – gratis und auf die Pendlerzeitung zugeschnitten. Um die gesündesten Sportarten, die Vorliebe der Menschen für rotes Essen, schlaue Kleidung oder Früh-Physik ging es da etwa.

Die Beiträge der Stiftung – rund 350 000 Franken jährlich für Redaktion, Bild und Layout und Spesen – waren als Anschubfinanzierung gedacht und wurden jeweils zwei Jahre lang ausbezahlt. Alle zwei Jahre stellte Glogger wieder ein Gesuch, besuchte mit einem Vertreter der Stiftung «20 Minuten», hörte dort von Chefredaktor Marco Boselli und Geschäftsführer Marcel Kohler Lob für die Arbeit und die Qualität der Beiträge – und den Satz: «Aber bezahlen können wir nichts dafür.» Nach sieben Jahren kündigte die Stiftung ihre «Anschubfinanzierung» auf, Glogger suchte ein neues Finanzierungsmodell. Die erste Strategie, Finanzierung durch Inserate, klappte nicht; die damit beauftragte Akquisitionsagentur konnte nur rund einen Fünftel des notwendigen Budgets hereinholen.

«Die Hochschulen forschen zum grossen Teil mit öffentlichen Mitteln, also muss die Öffentlichkeit wissen, was sie tun.»Beat Glogger

Glogger schloss den Versuch mit «20 Minuten» ab und startete 2017 ein neues Projekt, wieder mit der Gebert Rüf Stiftung: Scitec-Media beliefert Regionalzeitungen wöchentlich mit einer Wissen-Seite. «Aargauer Zeitung» und «Südostschweiz» mit ihren Regionalausgaben sowie die Zürcher Regionalzeitungen von Tamedia nahmen das Angebot an. Später stiessen «Freiburger Nachrichten» und «Zürcher Oberländer» dazu – doch als es darum ging, für die Lieferungen zu bezahlen, winkten alle ab. Glogger hatte ein Modell entwickelt, nach dem die Zeitungen entsprechend ihre Leserzahlen hätten bezahlen müssen, im ersten Jahr nur einen Viertel des Betrags, den Rest hätte die Stiftung finanziert. So hätte das erste Jahr zum Beispiel für den «Zürcher Oberländer» 4500 Franken gekostet. Die Antwort: «Das können wir uns nicht leisten.» Glogger glaubt, dass das wirklich zutrifft. Nicht unbedingt für die Verlage – er weist etwa auf die Gewinne von Tamedia hin –, aber für Chefredaktoren und Ressortleiter: «Ihre Budgets sehen mittlerweile so aus, dass sie wirklich keine zusätzlichen Ausgaben ermöglichen.»

Also läuft das Modell mit den Regionalzeitungen Ende 2018 aus. «Wissenschaftsjournalismus ist für die Verleger ‹nice to have›», konstatiert Glogger. Er findet das nicht akzeptabel, denn für ihn ist Wissen Allgemeingut: «Die Hochschulen forschen zum grossen Teil mit öffentlichen Mitteln, also muss die Öffentlichkeit wissen, was sie tun.» Ausserdem sei Wissenschaft eine Grundlage des Wohlstands der Schweiz. Und darum gibt Glogger noch nicht auf, im Gegenteil: Er hat higgs.ch gestartet, will eine Stiftung aufbauen. Und ist wieder einmal auf der Suche nach Geld für Wissenschaftsjournalismus.

«higgs ist mein Lebenswerk»

Im Januar hat Ihre Firma Scitec-Media higgs.ch lanciert. Was ist higgs?

higgs.ch ist eine Wissens-Plattform, aber nicht nur. Es ist ein neues Mediensystem. Higgs bespielt eigene Kanäle, online, auf Social Media, und es bietet Live-Talks. Vor allem aber ist es ein Content-Partner: Wir beliefern derzeit blick.ch, nau.ch und Passenger TV, «Blick am Abend», «Zürcher Oberländer», «Freiburger Nachrichten» sowie «Aargauer Zeitung» und «Südostschweiz» mit ihren Regionalausgaben mit Inhalten aus der Wissenschaft. Wir produzieren jede Woche eine grosse und eine kleine Geschichte, dazu News, und bespielen jeden Kanal mit dem ihm adäquaten Inhalt.

Warum erhalten die Abnehmer die Inhalte gratis?

Wenn wir den Medien die Inhalte nicht gratis liefern, werden sie nicht publiziert, das hat sich in den letzten Jahren gezeigt. Es gab sogar schon Abnehmer, die angedeutet haben, wir sollten eigentlich für den Platz, den wir für unsere Inhalte brauchen, bezahlen. Und als ich unseren Talk «Wissenschaft persönlich» TeleZüri angeboten habe, hat man mir gesagt, dass die Ausstrahlung uns pro Ausgabe 4 000 Franken kosten würde. Dafür suche ich jetzt einen Sponsor.

Wie wird das Angebot von higgs finanziert?

Für dieses Jahr erhalten wir noch rund 340 000 Franken von der Gebert Rüf Stiftung, die uns bereits früher unterstützt hat. Wir lassen aber viel mehr raus und meine Firma investiert gewaltig viel Geld. Ab 2019 müssen wir uns selbst finanzieren. Nachdem die Versuche mit einer Finanzierung durch Inserate beziehungsweise durch die Abnehmer gescheitert sind (siehe Lauftext), wollen wir nun eine gemeinnützige Stiftung, «Wissen für alle», gründen, die dann der Scitec-Media ein Mandat für den Betrieb von higgs erteilt.

Weshalb eine Stiftung?

