Das musst du wissen

  • Leere Strassen für einen Tag: Diese Idee hat sich in Europa in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren verbreitet.
  • Ein Team von Forschenden hat die Resultate von mehr als 40 Analysen autofreier Veranstaltungen zusammengetragen.
  • Ernüchternd: Mancherorts haben sich Luftschadstoffe und Lärm einfach verlagert.
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Als die Schweiz drei Sonntage lang still stand: Die hohen Benzinpreise weckten unlängst Erinnerungen an die autofreien Sonntage im Jahr 1973, verordnet aufgrund der Ölkrise. Und sie brachten das Thema verkehrsfreie Tage wieder aufs Tapet, wie ein Politologe kürzlich für higgs einordnete. Landesweit verkehrsbefreite Strassen und Plätze gab es in der Schweiz seit den Siebezigerjahren nicht mehr. Deutlich verbreiteter sind solche Veranstaltungen hingegen weltweit. In Südamerika etwa wurden bereits in den 1970er-Jahren erste Initiativen für autofreie Städte und Tage ins Leben gerufen, in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren schwappte die Idee nach Europa über. Bis 2007 gab es den World Car-Free Day in insgesamt 2000 Städten in 35 Ländern.

Berichte aus aller Welt durchleuchtet

Für viele sind solche Veranstaltungen ein sympathisches Anliegen – doch was bringen sie der Umwelt effektiv? Wie stark verringern sie die Schadstoffe in der Luft, wie dämpfen sie den Lärmpegel, wie verbessern sie unsere Gesundheit? Für diese Fragen interessierte sich ein internationales Team von Forschenden, darunter auch ein Vertreter der von Bertrand Piccard gegründeten Non-Profit-Organisation «Solar Impulse Foundation» in Lausanne, die sich für den Umweltschutz einsetzt. Die Forschungsgruppe analysierte rund vierzig wissenschaftliche Untersuchungen und Berichte über autofreie Tage, Städte und Veranstaltungen weltweit. Dies mit dem Ziel, deren Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit aufzuzeigen. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden kürzlich im Fachmagazin Current Environmental Health Reports publiziert.

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Studie: The Impacts of Car-Free Days and Events on the Environment and Human HealthKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsMit rund vierzig wissenschaftlichen Untersuchungen zu autofreien Veranstaltungen aus aller Welt gibt der Datensatz einen guten Überblick über die akademische Forschung zu diesem Thema. Einschränkend sind allerdings die verschiedenen Ausmasse der autofreien Tage, Messmethoden und Untersuchungsgegenstände, was eine allgemeingültige Aussage für alle autofreien Tage erschwert.Mehr Infos zu dieser Studie...

Nicht alle Schadstoffe gehen zurück

Als Ausgangspunkt dienten den Forschenden Analysen verkehrsfreier Tage, die grösstenteils auf Veranstaltungen in Europa, Südostasien und Südamerika basierten. Die Übersicht zeigte ihnen schnell: Die meisten vorhandenen Studien messen die Auswirkungen auf die Luft- und Lärmbelastung; einige wenige untersuchen auch, ob sich die Menschen an solchen Tagen mehr bewegen als üblich. Ein Kurzfazit der Forschenden: Zwar konnten autofreie Tage in einigen Fällen die Konzentration bestimmter Luftschadstoffe reduzieren – auf viele andere wirkten sie sich aber kaum aus. Und die Ergebnisse fielen je nach Studie sehr unterschiedlich aus: Die Skala reichte von einer erheblich geringeren Luftverschmutzung bis hin zu einer gar schlechteren Luftqualität. Zu beobachten war etwa, dass sich der Verkehr – und somit die negativen Umwelteinflüsse – von den abgesperrten, autofreien Gebieten einfach auf die umliegenden Strassen und Stadtteile verlagerte.

Und das sind die Resultate etwas mehr im Detail: Am ersten autofreien Tag in Paris im Jahr 2015, an dem dreissig Prozent der Strassen gesperrt wurden, reduzierte sich die Konzentration von Stickstoffdioxid je nach Ort der Messung um zwanzig bis vierzig Prozent. Eine ähnliche Verringerung desselben Schadstoffes wurde in Mailand gemessen: 35 Prozent weniger Stickstoffidioxid als an einem normalen Tag. Gar eine Reduktion von fünfzig Prozent erreichte eine wochenlang andauernde Strassensperrung in Hong Kong. Noch deutlicher reduziert wurde ein anderer Schadstoff aus dem Strassenverkehr, Stickstoffmonoxid, an den jährlich stattfindenden Car-Free Days in Brüssel, gemessen 2002 bis 2009: dies um bis zu 95 Prozent. Das ist die grösste Verbesserung der Luftqualität, die aus dem gesamten Datensatz der 43 Studien hervorgeht.

