Das musst du wissen

  • Eine aktuelle Studie zeigt, dass Covid-19 Erektionsstörungen hervorrufen und vorhandene Störungen verschlimmern kann.
  • Die Ursache könnte entweder eine physiologische Veränderung der Blutgefässe oder auch psychischer Stress sein.
  • Noch nicht bekannt ist, ob diese Erektionsstörungen vorübergehend oder dauerhaft sind.

Warum es wichtig ist, darüber zu sprechen. Die sexuelle Gesundheit des Mannes bleibt ein Tabu. Laut einer Umfrage des französischen Meinungs- und Marktforschungsinstituts Ifop vom Mai 2019 haben nur 23 Prozent der Männer mit erektiler Dysfunktion jemals deswegen einen Mediziner konsultiert. Auch wenn es häufig vorkommt und sich leicht durch verschiedene Faktoren erklären lässt, bleibt die sexuelle Panne nach wie vor ein sensibles Thema. Heute warnen Urologen, Andrologen und Sexualwissenschaftler vor einem Zusammenhang zwischen Covid-19 und erektiler Dysfunktion. Sie betonen, wie wichtig es ist, die männliche Bevölkerung über diese Folge der Infektion zu informieren, um ihnen eine angemessene Behandlung anzubieten.

Zustrom von Patienten. Gilbert Bou Jaoude ist Sexologe und wissenschaftlicher Koordinator der medizinischen Online-Beratungsplattform für die sexuelle Gesundheit des Mannes Charles.co. Seit Beginn der Gesundheitskrise stellt er einen Anstieg von Anfragen fest:

«Zu Beginn des ersten Lockdowns dachten wir, dass die steigenden Anfragen mit der Schliessung von Arztpraxen zusammenhängen. Wir merkten bald, dass dies nur zum Teil stimmte. Zuerst brachten wir den Anstieg der Online-Konsultationen für erektile Dysfunktion in Zusammenhang mit dem angstauslösenden Klima, insbesondere bei Männern, die auswärts arbeiteten und Angst hatten, das Virus nach Hause zu bringen.

Dann, in den letzten sechs Monaten, als sich mehr Leute mit Covid-19 ansteckten, hatten wir Anfragen zu Erektionsstörungen, die physiologisch mit der Virusinfektion zusammenhängen. Es begann mit Männern, die zuvor schon kleinere Probleme hatten und bei denen die übliche Behandlung unzureichend geworden war. Dann kamen Männer, die vorher keinerlei Schwierigkeiten hatten.»

Dies ist der Fall von Vincent, 42, der bereit war, auszusagen:

«Wahrscheinlich habe ich mich im öffentlichen Transport oder in einer der Schulen angesteckt, wo ich gelegentlich zu tun habe und das persönliche Gespräch noch obligatorisch ist. Ich litt 24 Stunden lang an hohem Fieber, Augenentzündungen, starkem Durchfall und enormer Müdigkeit, gefolgt von vier Tagen mässigem Fieber und starker Müdigkeit. Heute, einen Monat nach den ersten Symptomen, geht es mir insgesamt besser, aber ich habe keine Libido und keine Erektion. Zuvor hatte ich damit überhaupt kein Problem und auch keinen medizinischen Grund dafür.

Ich fühle eine grosse Leere und bin zwischen Wut und Ungeduld hin- und hergerissen. Ich habe mit meinem Arzt darüber gesprochen. Er sagte mir, dass wir im Moment noch nicht viel darüber wissen. Er war genau so hilflos wie ich.»

Mehrere Faktoren. Forschende interessieren sich jedoch schon seit einigen Monaten für dieses Thema. In einer aktuellen Studie liefern italienische Wissenschaftler der Universität Rom nun erste Hinweise dafür, dass ein Zusammenhang zwischen erektiler Dysfunktion und Covid-19 besteht. Sie untersuchten einhundert Patienten, wovon 25 Covid-positiv und der Rest Covid-negativ waren. Bei den Erkrankten kam eine erektile Dysfunktion signifikant häufiger vor als bei den gesunden Patienten. Dabei könnten die beobachteten Zusammenhänge sowohl psychologisch als auch physiologisch sein. Darüber hinaus sind die Risikofaktoren für die Entwicklung einer schweren Form von Covid-19 – beispielsweise Diabetes oder Bluthochdruck – die gleichen wie die für die Entwicklung einer erektilen Dysfunktion.