Durch die Stiftung ist higgs von den Geldgebern entkoppelt. Wir fragen mögliche Industriepartner, Hochschulen, andere Stiftungen und die öffentliche Hand um Unterstützung an – ich führe fast ununterbrochen Gespräche – und natürlich haben alle potentiellen Unterstützer ihre Interessen. Wenn das Geld in eine Stiftung fliesst, neutralisieren sich die Interessen. Ausserdem werden wir so einen Stiftungsrat und eine Aufsicht haben, die darauf schauen, dass wir uns an unsere Richtlinien halten.

Wie argumentieren Sie gegenüber potentiellen Geldgebern?

Ich argumentiere mit dem Standort Schweiz, dem hohen Bildungsstand, der aufrechterhalten werden muss, dem Fachkräftemangel und dem Mangel an Studentinnen in den MINT-Fächern sowie an Ingenieuren. Wir müssen junge Leute ansprechen, ihr Interesse an diesen Themen wecken. Via die verschiedenen Kanäle kommen alle Publika von Alt bis Jung in Kontakt mit unseren Inhalten, wir haben eine Reichweite von über einer Million Personen. Auf Facebook erreichen wir ein eher weibliches Publikum und ein Peak liegt bei den 25-Jährigen.

Die Inhalte von higgs.ch werden auch via «Blick am Abend», nau.ch, blick.ch gratis verteilt. Das ist heikel: Journalismus ist Arbeit, das muss kosten.

Ja, unsere Arbeit ist etwas wert. Doch ich habe mich der Gratiskultur ergeben. Natürlich finde ich das nicht gut. Aber letzte Woche hat das Massachusetts Institute of Technology eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass Fake News siebenmal schneller um die Erde gehen als Fact News. Wenn ich will, dass meine Fact News attraktiv sind, damit sie auch um die Erde gehen, kann ich nicht sagen: Sie kosten aber.

higgs.ch ist werbefrei, aber es findet sich dort auch Paid Content.

Ja. higgs.ch ist ja als Kachelsystem gestaltet, und es gibt zwei Sorten von «Partnerkacheln». Das eine sind Paid-Content-Kacheln. Im Moment ist es die Kachel «Das Ding», dort weisen Schweizer Museen auf ihre Ausstellungen hin. Paid Content ist eine Möglichkeit, Einnahmen zu generieren, die wir brauchen. Bei uns ist alles klar ausgewiesen und transparent, und wir stellen im Moment Ethik-Richtlinien zusammen. Wie viel Paid Content darf es geben? Wer kommt überhaupt in Frage? Philip Morris oder Novartis sicher nicht. Bei Museen und Hochschulen sehe ich kein Problem. «Partnerkacheln» sind auch diejenigen, die wir für Inhalte zur Verfügung stellen, die wir nicht selber finanzieren können. Der erste Versuch ist die Videoserie «Atlant & Arin» des freien Wissenschaftsjournalisten Atlant Bieri. Er macht Experimente für Kinder. Sein Programm finanziert er selber mit einer Stiftung. Wir bieten ihm die Plattform.

higgs soll auch mehrsprachig werden.

Ziel ist es, dass die Artikel in allen Landesteilen erscheinen und deshalb in alle Landessprachen übersetzt werden, auch ins Rätoromanische. Wir wollen die zentrale nationale Drehscheibe für Wissen werden. Das ist mein Lebenswerk.

Wie viel Geld braucht Scitec-Media, um das System higgs zu betreiben?

Wir brauchen 400 000 Franken im Jahr, um nicht zu sterben. Aber eigentlich ist es mehr, denn wir recyclen auf higgs.ch Geschichten, die bereits in den Regionalzeitungen erschienen sind, und verwenden Storys aus unserem Buch «Zürcher Pioniergeist». Rechnen wir das dazu, liegen wir bei ungefähr 900 000 Franken pro Jahr. Ich will aber die Anzahl der Geschichten pro Woche erhöhen, damit wir auch «20 Minuten» wieder beliefern können. Zurzeit geht das nicht, denn wir müssen ihnen andere Geschichten anbieten als dem «Blick am Abend». Mit dem Ausbau kommen wir auf rund 2 Millionen Franken.

Bis Ende Jahr erhalten Sie noch Geld von der Gebert Rüf Stiftung – wenn die neue Stiftung nicht zustande kommt, ist es aus.

Es ist Kamikaze. Wenn es nicht klappt, muss ich meine Leute entlassen. Wir starten ohne Kapital, ich schiesse 100 000 Franken ein. Doch der Zeitpunkt ist gut, Medienkrise und Fake-News-Offensive haben ein neues Bewusstsein geschaffen. Das ist die Chance, deshalb riskiere ich so viel.

Mit Scitec-Media für mehr Wissenschaftsjournalismus

Beat Glogger, diplomierter Naturwissenschaftler, war 14 Jahre lang beim Wissenschaftsmagazin MTW des Schweizer Fernsehens tätig, als Redaktor, Moderator und zuletzt Redaktionsleiter. Danach arbeitete er als Korrespondent von SF und freier Wissenschaftsjournalist in Zentralamerika. 2003 gründete er seine Wissenschaftskommunikations-Firma Scitec-Media in Winterthur. Sie liefert journalistische Inhalte, aktuell an verschiedene Zeitungen und Online-Medien. Scitec-Media nimmt auch Kommunikationsaufträge an, vor allem Publikationen für Hochschulen. Es sind wirtschaftliche Gründe, die für die Kommunikationsaufträge sprechen: «Die Honorare dafür liegen gut und gerne um den Faktor zwei höher als diejenigen für Journalismus», so Glogger.

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