Das musst du wissen
- Flächendeckende Überwachung mittels moderner Bewegungs- und Gesichtserkennung ist heute möglich.
- Eine Umfrage zeigt: In Deutschland, Grossbritannien, Frankreich und Spanien akzeptiert das die Hälfte der Bevölkerung.
- Faktoren wie Bedrohung durch Terrorismus erhöhen die Zustimmung, fehlende Datensicherheit verringern sie.
Videoüberwachung, Bespitzelung der Kommunikation, Gesichts- und Bewegungserkennung: Im Jahr 2021 ist das in vielen Ländern bereits Realität. Flächendeckende Überwachung ist in Europa allerdings noch nicht im Einsatz – zum Glück, möchte die vorsichtige Beobachterin einwerfen. Aber die Akzeptanz für eine solche Massenüberwachung inklusive Gesichtserkennung scheint durchaus vorhanden zu sein. Dies jedenfalls legt eine Studie von zwei deutschen Forschenden nahe. Sie wurde jüngst im Fachmagazin European Journal of Political Research publiziert.
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Studie: Public support for state surveillanceKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Probandengruppe ist recht gross und repräsentativ. Um ein für Westeuropa allgemeingültiges Resultat zu erlangen, befragten die Autoren Personen aus vier verschiedenen Ländern. Das macht die Resultate relativ zuverlässig. Ob neue Überwachungsgesetze in den einzelnen westeuropäischen Ländern aber tatsächlich befürwortet würden, ist stark von den konkreten Massnahmen, dem Zeitpunkt der Einführung und den Bedingungen abhängig – was die Studie ebenfalls zeigt.Mehr Infos zu dieser Studie...Die Forschenden befragten für die Studie mehrere Tausend Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland, Grossbritannien, Frankreich und Spanien. Diese Länder wählten sie, weil sie über eine unterschiedliche Geschichte, verschiedene geltende Gesetze bezüglich Überwachung und unterschiedliche traditionelle Akzeptanz für staatlicher Überwachung verfügen. Gemäss dem International Survey Programme 2016 gehören Grossbritannien und Frankreich zu jenen europäischen Ländern, in denen die Bevölkerung am wenigsten Berührungsängste bezüglich staatlicher Überwachung hat. Der Report zeigte: Briten befürworten die Überwachung des Emailverkehrs zu rund 50 Prozent, Videoüberwachung zu über 80 Prozent und verwanzte Telefonie zu ebenfalls über 80 Prozent. Zum Vergleich: Schweizerinnen und Schweizer akzeptierten eine Überwachung des Emailverkehrs zu knapp 40 Prozent, Videoüberwachung zu etwas über 50 Prozent und verwanzte Telefonie zu über 80 Prozent. Deutschland zeigte sich in allen Kategorien kritischer als die Schweiz.
Die Probanden der vier Länder, wozu die Schweiz also nicht gehörte, mussten in der Umfrage ihren Grad der Zustimmung zu neuen Überwachungsgesetzen kundtun, die Gesichts- und Bewegungserkennung einschlossen. Verschiedene Probandengruppen entschieden unter unterschiedlichen Voraussetzungen bezüglich sicherheitstechnischer Notwendigkeit, Überwachungsrahmen und Datensicherheit. Konkret: Einige wurden mit den Todeszahlen durch terroristische Anschläge konfrontiert, was die Notwendigkeit der neuen Überwachungsgesetze unterstrich. Anderen wurde explizit erklärt, dass die Überwachungsmassnahmen nicht nur potentielle Kriminelle und Terroristen, sondern alle Bürgerinnen und Bürger beträfen, es sich also um Massenüberwachung handle. Wiederum anderen wurde die Information gegeben, dass die Datensicherheit durch den Staat nicht gewährt sei. So wollten die Studienautoren herausfinden, wie gross der Einfluss der jeweiligen Begründung auf die Akzeptanz ist.
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Über alle Umfragebedingungen insgesamt stimmten 60 Prozent der befragten Briten den neuen Überwachungsgesetzen zu, 59 Prozent der Spanier, 55 Prozent der Franzosen und 54 Prozent der Deutschen. Die Faktoren Datensicherheit, Terrorismus und Massenüberwachung versus gezielter Überwachung spielen dabei eine Rolle. Je grösser die wahrgenommene Terrorismusgefahr, desto grösser ist die Zustimmung. Je breiter hingegen überwacht wird und je lascher der Datenschutz, desto mehr distanzieren sich von neuen Gesetzen. Das Zustimmungsniveau war dabei bei allen Ländern sehr ähnlich trotz unterschiedlichen Traditionen, was die Autoren überraschte. «Man hätte erwarten können, dass die Deutschen eher skeptisch sind, während die Briten staatliche Überwachung weniger kritisch sehen», sagt Studienautor Conrad Ziller vom Lehrstuhl für Empirische Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen in einer Mitteilung.
In der Schweiz mag die Akzeptanz staatlicher Überwachung traditionell höher sein als in Deutschland. Was Datensicherheit angeht ist die Schweiz aber eher lasch. Ein Beispiel dafür ist die Ergebnisermittlungssoftware zur Auswertung von Wahlergebnissen: viele Kantone verwenden veraltete und nicht zeigemässe Software, wie die Republik recherchierte. Man will sich gar nicht ausmalen, was eine lasche Handhabe bei flächendeckender, staatlicher Überwachung in der Schweiz bedeuten würde.