Schlüsselfaktoren für den Erfolg von Verbundwerkstoffen sind Gewichtseinsparung, mechanische Leistungseigenschaften, Flexibilität im Design und Langlebigkeit. Das gilt insbesondere für Hightechanwendungen in der Luft- und Raumfahrt, bei Rennwagen und Sportbekleidung. Diese Eigenschaften machen Verbundwerkstoffe auch für die Bahnindustrie interessant. Die Brandgefahr und ihre Folgen sind vor allem in diesem Anwendungsgebiet von grösster Bedeutung. Verbundwerkstoffe werden aber in der Regel aus brennbaren Polymeren hergestellt. Darüber hinaus vergrössern Verstärkungen mit Glas- oder Karbonfasern den ökologischen Fussabdruck der Verbundwerkstoffe und reduzieren so die mit ihrem geringen Gewicht einhergehenden energetischen Vorteile. Gefragt sind also Lösungen für die Herausforderungen im Bereich Brandschutz und Umweltverträglichkeit.

Verbundwerkstoffe im Eisenbahnwagen

Verbundwerkstoffe machen weniger als drei Prozent des Gesamtgewichts der existierenden Eisenbahnwagen aus. Eine Erhöhung des Anteils von Leichtbau-Verbundwerkstoffen in Schienenfahrzeugen würde wesentlich zu der von der europäischen Eisenbahnindustrie angestrebten Gewichtsreduzierung von 15 bis 30 Prozent beitragen. Seit 2013 wurden mehrere europäische Forschungsprogramme wie Refresco, Roll2Rail und Shift2Rail zu diesem Thema lanciert. Ein Problem bleibt der Brandschutz. Die im Jahr 2018 in Kraft getretene, verbindliche europäische Eisenbahnnorm DIN EN 45545 regelt und harmonisiert die Brandschutzanforderungen für alle hier verbauten Werkstoffe. Es wurden strenge Grenzwerte für Entflammbarkeit, Rauchgasentwicklung, Rauchdichte und Rauchtoxizität eingeführt. Häufig verwendete Kunststoffe und Verbundwerkstoffe erfüllen die neuen Anforderungen nicht, die oft strenger sind als die bisherigen nationalen Richtlinien. Bedenken hinsichtlich Kosten, Nachhaltigkeit und Recyclingfähigkeit erschweren zudem den Durchbruch von Verbundwerkstoffen in der Bahnindustrie.

Brandresistente Moleküle aus der Natur

Die Brandbeständigkeit von Polymeren auf fossiler Basis kann durch Zugabe von Flammschutzmitteln wie halogenierten oder phosphorbasierten Produkten mit vermuteter Toxizität oder durch das Aufbringen von intumeszenten Beschichtungen erreicht werden. Intumeszente Baustoffe nehmen unter Hitzeeinwirkung an Volumen zu und entsprechend an Dichte ab. In der Regel finden intumeszente Stoffe im vorbeugenden baulichen Brandschutz Anwendung.

Eine natürliche Lösung bietet dagegen das Pflanzenreich. Tannine sind natürliche, polyphenolische Moleküle, die in verschiedenen pflanzlichen Geweben vorkommen und praktisch unbrennbar sind. Harzsysteme, die auf diesen Verbindungen basieren, erlöschen nach Kontakt mit einer Flamme fast sofort. Weltweit werden derzeit rund 200 000 Tonnen Tannine pro Jahr durch Heisswasserextraktion produziert. Die Rinde und das Kernholz von Holzarten aus tropischen Ländern (zum Beispiel die Schwarzholz-Akazie/Mimosa oder der Quebracho-Baum) sind die häufigsten Rohstoffe für Tannine. Eine europäische Produktion von Tanninen aus der übrig gebliebenen Rinde der heimischen Holzindustrie ist für die nächsten Jahre geplant. Tannine werden bereits in einem breiten Anwendungsspektrum eingesetzt, angefangen bei der traditionellen Lederindustrie bis hin zur Herstellung von Klebstoffen, Beschichtungen, Isolierschäumen, Weichmachern für Zement und Antioxidantien für Lebensmittel und Gesundheitspflege. Verbundwerkstoffe werden also nur ein weiteres Einsatzgebiet dieses vielseitigen Moleküls sein.

