Das musst du wissen

  • Die Biodynamik ist eine Anbaumethode, die ihre Ursprünge in der spirituellen Vision der Anthroposophie hat.
  • In der Westschweiz wird die Methode immer beliebter. Die meisten distanzieren sich jedoch von der spirituellen Doktrin.
  • Wissenschaftlich ist unklar, wie effizient die Biodynamik im Vergleich zum ökologischen und konventionellen Anbau ist.

Warum wir darüber sprechen. In der Westschweiz gibt es immer mehr Anhänger der biodynamischen Landwirtschaft, vor allem im Weinbau. Die Stadt Lausanne hat kürzlich erklärt, dass sie diese Form der Landschaftspflege für ihre Parks und Grundstücke verwendet. Daraufhin entbrannte eine hitzige Debatte in den sozialen Netzwerken, an der sich auch einige Wissenschaftler beteiligten. Dabei ging es um den esoterischen Aspekt bestimmter Praktiken und die Verbindung der Biodynamik zur Anthroposophie.

Die anthroposophischen Ursprünge. Die Biodynamik wurde vor fast einem Jahrhundert vom österreichischen Okkultisten Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie, entwickelt. In dieser spirituellen und esoterischen Philosophie ist die materielle Welt der geistigen Welt untergeordnet und es wirken Geister, Kräfte und Energien aus der Erde und dem Kosmos.

Sie reicht in viele Bereiche hinein, von der Pädagogik bis zur Medizin, und erfährt deshalb regelmässig Kritik aufgrund

  • ihrer pseudowissenschaftlichen Natur – das heisst, sie stellt sich als wissenschaftlich dar, ohne es zu sein,
  • des Verdachts auf sektiererische Entgleisungen, insbesondere in Ländern wie Frankreich,
  • einer bestimmten Auffassung von Medizin. Das ist im Rahmen von Konsultationen in konventionellen Krankenhäusern, wie in Fribourg, nicht schädlich, kann aber vor allem im Hinblick auf eine gewisse Coronaskepsis gefährlich werden, die aus Steiners Theorien resultiert.
  • Allzu oft geht sie auch mit einer Verweigerung der Impfung einher. Mehrere Steiner-Schulen standen in letzter Zeit im Zentrum von Masernepidemien, insbesondere in Biel 2019 und in den Vereinigten Staaten.

Kritik der Biodynamik. Die Biodynamik fusst auf der spirituellen Vision der Anthroposophie: So etwa die Bearbeitung des Bodens und der Pflanzen nach den Mond-, Planeten- und Sternenzyklen oder die Entwicklung von Präparaten, die den Boden energetisieren sollen. Dies beispielsweise durch die Herstellung des Hornkieselpräparats, gemäss der Webseite des biodynamischen Labels Demeter: Quarz wird zu Pulver reduziert und in das Horn einer Kuh gefüllt, das während des Sommers vergraben wird. Während dieser Zeit sei der Einfluss der Planeten und Fixsterne auf die Erde besonders stark, ist auf der Webseite weiter zu lesen. Gegenüber heidi.news wollte das Demeter-Label zu diesen Präparaten keine Stellung nehmen.

Zwar wird die Biodynamik von den Kritikern der Anthroposophie nicht direkt ins Visier genommen. Doch die Verbindung zu den anthroposophischen Denkweisen sorgt regelmässig für Kontroversen, sei es wegen des Weinbaus oder der öffentlichkeitswirksamen Präsenz.

Die Meinung eines Soziologen. Laurent Cordonier ist Soziologe an der Universität Paris-Diderot und forscht über soziale Wahrnehmung. Er sagt:

«Ich finde es bedenklich, dass die Universität Lausanne ihren Namen mit einer esoterischen Praxis in Verbindung bringt, die in bestimmten Aspekten eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt. Nicht die Biodynamik selbst, aber die Anthroposophie dahinter und die Anti-Impf-Bewegungen, die manchmal damit verbunden sind. Die Universität verbindet man mit Qualität und Seriosität und hier unterstützt sie etwas, das dort nichts zu suchen hat.»

