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Manche Leserinnen oder Leser werfen mir vor, ich hätte ein zu materialistisches Weltbild, weil ich mich immer auf die Naturgesetze stütze. Sie schreiben mir «da muss doch noch etwas sein», oder werfen mir vor, ich ignoriere das «Immaterielle» und «Feinstoffliche».

Meine Antwort dazu hat zwei Teile:

Erstens negiere ich das Immaterielle überhaupt nicht. Ein Sonnenuntergang kann mich berühren, ebenso Musik. Liebe ist etwas unvorstellbar Schönes und Wertvolles. Diese Empfindungen haben mit Physik zunächst nichts zu tun, obschon die Phänomene, welche die Empfindungen auslösen, durchaus physikalisch nüchtern zu erklären sind. Doch man muss den Dingen ja nicht jeden Zauber nehmen.

Wobei trotzdem noch anzumerken ist, dass Gedanken und Gefühle nur existieren, solange eine Person beziehungsweise ein Gehirn existiert, die diese denken und fühlen kann.

Jetzt kommt das Zweitens und es wird wieder naturwissenschaftlich: Die Vorstellung, dass neben der erklärbaren Welt noch ein riesiges unerklärbares Universum existiert, ist nicht direkt falsch, aber problematisch. Denn da kann man irgendetwas behaupten, und niemand kann es bestätigen oder widerlegen. Das mag für spekulative Diskussionen gehen, hilft aber nicht, die Welt zu verstehen.

Natürlich kann die Physik die Welt noch nicht bis ins letzte Detail erklären, aber zumindest sind die Lücken in den Erklärungen bekannt. In der Fachsprache redet man vom «known unknown», vom bekannten Unbekannten. Ein berühmtes Beispiel ist das Higgs-Boson. Im Jahr 1964 entwickelten Peter Higgs und zwei Forscherteams – unabhängig voneinander – dieselbe Erklärung dafür, warum Elementarteilchen, die an sich keine Masse haben, sich doch so verhalten, als hätten sie eine. Das ist die theoretische Geburtsstunde des Higgs-Felds. Ob es dieses gibt, konnte niemand zeigen, aber es musste existieren, weil sonst viele bis dahin gültige physikalische Erkenntnisse nicht gestimmt hätten.

Der experimentelle Nachweis des Higgs-Bosons gelang erst mehr als 50 Jahre später. Im Juli 2012 konnte das Cern den Nachweis erbringen. Und ein Jahr später erhielten Peter Higgs und François Englert für ihre theoretische Voraussage den Nobelpreis für Physik.

Man hat also etwas gefunden, das bisher unbekannt war, von dem man aber wusste, dass es existieren muss.

Wo aber soll man das feinstoffliche «Irgendetwas existiert da noch» suchen, wenn man nicht angeben kann, wo die Lücke im Weltbild besteht? Und wenn man nicht weiss, wie und vor allem wonach man suchen soll? Oder anders gesagt: Bei soviel Unbekannten bastelt sich jeder und jede ein eigenes Loch im Weltbild und füllt es mit dem unbekannten Unbekannten. Das ist dann aber Spekulation und Fantasterei und trägt nicht zum Erklären der Welt bei.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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