Auf den ersten Blick fiel an der Aktion «Journée sans voiture» in Brüssel eine Betrachtung der Feinstaubwerte schlechter aus. Diese waren um 150 Prozent angestiegen. Grund dafür könnte aber schlicht eine Änderung der Windrichtung sein – also dass der Wind die Luftverschmutzung aus dem westlichen Teil Belgiens in die Hauptstadt geweht haben könnte. Weshalb die Bilanz insgesamt trotzdem positiv ausfällt, darauf deutet die Konzentration der schädlichsten Feinstaubart hin: Russ. Dieser Wert hatte sich an der autofreien Aktion im Jahr 2006 halbiert. Die Erklärung: Russ sei wohl eine genauere Methode zur Messung der verkehrsbedingten Feinstaubbelastung als die Gesamtkonzentration aller Feinstaubwerte, schreiben die Forschenden. Schliesslich könne die Gesamtkonzentration aus einer Vielzahl von Quellen stammen.

Auch der Lärm verlagert sich

Unterschiedliche Auswirkungen haben autofreie Tage auch auf den Lärmpegel. Eine Studie in Malaysia hat an autofreien Events den Umgebungslärm in Eingangshallen von Gebäuden gemessen – innerhalb und ausserhalb der autofreien Zone. Innerhalb reduzierte sich der Lärmpegel im Vergleich zu einem normalen Tag um rund sieben Prozent auf 4,7 Dezibel. Ausserhalb der autofreien Zone hingegen erhöhte er sich um 1,7 Dezibel. Das sei vermutlich auf den verlagerten Verkehr zurückzuführen, heisst es in der Analyse. Eine ebenfalls eher geringe Reduktion des Lärms hat eine Studie in der kolumbianischen Stadt Medellín gemessen: Dort verbesserten sich die Werte um lediglich 0,1 bis 1,2 Dezibel. Das liege möglicherweise an den öffentlichen Verkehrsmitteln, die am autofreien Tag vermehrt zirkulierten, schreiben die kolumbianischen Forschenden.

Aufs Velo statt ins Auto

Deutlich weniger im Fokus der Forschung ist der Aspekt körperliche Aktivität der Bevölkerung. Also: Sind die Menschen an autofreien Tagen sportlicher unterwegs, steigen sie aufs Velo um oder legen sie zu Fuss grössere Strecken zurück? Das Beispiel aus Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, zeigt: Die wöchentlich rund eine Million Teilnehmenden fahren an diesem Tag im Schnitt 140 Minuten Velo – das entspricht mehr als zehn Prozent ihrer wöchentlichen körperlichen Aktivität. Die Aussagekraft solcher Berechnungen ist jedoch eingeschränkt, wie auch die Forschenden der Übersichtsstudie hervorheben: Um langfristig einen Einfluss auf die Gesundheit zu haben, müssten solche autofreien Events auch andernorts deutlich regelmässiger stattfinden als nur einmal im Jahr.

Ebenfalls eher ein Randaspekt ist die soziale Eingliederung der Menschen. Zwei der rund vierzig untersuchten Studien widmeten sich diesem Aspekt, beide stammen aus Indonesien. Beide Male wurden die Teilnehmer der verkehrsfreien Veranstaltungen zu ihren Beweggründen und den Vorteilen der Teilnahme befragt. Ihre Antworten: Sie suchten soziale Interaktion oder wurden von den mit der Veranstaltung verbundenen Programmen und Aktivitäten – gemeinsames Essen oder Spielmöglichkeiten für Kinder – angezogen.

Je länger, desto besser

Über alle Faktoren am erfolgreichsten waren gemäss den Forschenden jene Veranstaltungen, die in grösserem Ausmass stattfanden: also jene in Brüssel und Hongkong. Denn in Brüssel deckt der jährliche autofreie Tag das gesamte Stadtgebiet von rund 160 Quadratkilometern ab, in Hongkong dauerten die Strassenblockaden wochenlang, da sie im Zusammenhang mit politischen Protestaktionen standen. Entsprechend seien die positiven Auswirkungen von autofreien Tagen und Veranstaltungen in grösseren Gebieten nicht nur stärker, sondern sie betreffen auch deutlich mehr Menschen, schlussfolgern die Forschenden. Insgesamt aber müssten Anlässe wie autofreie Tage mit weiteren verkehrspolitischen Massnahmen zu einem Gesamtpaket geschnürt werden. Nur so bleibe es beim Umweltschutz und auch für unsere Gesundheit nicht beim Tropfen auf den heissen Stein.

Korrekturanmerkung: Der autofreie Tag in Bogotá findet wöchentlich statt, nicht jährlich. Zum besseren Verständnis wurde zudem der folgende Satz um zwei Wörter ergänzt: Um langfristig einen Einfluss auf die Gesundheit zu haben, müssten solche autofreien Events auch andernorts deutlich regelmässiger stattfinden als nur einmal im Jahr. higgs entschuldigt sich für diesen Fehler.
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