Benedikt Meyer


Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Mit «Im Flug» hat er die erste wissenschaftliche Geschichte der Schweizer Luftfahrt geschrieben, mit «Nach Ohio» seinen ersten Roman veröffentlicht. Bei higgs erzählt er in der «Zeitreise» jeden Sonntag Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catherine Reponds tragischem Ende und von Henri Dunant bis zu Iris von Roten.

Es war ein Oktoberabend, recht warm noch, und vor der Stadtmauer grasten die Kühe. Die Sonne senkte sich über den Jurahöhen und das letzte Licht überzog die roten Sandsteintürme des Münsters mit Gold. Etwas tiefer schob sich der Rhein um die Kurve, in den Hinterhöfen schmatzten die Schweine und in den Wirtshäusern taten es ihnen die Gäste beim Abendessen gleich.

Dann geschah alles gleichzeitig. Die Erde schütterte, Stein krachte, Balken barsten, Häuser neigten sich und von den Stadtmauern stürzten die Zinnen. Kurz darauf lag Staub in der Luft, gellten Rufe durch die Gassen und über allem läutete eine ins Schwingen versetzte Kirchenglocke. Mit verschreckten Gesichtern, mit Kindern oder eilig zusammengerafftem Zeug im Arm hasteten die Menschen aus der Stadt.

Die Nacht brach ein und Feuer aus. Übergesprungen von verlassenen Herden und zerschlagenen Öllampen. Gegen Mitternacht wurde Basel von einem zweiten Beben erfasst: grösser, schwerer, heftiger als das erste. Krachend kollabierten die Münstertürme, der Chor fiel zusammen und die Stadtmauer brach an mehreren Stellen ein.

Das Morgengrauen enthüllte die Verwüstung. Teile der Stadt lagen in Trümmern, andere brannten und dritte waren überschwemmt, weil Schutt den Birsig über die Ufer gedrückt hatte. Acht Tage dauerte es, bis die Feuer gelöscht waren – und trotzdem hatte Basel Glück. Weil das Vorbeben die Menschen aus der Stadt getrieben hatte, waren nur etwa hundert Tote zu beklagen. Für das Hauptbeben werden heute Kräfte von 6.1 oder mehr vermutet. Es soll bis nach Prag und Paris spürbar gewesen sein.

Die Katastrophe hinterliess ihre Spuren in weitem Umkreis. Oberhalb von Aesch hatte sich der Fels unter der Burg «Dry Esche» gespalten und ein Teil der Feste war in die Tiefe gestürzt. Noch in Bern, im Nordelsass und im Burgund hatten einzelne Gebäude Schaden genommen.

Basel erlebte schwierige Zeiten. Denn nach der Pest 1349 und dem Beben 1356 suchte 1417 ein grosser Stadtbrand Basel heim. Nach so viel Unglück ist es verständlich, dass die Basler dann 1474 auf Nummer sicher gingen, als sie beobachteten, wie ein Hahn ein Ei legte. Bevor daraus ein gefährlicher Basilisk schlüpfen konnte, der die Stadt wohl vollends zerstört hätte, wurde der Hahn geköpft, seziert und mitsamt seinem Ei verbrannt.

Digital in die Vergangenheit


Dieser Beitrag erschien erstmals auf dem Blog des Schweizerischen Nationalsmuseums.

Der Blog des Schweizerischen Nationalmuseums publiziert regelmässig Artikel über historische Themen. Diese reichen von den Habsburgern über Auslandschweizer bis hin zu heimischer Popmusik, die es zu Weltruhm gebracht hat. Der Blog beleuchtet viele Facetten der Landesgeschichte in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Mehr dazu gibt es unter: blog.nationalmuseum.ch

Zeitreise

In der «Zeitreise» erzählt der Historiker und Autor Benedikt Meyer Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catillons tragischem Ende und von Henri Dunant bis Iris von Roten. Die Serie erschien erstmals bei Transhelvetica und auf dem Blog des Schweizerischen Nationalmuseums.
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