Das musst du wissen
- Mithilfe des Ct-Wertes lässt sich abschätzen, wie hoch die Virenlast im Körper von Covid-Erkrankten ist.
- Doch: Isoliert betrachtet, lässt der Wert offen, ob ein Patient am Anfang oder am Ende einer Infektion steht.
- Viel entscheidender ist die Krankheitsgeschichte. Darum hat das BAG keinen Ct-Schwellenwert definiert.
In Peking starten heute Freitag die Olympischen Winterspiele. Um teilnehmen zu können, müssen die Skispringer, Langläuferinnen und Co. strenge Covid-Auflagen erfüllen. Nebst zwei negativen PCR-Tests in Folge vor Abflug sowie einem weiteren bei der Ankunft müssen sie sich auch während der Spiele täglich testen lassen. Bis wann ein Test als positiv gilt, hat China anfangs mit einer fixen Obergrenze des Ct-Werts von 40 festgelegt. Nach internationaler Kritik senkte die Regierung den Richtwert auf 35. Doch wie aussagekräftig ist der Ct-Wert wirklich? Wie ist die Situation in der Schweiz – und wie ist Chinas Regelung aus Sicht der Wissenschaft zu werten?
Proben durchlaufen bis zu 50 Zyklen
Einer, der täglich mit PCR-Tests und Ct-Werten zu tun hat, ist Michael Huber. Er leitet am Institut für Medizinische Virologie der Universität Zürich die Abteilung Diagnostik und Entwicklung. Er erklärt: Der Ct-Wert zeigt die Anzahl Zyklen der Vervielfältigung an, die nötig ist, bis Viren oder andere Erreger nachgewiesen werden können. Denn beim PCR-Test wird Virus-Genom aus einer Probe vermehrt. «In jedem Zyklus wird der Genomabschnitt, den man ermitteln will, verdoppelt», schildert er. Dieser Prozess setzt Fluoreszenz frei. Irgendwann ist diese so stark, dass man sie messen kann. Dies geschieht laut Huber frühestens im 15. bis 20. Zyklus der Verdoppelung. Jener Zyklus, in dem das Signal ausschlägt, ist der sogenannte «Cycle Treshold» – kurz Ct. Manchmal können die Proben bis zu 40 Zyklen durchlaufen, bis Virenlast angezeigt werde, sagt Huber. Allerspätestens nach 45 Zyklen ohne Hinweis aber wisse man: Der Test bleibt negativ. In anderen Worten: Je höher der Ct-Wert, desto weniger Virusmaterial ist in der Probe. Tiefe Werte auf der anderen Seite zeigen eine hohe Virenlast an.
Nicht die Labors entscheiden
Doch ab welchem Wert ist jemand nicht mehr ansteckend? Ab 30, 35 oder erst ab 40? Eine Gretchen-Frage. «Das können nicht wir im Labor beantworten», sagt der Virologe Michael Huber. «Wir geben jeden Test als positiv heraus, sobald dies angezeigt wird – egal, in welchem Zyklus.» Also selbst dann, wenn der Ct-Wert bei 38 liegt, bei 39 oder sogar bei 40. Allerdings rechnet das Labor an der Universität Zürich die Ct-Werte für die Herausgabe an die Ärzteschaft immer in Kopien pro Milliliter um. Ein Ct-Wert von 16 kommt in der Regel auf ein paar Milliarden Kopien pro Milliliter, bei Ct 35 sind es vielleicht noch tausend, veranschaulicht Huber. Diese Angabe sei präziser. Denn je nach Testmethode oder auch je nach Genomabschnitt können sich die Ct-Werte für die gleiche Probe um plus oder minus zwei unterscheiden, erklärt er. Mit der Mengenangabe pro Milliliter wisse der behandelnde Arzt: Ist das viel, gemessen am Krankheitsverlauf des Patienten? Ist es eine Zunahme, eine Abnahme, und so weiter.