Der Soziologe bedauert auch die Verwechslung mit der ökologischen Landwirtschaft:

«Die Konsumenten, mit denen ich sprechen konnte, wissen in der Regel nicht, was hinter der Biodynamik steckt, nämlich Anthroposophie oder esoterische Praktiken. Sie wird hauptsächlich als eine weiterentwickelte Form von Bio oder als Qualitätssiegel gesehen. Für die Produzenten eröffnet sich dadurch natürlich ein Markt.»

Der Pragmatismus der Winzer. Der Religionsanthropologe Alexandre Grandjean, der in Lausanne seine Dissertation über die Etablierung der Biodynamik bei Winzern in der französischen Schweiz schreibt, stellt seinerseits fest, dass die Verbindung zur Anthroposophie vor allem in Stiftungen wie Perceval oder La Branche vorhanden ist, die grosse Ländereien und Flächen bewirtschaften. Allerdings relativiert er die Verbindung ausserhalb dieser Stiftungen:

«Die Etablierung der Biodynamik in der Westschweiz ist hauptsächlich das Werk von alternativen Praktikern und ihren agronomischen Beratern – jeweils relativ losgelöst von Steiners Originalschriften. Das zeigt sich ganz deutlich bei den Anwendungen der Biodynamik im Weinbau. In der Tat ist der landwirtschaftliche Betrieb für Steiner als ‘lebender Organismus’ konzipiert, polykulturell und autark. Die Winzer hingegen betreiben Monokultur und vor allem produzieren sie ein alkoholisches Getränk, das laut der Anthroposophie nicht notwendig ist.»

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Die meisten Winzer distanzieren sich weitgehend von der Doktrin:

«Die Winzer haben ihre eigenen biodynamischen Praktiken entwickelt, indem sie diese von Steiners anderen Schriften abgegrenzt haben. Von den vierzig Winzern, die ich für meine Diplomarbeit treffen konnte, hat nur einer offiziell behauptet, Mitglied der Universellen Anthroposophischen Gesellschaft zu sein. Er war auch derjenige, der ihr am kritischsten gegenüberstand, wie es oft bei Menschen innerhalb religiöser oder spiritueller Institutionen der Fall ist.»

Wie wirksam ist die Biodynamik? Die von uns befragten Anwender der biologisch-dynamischen Landwirtschaft führen ihrerseits die Angriffe auf mangelndes Wissen zurück. Natacha Litzistorf, Direktorin für Wohnen, Umwelt und Architektur der Stadt Lausanne, erklärt:

«Es ist normal, Zweifel zu haben, wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das wir nicht kennen oder nicht verstehen. Ich kann Sie beruhigen, die Stadt Lausanne hat nichts mit Esoterik am Hut! Es geht uns vor allem darum, einen ökologischen Ansatz zu verwirklichen, der es uns ermöglicht, die Umwelt besser zu schützen, indem wir auf Zusätze verzichten. Tatsache ist, dass es in unserer Praxis funktioniert.»

Nur gibt es kaum wissenschaftliche Daten über diesen angeblichen Effizienzgewinn. Die angesprochenen Biodynamiker verweisen auf einige mögliche Erklärungen, wie beispielsweise die Arbeit von Ernst Zürcher über den Einfluss des Mondes, oder andere Arbeiten, die die biodynamische Landwirtschaft als bodenschonender darstellen. Meistens sind es aber die eigenen persönlichen Erfahrungen, die vorgetragen werden. Philibert Frick, ein Winzer, der Steiners Prinzipien der Biodynamik anwendet, bezeugt:

«Als ich die Kurse über Biodynamik belegte, erschien es mir esoterisch und unmöglich es wissenschaftlich zu beweisen. Auf der anderen Seite waren einige der Lehrer Bauern, die mit beiden Füssen auf dem Boden stehen. Sie sagten mir: Ich weiss nicht, wie ich es Ihnen erklären soll, aber es funktioniert.»

