Wirkt der neue, teurere Blutverdünner besser gegen Herzinfarkte? Lindert das Bewegungsprogramm die Nebenwirkungen der Krebsbehandlung? Ob eine gute Idee in der Praxis bestand hat, kann nur eine klinische Studie beantworten. Doch davon werden in der Schweiz immer weniger durchgeführt.

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Gemäss der Heilmittelbehörde Swissmedic hat sich die Zahl hierzulande zwischen 2003 und 2018 von rund 350 auf unter 180 fast halbiert. «Mit ein Grund ist sicher auch das komplizierte regulatorische Umfeld», sagt Christiane Pauli-Magnus, Co-Leiterin des Departements Klinische Forschung an der Universität und dem Universitätsspital Basel. In der Schweiz muss jede Studie von mindestens einer von sieben Ethikkommissionen bewilligt werden – manche zusätzlich auch von Swissmedic.

Forschende beklagen die grosse Zahl verschiedener Ansprechpartner und das fehlende Augenmass bei den bürokratischen Vorgaben. Viele fordern, dass die Vorgaben flexibler an das jeweilige Risiko angepasst werden können, damit Studien weniger komplex, günstiger und auch offener für innovative Ansätze werden können.

«Ohne ein Vollzeitprojektmanager ist das Risiko zu scheitern extrem hoch.»
Christiane Pauli-Magnus, Departement Klinische Forschung, Universität und Universitätsspital Basel

Peter Kleist, Geschäftsführer der kantonalen Ethikkommission Zürich, glaubt hingegen nicht, dass die Bürokratie das Hauptproblem ist – nicht einmal die hiesige kantonale Kleinstruktur. Er selbst hat auch schon klinische Studien für die Pharmaindustrie durchgeführt und findet: «In der Schweiz geht es nicht bürokratischer zu und her als anderswo.» Problematisch seien vielmehr unzureichende Planung und mangelndes Qualitätsbewusstsein.

Kleist und Pauli-Magnus sind sich einig, dass den Clinical Trial Units (CTU) an den Schweizer Universitätspitälern eine wichtige Rolle zukommt. Sie beraten und unterstützen die Forschenden bei ihren Vorhaben. Um die Ethikkommissionen zu entlasten, könnte sich Kleist vorstellen, dass es für Forschende zur Pflicht wird, ihre Studie bei einer CTU zu akkreditieren. «Dazu müssten sie allerdings viel umfassendere Kompetenzen haben», so Kleist.

Die reine Zahl der Studien steht für Pauli-Magnus, die auch die Basler CTU leitet und die Swiss Clinical Trial Organisation präsidiert, jedoch nicht im Vordergrund: «Wir brauchen vor allem mehr randomisierte, kontrollierte Studien.» Damit meint sie Studien, bei denen Patienten zufällig einer von zwei Gruppen mit unterschiedlicher Behandlung zugeteilt werden.

«Der Organisationsaufwand randomisierte Studien ist hoch. Deshalb getrauen sich nur ganz wenige daran», sagt Pauli-Magnus. Sie können nicht neben dem klinischen Alltag bewältigt werden. «Ohne ein Vollzeitprojektmanager ist das Risiko zu scheitern extrem hoch.» Die grösste Hürde dabei ist, genug Patientinnen zu gewinnen. «Etwa ein Drittel der randomisierten Studien wird abgebrochen, ein Grossteil wegen schlechter Rekrutierung», so Pauli-Magnus.

Wie schwierig es ist, eine gute Studie auf die Beine zu stellen, zeigt das Programm für Investigator Initiated Clinical Trials des Schweizerischen Nationalfonds. Nur drei von 18 Projektanträgen erfüllten die strengen Kriterien und wurden 2019 gefördert. So konnten die klinischen Forschenden nur gut ein Drittel der zur Verfügung stehenden zehn Millionen Franken abholen.

«Für junge Ärztinnen ist es oft schwierig, Zeit für die Forschung zu finden.»Pierre-Yves Bochud, Infektiologe, Universitätsspital Lausanne

In der Schweiz sind Patienten von der guten medizinischen Versorgung verwöhnt. Um sie zum Mitmachen zu bewegen, sollten die Studien für sie relevanter werden. Pauli-Magnus plädiert deshalb dafür, Patientinnen schon in die Planung einer Studie miteinzubeziehen. Ihnen mag zum Beispiel die die verbesserte Lebensqualität wichtiger sein als die gewonnene Lebenszeit.

Ein grosses Problem ist auch das akademische Anreizsystem an den Universitätskliniken: viel Leute arbeiten hart für wenige Fachartikel und das alles fast nebenbei. Pierre-Yves Bochud, Infektiologe am Universitätsspital Lausanne erklärt: «Für junge Ärzte ist es oft schwierig, Zeit für die Forschung zu finden.» Sie seien zu stark in den Behandlungsalltag eingespannt. «Sie sollten auf nachhaltige Weise für die Forschung reservierte Zeit erhalten, nicht ausschliesslich auf Projektbasis.»

Horizonte Magazin

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