Schon am Folgetag kann alles ändern
Überhaupt sei der Krankheitsverlauf wichtig, um den Ct-Wert richtig einzuordnen, betont Michael Huber. Denn die Krux ist: «Allein am Ct-Wert erkennen wir nicht, ob es sich um eine Covid-Infektion handelt, die bereits abklingt, oder eine, die erst in der ansteigenden Phase ist.» Er macht ein Beispiel aus seinem Umfeld: Eine Person wurde am Wochenende positiv getestet, dies mit einem Ct-Wert von 37. «Wahrscheinlich ist sie bei diesem Wert nicht mehr infektiös», war Hubers erster Gedanke. Zwei Tage später liess sich die gleiche Person erneut testen – Ct-Wert 29. Das bedeutet: Sie befand sich beim ersten Test in der Anfangsphase der Infektion. Wo im Krankheitsverlauf eine infizierte Person stehe, werde also erst durch mehrere Tests an Folgetagen deutlich – zusammen mit dem Betrachten der Krankheitssymptome. «Darum kann man nie aufgrund eines Einzelwerts darauf schliessen, ob jemand noch infektiös ist oder nicht», fasst der Virologe zusammen. Man müsse immer den Verlauf anschauen.
Den Entscheid, welche Massnahmen für eine erkrankte Person angezeigt sind oder nicht, fällen laut Huber letztlich die betreuenden medizinischen Fachpersonen. «Denn wir im Labor kennen die Vorgeschichte einer Probe meist nicht.» Weil dies medizinische Fachleute für jeden Fall individuell beurteilen müssen, hat das Bundesamt für Gesundheit auch keinen Ct-Schwellenwert festgesetzt, ab dem bestimmte Massnahmen wie Isolation oder Quarantäne wegfallen.
Olympia: Täglich testen ist sinnvoll
Was heisst das Ganze nun für China? Vor dem Hintergrund, dass ein Ct-Wert schon am Folgetag ganz anders ausfallen kann, sei es sicher sinnvoll, dass die Athleten in China mehrfach getestet würden, sagt Huber. Seine Einschätzung zur Senkung von Chinas Ct-Wert von 40 auf 35, um Betroffene aus der Isolation zu entlassen, geht denn auch in diese Richtung: «Jemand mit einem Ct-Wert von 35, von dem wir den Krankheitsverlauf kennen und wissen, er oder sie steht am Ende einer Covid-Infektion, ist nicht mehr infektiös. Vorausgesetzt natürlich, die Probe wurde richtig abgenommen – also mit einem Nasenrachenabstrich und nicht nur oberflächlich am Naseneingang.»
Im Vergleich zu China hat etwa Deutschland für positiv Getestete einen Ct-Wert von 30 festgesetzt, damit sie die Isolierung beenden können. Solche international unterschiedliche Handhabungen lassen die Frage aufkommen: Wie wäre die Situation in der Schweiz, wenn es einen Ct-Grenzwert gäbe – beispielsweise 35 – ,um einen Test als positiv zu werten? Hätten wir dann tiefere Corona-Fallzahlen? Lassen sich die Corona-Fallzahlen überhaupt länderweit vergleichen? «Ein hypothetischer Grenzwert von 35, um Tests überhaupt als positiv zu werten, hätte keinen Einfluss auf die Fallzahlen», sagt Michael Huber «Denn wenn jemand positiv getestet wird, hat er in der Regel einen tieferen Ct-Wert als 30.» Das Gros der akuten Corona-Fälle liegt seinen Erfahrungen zufolge im Bereich von 16 bis 30, mit einem Peak bei 20. Daran hat auch Omikron nichts geändert. Bei den Grenzwerten gehe es allein um die Frage der Schutzmassnahmen – also konkret, ab wann jemand aus der Isolation entlassen werden könne.
Omikron: Nicht alles Tests sind ausreichend
Die Omikron-Variante hat in den medizinischen Labors aber dennoch Spuren hinterlassen. Insbesondere zeigte die neue Situation, wie wichtig PCR-Tests sind, die mehr als einen Genomabschnitt des Virus nachweisen. «Denn die Omikron-Variante hat im Vergleich zu anderen Virusvarianten eine Lücke im S-Gen, kann aber auf dem N-Gen und dem E-Gen nachgewiesen werden», erklärt Michael Huber. Für die olympischen Spiele in China wird darum ein Test, der nur das S-Gen detektiert, nicht akzeptiert. Eine Omikron-Infektion würde sonst nicht erkannt werden. Auch die PCR-Systeme, die im Labor der Universität Zürich verwendet werden, können mindestens zwei Gene nachweisen, sagt Huber. Um welche Variante des Virus es sich genau handelt, wird in einem Zusatzverfahren ermittelt. Dieses werde laufend an die aktuellen Mutationen angepasst, sagt Huber. Der erste grundsätzliche Nachweis einer Infektion aber sei im Testverfahren immer noch derselbe wie zu Beginn der Pandemie.