Das musst du wissen

  • Bereits im 18. Jahrhundert verbot die katholische Kirche die psychoaktive Pflanze Cannabis.
  • Da die Pflanze für heidnische Rituale genutzt worden sein soll, passte sie angeblich nicht zum christlichen Glauben.
  • Der Priester und Naturforscher José Alzate plädierte bereits damals für die Legalisierung der Pflanze als Heilmittel.

Cannabis ist Teufelszeug. So jedenfalls sah das die spanische Inquisition des 18. Jahrhunderts. Dieses Teufelszeug zu rauchen, gehörte zu den Sünden, die aufs Härteste bestraft wurden. Die Konsumenten mussten mit der Verbannung oder dem Tod rechnen. Aber nicht nur die Konsumenten selbst, auch all diejenigen, die solche Verbote kritisierten, hatten harte Konsequenzen zu befürchten. Und trotzdem gab es schon damals Befürworter einer Legalisierung: Der Priester und Naturforscher José Antonio Alzate y Ramírez zum Beispiel riskierte sein Leben, indem er den medizinischen Nutzen des Krauts propagierte und abergläubische Fantasien bekämpfte.

Wie er das gemacht hat, ohne deswegen sein Leben zu verlieren, hat die deutsche Historikerin Laura Dierksmeier in einer Studie untersucht, die im Fachjournal «Colonial Latin American Review» veröffentlicht wurde. Sie beschäftigte sich dabei intensiv mit einem besonderen historischen Artikel des frühen Cannabis-Aktivisten.

Der Vermittler zwischen den Welten

José Alzate y Ramírez kam 1737 als Sohn eines Spaniers und einer Mexikanerin im mexikanischen Bundesstaat Ozumba auf die Welt. Er kannte sowohl die Welt der indigenen Bevölkerung als auch europäische Gepflogenheiten. Das machte ihn zu einem «unermüdlichen Vermittler zwischen kirchlichen Autoritäten und der Zivilgesellschaft», wie die Historikerin Dierksmeier schreibt.

Science-Check ✓

Studie: Forbidden herbs: Alzate’s defense of pipiltzintzintlisKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsBei der Studie handelt es sich um eine historische Analyse des Artikels von Alzate. Dabei wurde untersucht, wie und auf welche europäischen Quellen er zurückgegriffen hat und inwiefern seine Argumentationsstruktur in den gesellschaftlichen und zeitlichen Rahmen passte.Mehr Infos zu dieser Studie...

Und dies umso mehr, als er zwei Berufen nachging: Er war einerseits Priester, aber auch Naturforscher. Eines seiner grossen Anliegen war es, Wissen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Deshalb war er im Verlauf seines Lebens auch Herausgeber von vier verschiedenen wissenschaftlichen Zeitungen. In einer davon plädierte er 1772 in einem Artikel für die Legalisierung von Cannabis als Heilpflanze. Damit beschritt er einen Pfad, der ihm um ein Haar den Kopf gekostet hätte.

Das Plädoyer für Cannabis

Denn jeder, der die Kirche oder ihre Gesetze kritisierte, musste zu jener Zeit mit Verbannung, in einigen Fällen sogar mit dem Tod rechnen. Davor schützte ihn auch sein Priestertum nicht. Dieses half ihm aber, besonders vorsichtig vorzugehen. Er wusste schliesslich wie die Kirche funktionierte und wie er am besten mit ihr umzugehen hatte.

Er formulierte seinen Pro-Cannabis Artikel umsichtiger und weniger polemisch, als es sonst seine Art bei weniger problematischen Themen war. Und machte das laut Dierksmeier so gut, dass einem Gelegenheitsleser die Brisanz des Themas nicht einmal aufgefallen wäre. Aber nicht nur das: Auch seine methodische Herangehensweise half ihm dabei, die Kirche nicht zu sehr zu verärgern. Laut der Forscherin Dierksmeier war diese methodische Art «europäisch und typisch für die Aufklärung».

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Seine Überzeugung, dass verbotene Kräuter wie Cannabis auch als Heilmittel genutzt werden können und deshalb legalisiert werden sollten, unterstützte er mit diversen Quellen. Er beschrieb seine persönlichen Erfahrungen mit der Aufzucht der Pflanze und argumentierte damit, dass in mexikanischen Krankenhäusern erfolgreich mithilfe von Cannabis Schmerzleiden oder Insektenstiche behandelt wurden. Auch einen Seefahrer erwähnt er, der Hanf als Rohstoff für die Herstellung von Tauen und Segeln lobt.

Aber dabei blieb es nicht. Er zitiert auch neun unterschiedliche und zu seiner Zeit renommierte europäische Schriften und Enzyklopädien, die eine positive, natürliche Wirkung von Cannabis als Heilmittel dokumentierten. Eine dieser Quellen berichtet zum Beispiel von der Nutzung von Cannabis schon im antiken Ägypten, wo mit Hanf Depressionen behandelt wurden. Das sollte nicht nur die schmerzstillende, sondern auch die psychologisch positive Wirkung des Krautes belegen. In einem anderen zitierten Dokument beschreibt der französischen Botaniker und Mineraloge Valmont de Bomare einen aus Cannabis hergestellten Sud, der bei Husten, Gonorrhö und Gelbsucht helfen sollte.

Mittels der vielen unterschiedlichen Quellen wollte Alzate beweisen, dass Cannabis viele medizinische, also positive Effekte hat. Somit könne es sich gar nicht um übernatürliche Effekte handeln – und ergo auch kein Teufelswerk sein. Ein Verbot sei also nicht gerechtfertigt. Er schreibt am Ende seines Artikels: «Ich glaube, ich habe die Vorteile der Nutzung von Cannabis demonstriert, und wie wir in der Sprache der Theologen sagen: Es ist schlecht, weil es verboten ist, nicht verboten, weil es schlecht ist.»

Die rettende Relativierung

Um damit die spanische Inquisition nicht zu sehr anzugreifen und sein Leben in Gefahr zu bringen, relativiert er seine Schlussfolgerung allerdings mit folgendem Eingeständnis: «Es wäre voreilig zu behaupten, dass in einigen Fällen die Auswirkungen von Cannabis auf die Indianer nicht durch den Geist der Finsternis unterstützt wären.» Cannabis ist seiner Ansicht nach also nichts teuflisches, kann aber von Heiden für diabolische Zwecke genutzt werden.

Diese Relativierung hat vermutlich Alzates Leben gerettet. Laut der Historikerin Dierksmeier hat die Kombination seiner umsichtigen Formulierungen, seiner argumentatorischen Methodik und dieser Relativierung das Schlimmste verhindert. Negative Konsequenzen brachte ihm der Artikel trotzdem. Die Inquisition versuchte ihn zwar nicht umzubringen, aber mundtot zu machen. Sie zensierte seine Zeitungen und verbot sie letztlich sogar. Das sollte Alzate aber dennoch nicht davon abhalten sechs Jahre später einen persönlichen Brief mit dem gleichen Anliegen an den Regenten Mexikos zu verschicken. Erfolg hatte er damit nicht: die Diskussion um die Legalisierung von Cannabis hält bis heute an.

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