Das musst du wissen

  • In Grossbritannien gibt es zu wenig Regenwürmer, fand man bei Zählungen heraus. Besonders in der Tiefe fehlen sie.
  • Das liegt an der intensiven Bewirtschaftung der Böden, dem Mikroplastik und den Pestiziden.
  • Auch in der Schweiz nimmt die Anzahl der Kriecher ab. Dabei braucht es sie für den Wasserhaushalt der Böden.

Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass es immer weniger Insekten gibt. Weniger sichtbar, aber nicht weniger wichtig, ist die Artenvielfalt unter der Erde. Zwei Fünftel der britischen Äcker enthalten nämlich nicht genügend verschiedene Regenwürmer, hat die erste britische Wurmzählung ergeben. Für das Citizen Science Projekt, das vom Agrarforschungsinstitut Rothamsted Research Centre initiiert wurde, untersuchten Landwirte Proben ihrer Böden.

Was ist Citizen Science?


Bei Cititzen Science oder Bürgerwissenschaft werden Messungen, Datensammlungen oder -auswertungen unter Mithilfe oder vollständig von Laien durchgeführt. Die Bandbreite der Projekte reicht vom Protein-Design bis zur Mückenzählung. Ein in der Schweiz bekanntes Citizen Science Projekt ist der Swiss Litter Report, für den Freiwillige ein Jahr lang regelmässig den Müll am Ufer von Oberflächengewässern gesammelt, gezählt und kategorisiert haben.

Regenwürmer sind die unscheinbaren Stars im Ökosystem. Sie lockern den Boden auf, düngen ihn und sorgen mit ihren Tunneln dafür, dass das Wasser abfliesst. Zudem sind sie Nahrungsgrundlage für andere Tiere. Ihre Rolle wird gewaltig unterschätzt. «Eine Welt ohne Regenwürmer wäre vermutlich noch drastischer als eine Welt ohne Bienen», sagte beispielsweise der Agrarökologe Lukas Pfiffner vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) einst in einem Beitrag des SRF über Regenwürmer.

Gestresst durch Zivilisation

Ein gesunder Boden enthält zwischen einer Million und drei Millionen Regenwürmer pro Hektar. In der Schweiz gibt es etwa 40 verschiedene Arten, in Grossbritannien 27. Wie fast alle Wildtiere leiden sie unter Zivilisationsstress. Je intensiver der Boden bewirtschaftet wird, desto weniger Würmer finden sich. Enthält er viel Mikroplastik, kann das Regenwürmer töten, auch Pestizide mögen sie nicht. Regenwürmer sind empfindlich. Wird es ihnen zu trocken, rollen sie sich an einer kühlen Bodenstelle zusammen. Dafür gibt es immer weniger Rückzugsräume, wie Hecken, Feldsäume oder einzelnen Bäume.

Die Teilnehmer der Studie #60minworm nahmen im Frühjahr 2018 Proben ihrer Böden, zählten die Würmer darin und ordneten sie drei Kategorien zu. Sie unterschieden dabei tiefgrabende, flachgrabende und oberflächenbewohnende Würmer. In einem gesunden Boden sind alle drei Arten vertreten. Insgesamt wurden auf 1‘300 Hektaren Proben genommen, je zehn pro Feld. In 70 Prozent aller Felder fand sich in einem Erdwürfel von 20 Zentimetern Kantenlänge wenigsten ein Wurm, im durchschnittlichen Feld waren es neun. Eines von zehn Feldern erreichte 16 Würmer pro Würfel.

Kaum noch Tiefenwürmer

Gemäss fehlerbereinigten Hochrechnungen fanden sich in den 126 untersuchten englischen Feldern zwischen 0,75 und 7 Millionen Würmer pro Hektar, also an einigen Stellen zu wenige. Das sei einer der Gründe für den drastischen Rückgang der Singdrossel in Grossbritannien, heisst es bei Rothamsted Research. Die Population des beliebten Singvogels, der sich unter anderem von Regenwürmern ernährt, hat sich dort seit 1979 um 75 Prozent verringert.

Mit der Vielfalt der Arten sieht es ähnlich aus. Auf 21 Prozent der Felder lebten keine Oberflächenwürmer, auf 16 Prozent keine Tiefenwürmer. Jackie Stroud, Bodenkundlerin und Leiterin der Studie, hält vor allem letzteres für besorgniserregend. Tiefenwürmer sorgen für Durchlüftung und sind wichtig für den Wasserhaushalt. Dank ihrer Tunnel kann Wasser abfliessen. Und da sie sich sehr langsam vermehren, kann es Jahrzehnte dauern, bis sich eine Population erholt hat.

In der Schweiz ähnlich

Die Würmer verschwinden nicht nur in England, auch in der Schweiz nehmen Wurmpopulationen und die Diversität ab. «Wir stellen in vielen Agrarlandflächen einen starken Rückgang der Regenwurmdichte und -vielfalt fest», bestätigt Lukas Pfiffner auf Anfrage. «Ich habe den Eindruck, wir haben ein sehr ähnliches Phänomen wie beim Insektensterben», sagt der Agrarexperte.

Auch Pfiffner sorgt sich um die wichtigen Gräber von vertikalen Tunneln. Seine Untersuchungen haben gezeigt, dass es Regenwürmern in biologisch bewirtschafteten Böden ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Dünger wesentlich besser geht. Eine Rolle spiele auch die Fruchtfolge, die bei intensiv genutzten Feldern eher monoton ist, und der Einsatz von schweren Maschinen, die den Boden durch ihr Gewicht zu sehr verdichten.

Das britische Pilotprojekt, dessen Ergebnisse im Februar im Open Access Magazin «PLOS ONE» (Public Library of Science) publiziert wurden, hat bereits eine grössere Studie zur Untersuchung der Bodenqualität angestossen. Und mehr als die Hälfte der teilnehmenden Landwirte gab an, sie hätten vor, ihre Bewirtschaftungsmethoden zu ändern. Einen Teilnehmer machten die Resultate so besorgt, dass er professionelle Hilfe suchte, um die Bodenqualität zu verbessern.

Diesen Beitrag haben wir ursprünglich für nau.ch geschrieben.
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