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Michael Butter ist Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Uni Tübingen. Das Interview mit ihm entstand im Rahmen der Talk-Reihe «Wissenschaft persönlich».

Michael Butter, was haben Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, gemeinsam?

Es sind häufig Leute, denen es selbst gut geht, die sich aber um das Land sorgen. Sie haben das Gefühl, es werde immer nur noch schlimmer.

Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Männer werden generell stärker angesprochen. Dies, weil sich ihre Rolle in der Gesellschaft stark verändert hat – dadurch fühlen sie sich bedroht und suchen Halt. Noch vor wenigen Jahrzehnten stand ein weisser Mann der Arbeiterklasse in Amerika relativ weit oben in der sozialen Hackordnung, selbst wenn er wenig Geld hatte. Er stand über Frauen, über Schwarzen, über Latinos, über Asiaten. Dann gab es einen Schwarzen als Präsidenten, und später beinahe eine Frau. Das erschütterte ihr Weltbild. Generell glauben Männer eher an grosse politische Verschwörungstheorien, Frauen eher an solche, die den eigenen Körper betreffen, beispielsweise im Zusammenhang mit Impfen oder Chemtrails.

Welchen Einfluss hat Bildung?

Ob jemand einen Hochschulabschluss hat oder nicht, spielt keine grosse Rolle. Was er studiert hat, jedoch schon. Wenn Sie Naturwissenschaften oder Ingenieurswissenschaften studieren, arbeiten Sie in einem Feld, in dem es sehr mechanistisch zugeht. Alles hat eine Ursache, und lässt sich erklären. Das übertragen Sie auf die Gesellschaft. Wenn Sie hingegen Psychologie studieren, wissen Sie, dass vieles nicht so klar ist. Die Welt und vor allem die Menschen sind nicht so planbar wie eine Maschine. In diesem Licht erscheint es logisch, dass sich Architekten und Ingenieure eher stark machen für die 9/11-Verschwörungstheorie als Soziologen und Psychologen. Ich sehe das auch bei den Rückmeldungen, die ich selbst erhalte. Darunter sind viele Naturwissenschaftler und Ingenieure.

Flüchtlinge warten auf den Bus in ein Flüchtlings-Camp in Dobova, Slowenien.Alamy

Die Theorie vom «grossen Austausch» besagt, dass die Flüchtlinge von geheimen Mächten instrumentalisiert würden, um die europäische Bevölkerung durch Muslime zu ersetzen.

Gerade die Theorie vom «grossen Austausch», die Behauptung also, dass momentan ein grosser Plan laufe, die europäische Bevölkerung durch Menschen aus islamischen Ländern zu ersetzen, findet grossen Anklang bei populistischen Bewegungen. Das ist kein Zufall, oder?

Einen direkten Zusammenhang, dass jemand, der eine populistische Partei wählt, gleichzeitig auch an Verschwörungstheorien glaubt, gibt es nicht. Aber es gibt Parallelen. Beide neigen dazu, tendenziell konservativ zu sein. Im Sinne von: Eine Ordnung ist bedroht oder schon abgeschafft worden, und jetzt soll sie bewahrt oder wiederhergestellt werden. Das ist im Kern auch Trumps Botschaft «Make America Great Again». Weiter reduzieren sowohl die Verschwörungstheorie als auch der Populismus ein komplexes politisches Feld, wo viele Akteure mit vielen verschiedenen Interessen agieren, auf ein simples System: Ihr seid die Verschwörer, wir sind die Opfer. Der Populismus sagt alles einfach etwas allgemeiner. Also zum Beispiel: Die Eliten sind korrupt und wollen sich auf Kosten des Volkes bereichern. Die Verschwörungstheorie sagt: Die sind nicht einfach korrupt, die sind Teil eines grossen, bösartigen Plans.
Ich habe eine Doktorandin, die untersucht das bei den rechtspopulistischen Bewegungen in Deutschland, Pegida und AfD. Es zeigt sich: Verschwörungstheoretiker können zusammen mit Populisten auf die Strasse gehen, und schreien: Angela Merkel muss weg. Die einen glauben, Merkel sei Teil eines grossen Systems, die anderen halten sie einfach für unfähig. Insofern sind populistische Bewegungen sehr gut darin, Verschwörungstheoretiker und Nichverschwörungstheoretiker zu vereinen.

Michael Butter im Live-Talk «Wissenschaft persönlich».Johanna Bossart

Michael Butter im Live-Talk «Wissenschaft persönlich».

Sie entlarven Verschwörungstheorien, treten prominent auf in Interviews und treten gegen Gegner mit vielen Tausend Fans an. Leben Sie gefährlich?

Ich denke nicht, dass mir etwas passiert. Es gab schon manchmal unangenehme Anrufe. Mittlerweile stehe ich nicht mehr im Telefonbuch. Böse Emails erhalte ich immer noch viele – ich sei Expertenhure, Feind der Wahrheit, Leute wie ich hätten den Holocaust möglich gemacht. Was man halt so liest.

Lässt Sie das kalt?

Ich zucke mit den Schultern und lege die Nachrichten im Ordner «Verschwörungsmails» ab. Das Material kann ich gut für meine Vorträge brauchen. Viel mehr trifft es mich, wenn ich Emails von betroffenen Angehörigen erhalte, etwa wenn Eltern sagen, ihr Kind sei inspiriert von irgendwelchen Theorien nach Paraguay ausgewandert und habe das gesamte Vermögen der Familie in Gold getauscht, um es vor der Regierung zu schützen. Solche Schicksale beschäftigen mich.

Gibt es eine Verschwörungstheorie, bei der Sie selbst schwach werden?

Hach. Es gibt Momente, wo ich glauben möchte, dass die Amerikaner ein Alien im Keller haben. Weil ich es einfach spannend finde. Und ich neige dazu, alles zu glauben, was über die FIFA geschrieben wird…

Serie

Die Macht von Verschwörungstheorien


Im ersten Teil dieses Interviews liest du, wie sich Verschwörungstheorien widerlegen lasse und warum trotzdem viele Menschen an sie glauben. Ausserdem, was Verschwörungstheorien mit Religion zu tun haben und wie sich mit ihnen Geld verdienen lässt.

Buchtipp

«Nichts ist, wie es scheint»
von Michael Butter
edition suhrkamp
ISBN 978-3-518-07360-5
Fr. 25.90

Wissenschaft persönlich

«Wissenschaft persönlich» ist ein Live-Event, in dem Gäste aus der Wissenschaft nicht nur über Fakten reden, sondern auch über sich selbst – über ihre Begeisterung, ihre Niederlagen und ihre Träume. Der rund einstündige Talk findet regelmässig statt.
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