Science-Check ✓

Studie: “Mask up to keep it up”: Preliminary evidence of the association between erectile dysfunction and COVID‐19KommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Forschenden führten während des ersten Lockdowns in Italien eine Online-Befragung durch. Sowohl die Diagnose der Covid-19-Erkrankungen als auch jene der erektilen Dysfunktion basieren dabei auf den Angaben der Umfrageteilnehmern und nicht auf ärztlichen Abklärungen und Nasen-Rachen-Abstrichen. Auch konnte die Umfrage keine anderen Einflussfaktoren, die die sexuelle Gesundheit beeinflussen, untersuchen. Dazu gehören etwa Krankheiten wie Diabetes, endokrine Störungen oder Bluthochdruck, Behandlungen mit Antidepressiva oder Gewohnheiten wie das Rauchen. Auch ist die Stichprobengrösse eher gering. Damit liefern diese Ergebnisse nur einen vorläufigen Beweis für einen Zusammenhang zwischen Covid-19 und erektiler Dysfunktion.Mehr Infos zu dieser Studie...

Andrea Sansone, Androloge und Mitautor der Studie, erklärt, dass Covid-19 wahrscheinlich aus verschiedenen Gründen Erektionsstörungen verursachen kann:

«Beginnen wir mit einer einfachen Tatsache: Die erektile Dysfunktion ist eng mit der endothelialen Dysfunktion verbunden, das heisst einer Abnahme der Gefässerweiterung der inneren Zellwand der Blutgefässe. Einige Arbeiten haben gezeigt, dass das Endothel durch Covid-19 beeinflusst wird. Wir haben uns daher gefragt, ob Covid-19 möglicherweise eine erektile Dysfunktion hervorrufen oder bei vorhandener Störung, diese verschlimmern kann.  Die Antwort lautete: Ja.

Bei Menschen mit unproblematischem Endothel können wir die erektile Dysfunktion leicht durch vorübergehende psychologische Schwierigkeiten erklären. Viele Menschen sind besorgt über die potenziellen Auswirkungen des Lockdowns und sozialer Distanzierung, die zu erhöhter Angst und Depression führen können. Es ist bekannt, dass psychischer Stress negative Auswirkungen auf die sexuelle Gesundheit haben kann. So wäre ein Zusammenhang zwischen ‘Covid-Angst’ und sexueller Dysfunktion nicht überraschend.»

Zu diesen vorhersehbaren Faktoren nennt der italienische Androloge weitere, eher indirekte:

«Sicher sind nicht nur psychischer Stress und endotheliale Dysfunktion im Spiel. Die bekanntesten Komplikationen von Covid-19 sind Lungenentzündung und Dyspnoe, also Atemnot. Personen, die nach einer Covid-19-Pneumonie kaum noch in der Lage sind, Treppen zu steigen, sind höchstwahrscheinlich nicht in der Lage, Geschlechtsverkehr zu haben. Darüber hinaus beeinträchtigt die reduzierte Verfügbarkeit von Sauerstoff die Erektionsmechanismen, was Erektionsschwierigkeiten fördert.

Es gibt auch Hinweise darauf, dass der Testosteronspiegel nach Covid-19 sinkt, möglicherweise aufgrund einer indirekten Hodenschädigung. Verringertes Testosteron wird mit einem schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand in Verbindung gebracht. Schliesslich können auch Anosmie und Ageusie, also der Verlust von Geschmack und Geruch,  das sexuelle Verlangen beeinflussen.»

Noch ist unbekannt, ob diese Störungen vorübergehend oder dauerhaft sind.

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Medizinische Beratung. In jedem Fall gibt es Lösungen, um diese Störungen zu lindern. Es ist absolut normal – Covid hin oder her – eine vorübergehende Abnahme der Libido und erektile Dysfunktion zu erleben. Wenn diese länger als drei Monate dauert, sollten man sich aber beraten lassen, wie der Sexologe Gilbert Bou Jaoude empfiehlt:

«Wenn Erektionsschwierigkeiten auftreten, sollte man wirklich nicht zögern, sich beraten zu lassen. Das Problem könnte chronisch und schwieriger zu behandeln werden, oder der Patient könnte in einen Teufelskreis aus Versagen und vermindertem Selbstwertgefühl geraten. Ob es sich um Durchblutungsstörungen oder ein hormonelles Ungleichgewicht handelt, wir können sichere und wirksame Medikamente anbieten.»

Denn wie ein andere Studie der italienischen Wissenschaftler aus Rom zeigt, sind eine gute sexuelle Gesundheit und eine erfüllte Sexualität in Zeiten einer Gesundheitskrise besonders wichtig.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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