Das musst du wissen
- Die Serie «13 Reasons Why» ist seit Jahren umstritten – denn sie dreht sich um den Suizid eines Teenie-Mädchens.
- Mehrere Studien zeigen, dass die Suizidrate bei Jugendlichen nach der Erstausstrahlung 2017 stark angestiegen ist.
- Am 23. August startete die dritte Staffel der Serie.
Wer hat Hannah Baker auf dem Gewissen? Diese Frage stellten sich unzählige Jugendliche, die sich «13 Reasons Why» (Deutsch: «Tote Mädchen lügen nicht») angesehen haben. Die 17-jährige Protagonistin der fiktiven Netflix-Serie nimmt sich das Leben und hinterlässt Kassetten, auf denen sie ihrem Umfeld eine Mitschuld an ihrem Tod gibt.
Die Wissenschaft fragt sich hingegen: Wen hat Hannah Baker auf dem Gewissen? Denn die Darstellung von Suizid kann zum Nachahmen animieren, warnen Ärzte und Psychologen.
Am Freitag erscheint die dritte Staffel der umstrittenen Serie. Der Inhalt ist noch nicht bekannt, doch ein Trailer lässt erahnen, dass sich die Geschichte in eine Art Krimi-Thriller entwickelt. Ärzte und Psychiater werden die Serie auf jeden Fall im Auge behalten – auch in der Schweiz.
Schweizer Notfall-Arzt: «Die Serie ist gefährlich»
Denn «13 Reasons Why» ist nicht nur in den USA ein Hit. In der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich war die Serie in rund 40 Fällen bei der notfallmässigen Abklärung von suizidalen Jugendlichen ein Thema, wie «SRF» berichtete.
Teilweise haben halbe Schulklassen die Serien geschaut. «Sie haben sich gegenseitig hochgeschaukelt», sagt Gregor Berger, Leiter des zentralen Notfalldienstes der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. «Wir mussten dann mehrere Schüler der Klasse bei uns im Notfall beurteilen und es kam vereinzelt sogar zu Suizidversuchen.»
Gregor Berger
Psychiater und Notfallarzt
Der Arzt findet deutliche Worte: «Die Serie ist gefährlich.» Laut einer kürzlich erschienen Studie ist im April 2017, dem Erscheinungsmonat, die Suizidrate bei 10- bis 17-Jährigen in den USA um 28,9 Prozent angestiegen – und blieb den Rest des Jahres ungewöhnlich hoch. «Das wären mehr als hundert zusätzliche Tote in den USA allein wegen dieser Serie», sagt Berger. «Wenn jemand mit einem Gewehr so viele Menschen getötet hätte, wäre das wochenlang in den Medien.»
Ein direkter Zusammenhang zwischen Suiziden und der Serie lässt sich jedoch nicht endgültig beweisen. Denn bei der Studie, die in der Fachzeitschrift Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry publiziert wurde, handelt es sich um eine Datenanalyse – und damit lassen sich keine Ursache-Wirkung-Beziehungen nachweisen. Das gilt auch für weitere Studien, die zu ähnlichen Resultaten kommen.
Umstrittene Szene gelöscht – reicht das?
Nach lange anhaltender Kritik hat Netflix im Juli diesen Jahres reagiert und die umstrittenste Szene der ersten Staffel gelöscht – zwei Jahre nach dem Erscheinen: Zu sehen war der Suizid von Hannah Baker über drei Minuten lang im Detail.
Das sei begrüssenswert, so Berger, gehe aber nicht weit genug. «Die grafische Darstellung ist nur ein Faktor.» Das Hauptproblem sei die Glorifizierung. «Der Suizid wird als Lösung dargestellt. Das zieht sich durch die ganze Geschichte, die Serie lebt davon», sagt Berger.
«Zudem ist Hannah eine sympathische, gutaussehende junge Frau mit hohem Identifikationswert.» Vor allem junge, verletzliche Teenager, könnten sich das Verhalten der von Katherine Langford gespielten Figur zum Vorbild nehmen.
Zusammen mit den Kindern schauen
Denn all dies sind Zutaten für den sogenannten Werther-Effekt, der schon lange als erwiesen gilt: Er geht auf Goethes Roman «Die Leiden des jungen Werther» zurück, nach dessen Erscheinen es im Jahr 1774 zu einer Reihe von Suiziden unter jungen Männern kam.
Das Gegenteil davon ist der Papageno-Effekt. Die Darstellung eines Auswegs aus der Krise kann Suizide verhindern. Der Name geht auf Mozarts Zauberflöte zurück, wo der Protagonist dank der Hilfe von drei Buben von seinem Suizidvorhaben abkommt.
Diesen Effekt fanden Forschende bei der zweiten Staffel von «13 Reasons Why», bei der Suizid aber nur eine untergeordnete Rolle spielt. Jugendliche, die sich die ganze Staffel ansahen, zeigten sich weniger suizidgefährdet und zeigten eine grössere Bereitschaft, einer gefährdeten Person zu helfen. Aber: Wer nur ein Teil der Staffel sah, wies laut der Studie im Fachblatt Social Science & Medicine ein grösseres Suizidrisiko auf.
Bei der dritten Staffel stellt sich nun die Frage: Überwiegt der Werther- oder der Papageno-Effekt? Besorgten Eltern rät Gregor Berger: «Schauen Sie die Serie zusammen mit ihren Kindern an und reden sie mit ihnen darüber», so der Arzt. «So können sie lernen, schwierige Themen gesund zu verarbeiten.»
Hier findest du Hilfe
Die Dargebotene Hand: Telefon 143, www.143.ch
Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147, www.147.ch
Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch