Das Sensory-Motor Systems Lab an der ETH ist bekannt für medienwirksame Inszenierungen. Der Leiter Robert Riener ist der Initiant des sogenannten Cybathlons, eines Wettkampfes, an dem sich Menschen mit diversen körperlichen Behinderungen im Gebrauch ihrer Prothesen messen. So werden Menschen mit gelähmten oder amputierten Gliedmassen zu «Piloten» und medizintechnische Entwicklungen als Spektakel inszeniert. Dies weckt einerseits beim Publikum ein breites Interesse für diese Art Forschung, andererseits steigert es bei Investoren die Bereitschaft, in die Entwicklung eines wissenschaftlichen Prototyps zum marktfähigen Produkt einzusteigen.
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Am vergangenen Wochenende zeigte Robert Riener einmal mehr ein sicheres Gespür für Inszenierung. An der «Art Safiental», einer mehrwöchigen künstlerischen Aktion, liess er eine Tänzerin einen Robotertanz vorführen, der das Thema Analog/Digital visualisierte. Und: das Publikum hatte die Gelegenheit, einen querschnittgelähmten Mann auf einer Bergwanderung zu begleiten.
Lorenz Schwärzler hat sich vor rund dreissig Jahren bei einem Badeunfall schwer verletzt und ist seither unterhalb des fünften Halswirbels gelähmt. Er kann zwar als IT-Spezialist arbeiten, ist aber auf den Rollstuhl angewiesen. Jedoch besitzt er noch eine geringe Kraft in den Extremitäten. Und dies ist der Umstand, den der «Myosuit» nutzt.
Das Exoskelett misst geringe Bewegungsimpulse, die sein Träger gibt, verstärkt diese in einem Steuerungsgerät, das der Patient auf dem Rücken trägt und leitet die Bewegungen über ein System von Zügen an die Extremitäten zurück. Der Patient wird zum Piloten und kann trotz seiner nur noch minimal vorhandenen Kraft wieder gehen. So lässt sich der Anzug in der Therapie, dem körperlichen Training oder eben zum Wandern nutzen. Dabei geht es nicht um ein Krafttraining, wie Lorenz Schwärzler sagt, sondern vor allem auch darum, den Kreislauf auf Touren zu bringen. «Das ist unbedingt nötig», erklärt Schwärzler, «weil ich den ganzen Tag im Rollstuhl sitze.»
Seine Augen glänzen, als er auf gut 1800 Metern über Meer oberhalb des Weilers Tenna gegen das «Tenner Chrüz» wandert. Hier zu trainieren sei um Dimensionen anders als dies zu Hause auf dem Trainer zu tun, sagt er. Da ist das Bergpanorama, die Erinnerung an Wanderungen in der Jugend. Man spürt, der Moment geht ihm sehr nahe.
Die ganze Zeit an seiner Seite geht Jaime Duarte, selbst auch mit einem Exoskelett ausgerüstet. Doch er ist nicht gelähmt, sondern will am eigenen Körper das Gerät erfahren und erproben. Duarte war massgeblich an der Entwicklung des Geräts beteiligt. Damals noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter Robert Riener an der ETH Zürich. Heute leitet er ein Start-up namens Myoswiss, welches den robotischen Anzug bereits auf den Markt gebracht hat. Dreissig Exemplare wurden bisher zu Preis von rund 7 000 Franken verkauft. «Das ist sehr günstig», sagt Riener. «Ähnliche Geräte kosteten bisher bis zu 100 000 Franken.» Gegenwärtig setzt er sich bei der Invalidenversicherung dafür ein, dass sie die Kosten für den Myosuit für Patienten übernimmt, so wie sie deren Rollstuhl oder andere Hilfsmittel bezahlt. Und die Entwicklung geht auch an der ETH weiter. Gegenwärtig arbeitet Riener mit seinen Mitarbeitenden an einem sehr ähnlichen Gerät für das Training und die Mobilisierung der Arme.
Beim Spaziergang mit Publikum und Presse im Schlepptau schaffte es Lorenz Schwärzler einen guten Kilometer weit. Dann war er körperlich ausgepumpt. Doch er hat noch Grosses vor. Sein Ziel ist es, zehn Kilometer am Stück zu gehen.