Natacha Litzistorf sagt dazu:

«Manche Menschen sehen diese Praktiken als wissenschaftlich an, andere verbinden sie mit ihrer Spiritualität, und wieder andere vielleicht als Esoterik. Aber wie sie ihre Praxis leben, bleibt ihnen überlassen. Was uns in Lausanne interessiert, ist der pragmatische Ansatz.

Unsere Mitarbeiter konnten ihre eigenen empirischen Tests durchführen, um zu sehen, was am besten funktioniert und die biodynamischen Präparate und Praktiken wählen, die für sie am meisten Erfolg haben. Dadurch konnten wir den Einsatz von Zusatzmitteln und Pestiziden stark reduzieren.»

Dabei erinnert Laurent Cordonier daran, dass solche persönlichen Erfahrungen nicht auf die gleiche Stufe gestellt werden können wie eine Studie, die auf einer wissenschaftlichen Methode basiert. Es gibt so viele Mängel – kein Vergleich mit einem Kontrollexperiment, keine statistische Analyse zur Messung der Wirksamkeit – dass man nicht zwischen einem möglichen kausalen Zusammenhang und einem einfachen Zufall unterscheiden kann:

«Ohne strenge Methodik ist es unmöglich, etwas zu folgern. In unserem Fall sind es also psychologische Gründe, die die Landwirte dazu bringen, die Biodynamik für effektiv zu halten. Man bietet ihnen eine Methode und Produkte mit diesem Wirkungsversprechen an, ohne dass es nachgewiesen ist. Dann ist es für den Landwirt leicht, ein gutes Jahr auf die ihm zur Verfügung gestellten Produkte und ein schlechtes Jahr auf externe Faktoren zu schieben.»

Was sagt die Wissenschaft? In der Schweiz wurden zwei Versuche durch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL durchgeführt.

  • Der erste, DOK genannt, ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Agroscope. Seit 1978 vergleicht er die konventionelle Landwirtschaft mit der biologischen und biologisch-dynamischen Landwirtschaft und testet sie mit all ihren Merkmalen wie Bodenbearbeitung, Zusatzmittel und so weiter. Der Test läuft noch weiter, aber eine erste Studie, die 2002 in Science veröffentlicht wurde, zieht eine Bilanz über die Erträge der drei Ansätze. Die biodynamische Landwirtschaft erzielte ähnliche Erträge wie die ökologische Landwirtschaft, die etwa 20 Prozent unter denen der konventionellen Landwirtschaft lagen. Aktuelle Ergebnisse zeigen zudem, dass biodynamische Ackerböden weniger Lachgas ausstossen, als konventionell bewirtschaftete Böden.
  • Um gewisse Einschränkungen im Design des vorherigen Versuchs zu überwinden, hat das FiBL 2002 einen zweiten Versuch in Frick gestartet. Bei diesem Versuch wird zwischen den verschiedenen Zusatzmitteln von Düngung und Bodenbearbeitung unterschieden. Der Schwerpunkt wurde auf biodynamische Präparate gesetzt, darunter der oben erwähnte Hornkiesel. Die letzten Ergebnisse, die 2020 veröffentlicht wurden, zeigten: Diese Präparate hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Qualität des Bodens und überhaupt keinen auf die Erträge, wie die Projektleiterin Maike Krauss bestätigte.

Das Schlusswort. Die Biodynamik hat sich teilweise von ihrem anthroposophischen Erbe gelöst. Der spirituelle Ansatz und die sich daraus ergebenden Praktiken haben jedoch einen pseudowissenschaftlichen Beigeschmack, ohne klar nachgewiesene Wirksamkeit, aber mit guten Marketingargumenten.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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