Pflanzenfasern – hohe Leistung, geringes Gewicht

Glas- und Karbonfasern sind die gängigste Wahl für die Herstellung von Hochleistungsverbundwerkstoffen. Sie vereinen in sich eine wesentlich höhere Zugfestigkeit als Stahl und die Möglichkeit der einfachen Formgebung von Geweben. Der hohe Energiebedarf für ihre Produktion wirkt sich allerdings negativ auf die ökologische Nachhaltigkeit dieser Fasern aus. Auch hier bietet das Pflanzenreich eine Lösung.

Fasern aus Einjahrespflanzen wie Hanf, Flachs, Jute und Ramie, die derzeit einen weltweiten Markt von etwa drei Millionen Tonnen pro Jahr haben, können Zugfestigkeiten erreichen, die mit denen von Glasfasern vergleichbar oder sogar höher sind. Diese Eigenschaft ergibt sich aus der besonderen Anatomie dieser Fasern. Sie bestehen aus Cellulose-Mikrofibrillen, die fast in die gleiche Richtung der Faserachsen ausgerichtet sind und ihnen eine hohe Steifigkeit und Festigkeit verleihen. Ausserdem ist die Dichte der Pflanzenfasern fast 40 Prozent geringer als die von Glas. Dadurch wird ein besseres Verhältnis zwischen Festigkeit und Gewicht erreicht, wenn in Verbundwerkstoffen Glas- durch Naturfasern ersetzt werden.

Neuartig, feuerfest, biobasiert

Am Institut für Werkstoffe und Holztechnologie der Berner Fachhochschule BFH wurde eine neuartige Kombination aus Tannin und Flachsfasern entwickelt. Die Ergebnisse sind bereits sehr vielversprechend. Flachsfaserverstärkte Tannin-Verbundwerkstoffe zeigten in der Tat eine geringere Entflammbarkeit als Verbundwerkstoffe der derzeit höchsten Feuerwiderstandsklasse. Festigkeit und Steifigkeit waren mit fossilen Produkten vergleichbar, und eine Vorstudie ergab eine 40-prozentige Reduzierung des CO₂-Fussabdrucks im Vergleich zu anderen Produkten.

Die erzielten Ergebnisse reichen jedoch noch nicht aus, um die hohen Anforderungen der DIN EN 45545 zu erfüllen. Um das Produkt zu verbessern, wurde kürzlich das Innosuisse-Projekt «NATURECOMP» unter Leitung der BFH und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung der Hochschule für Technik Rapperswil (IWK-HSR) und einem grossen Konsortium von Industriepartnern, darunter Harzhersteller, Naturfasergewebehersteller, Verbundwerkstoffhersteller und Endanwender (Schienenfahrzeughersteller), lanciert.
Der neue Verbundwerkstoff, dessen Markteintritt für 2023 erwartet wird, stellt eine Innovation im Bereich der brandresistenten und nachhaltigen faserverstärkten Polymere dar. Neben der Bahnindustrie sind auch Anwendungen für den Automobilinnenraum, Gehäuse von Elektrogeräten, Haushaltswaren und im Möbeldesign vorgesehen.

Dieser Beitrag stammt von der Berner Fachhochschule BFH. Er erschien erstmals im BFH-Magazin «spirit biel/bienne» 2019/3.
Kontakt zu den Projektverantwortlichen: Sauro Bianchi, Koordinator BFH-Zentrum Holz, und Ingo Mayer, Kompetenzbereichsleiter Bereich Forschung & Entwicklung, Dienstleistung und Weiterbildung.
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Berner Fachhochschule BFH

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