Das Smartphone aufladen, die Wäsche waschen oder eine Serie auf Netflix streamen – in der Regel müssen wir uns keine Gedanken darüber machen, woher der Strom kommt oder ob er ausreicht, um alle unsere Geräte zu betreiben.

Auch Energieunternehmen und Forschende haben sich bislang kaum mit Fragen der Versorgung auseinandersetzen müssen. Doch solche werden mit dem Ausbau der grünen Energie plötzlich aktuell.

Erstens scheint nicht immer die Sonne und der Wind weht nicht ständig. Zweitens ändert sich die Stromnachfrage. Wenn wir die fossilen Brennstoffe hinter uns lassen, werden die meisten neuen Autos mit Batterien betrieben. Wärmepumpen werden Öl- und Gasheizungen ersetzen.

Drittens entwickelt sich der Energiemix weiter. Rund 76% des Stroms aus Schweizer Steckdosen stammt aus erneuerbaren Quellen, vor allem aus Wasserkraftwerken, während der Anteil der Kernenergie 20% beträgt. In der Schweiz gibt es nur eine Handvoll grosser Energieversorger, die Wasser- oder Kernkraftwerke betreiben. Diese Unternehmen wissen genau, wie viel Strom sie zu welcher Zeit erzeugen.

Doch die Kernkraft wird nach und nach abgeschafft und durch erneuerbare Quellen ersetzt. Heute kann jeder Haushalt mit Solarpanels auf seinem Dach Strom produzieren. Und kleine und grosse Windparks im ganzen Land speisen in das Stromnetz ein. Dies verändert die Funktionsweise des Versorgungsnetzes.

Hin zum dezentralen System

«Wir bewegen uns von einem zentralen zu einem dezentralen System, wodurch der Betrieb der Stromnetze komplexer wird», sagt der Energieexperte Matthias Eifert. Er hat die Energy Data Hackdays gegründet, eine jährliche Veranstaltung, bei der Hackerinnen, Datenanalysten und Ingenieurinnen zwei Tage lang an Lösungen tüfteln, um die Energiewende zu beschleunigen. «Die grösste Herausforderung wird sein, sicherzustellen, dass neue Erzeugungsanlagen effizient ans Netz angeschlossen werden», sagt Eifert.

Eine Lösung, die er befürwortet, ist der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI). «Maschinelles Lernen und KI können helfen, das Zusammenspiel von Energieversorgung, -nutzung und -speicherung zu optimieren und zu stabilisieren», sagt er.

Mit dieser Annahme ist Eifert nicht allein. Das Weltwirtschaftsforum sieht in der künstlichen Intelligenz ein «enormes Potenzial», um «die globale Energiewende zu beschleunigen». In einem Bericht, der im September veröffentlicht wurde, rief die Organisation Regierungen und Unternehmen dazu auf, in KI zu investieren.

Doch wie genau kann KI den Übergang zu erneuerbaren Energien unterstützen?

Der erste Schritt bestehe darin, das Verhalten der Menschen zu verstehen und herauszufinden, wo potenzielle Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage entstehen könnten, sagt Ben Bowler von der Hochschule Luzern. Er ist Senior Researcher im Bereich digitale Energie und arbeitet seit Jahren an Energiespeicherung und Netzinfrastruktur.

Es mag überraschen, aber die Versorgungsunternehmen wissen in der Regel nur sehr wenig über den Energieverbrauch der Menschen. Sie wissen, wie viel Strom jeder Haushalt in einem bestimmten Zeitraum nutzt, aber sie wissen nicht, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten der Stromverbrauch besonders hoch oder niedrig ist.

Intelligente Zähler

Eines der Projekte von Ben Bowler konzentriert sich deshalb auf die Analyse von Energiedaten mittels eines Algorithmus, um zu verstehen, wann am meisten Energie benötigt wird.

Die Daten stammen von so genannten intelligenten Zählern, die in der ganzen Schweiz eingeführt werden. Bis 2027 werden gemäss Bundesamt für Energie 80% der Haushalte mit einem solchen System ausgestattet sein. Diese Zähler überwachen den Verbrauch der Haushalte in Echtzeit und melden ihn alle 15 Minuten an die Stromversorger. So können die Unternehmen herausfinden, wann die Spitzenzeiten sind, zum Beispiel, wenn die Leute nach dem Abendessen die Spülmaschine einschalten.

«Wir versuchen, das Verhalten der Menschen vorherzusagen. Wir schauen uns an, wie viel Strom während den letzten Tagen genutzt wurde und versuchen vorherzusagen, wie der Verbrauch in Zukunft aussehen wird. Anhand der Daten können wir erkennen, ob es Probleme im Netz geben könnte», sagt Bowler.

Das Verhalten der Menschen besser zu verstehen, ist aber nur ein Teil der Gleichung. Der andere Teil besteht darin, Wege zu finden, um sicherzustellen, dass in Spitzenzeiten genügend Strom zur Verfügung steht.

Das Auto als Steckdose

Hier kommt ein weiteres Projekt von Ben Bowler ins Spiel: Er erforscht, wie die Batterien von Elektroautos als Kurzzeitspeicher für das Stromnetz genutzt werden könnten.

Mit dem steigenden Absatz von Elektroautos wird auch der Druck auf das Stromnetz zunehmen. Um Versorgungsengpässe zu vermeiden, soll das Aufladen von Autos in beide Richtungen erfolgen: Wenn der Strombedarf gering ist, werden die Autos an intelligenten Ladestationen aufgeladen. Bei hohem Bedarf könnte die in den Autobatterien gespeicherte Energie entladen und wieder ins Netz eingespeist werden.

Das Pilotprojekt an der Hochschule Luzern ist eine Zusammenarbeit mit dem Energieunternehmen Tiko und dem Start-up Sun2Wheel und wird mit 50 Fahrzeugen des Carsharing-Unternehmens Mobility getestet.

«Es geht darum, bessere Daten darüber zu erhalten, wie die Leute die Autos nutzen und wann die Autos geladen werden. Dann werden die Daten mithilfe von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz analysiert», sagt Bowler. In Deutschland und Dänemark sind zurzeit ähnliche Pilotprojekte im Gang.

Es ist noch ein langer Weg, bis die so genannte Vehicle-to-Grid-Technologie von der Erprobung zur Umsetzung kommt und schliesslich zu einem rentablen Geschäft wird.

Es gibt noch kaum Elektroautos, die bidirektionales Laden ermöglichen – Nissan, Volkswagen und Fiat gehören zu den wenigen Marken. Mobility verfügt derzeit nur über 150 Elektroautos, will aber bis 2030 seine gesamte Flotte – über 3000 Autos – elektrifizieren. Dazu braucht es aber auch mehr intelligente Ladestationen im Stil, wie sie das Schweizer Start-up Sun2Wheel entwickelt hat.

Datenschutz als Herausforderung

Eine Herausforderung ist auch der Datenschutz. Wie können die Daten, also zum Beispiel wann die Menschen Wäsche waschen oder wann sie TV-Serien schauen, genutzt werden, ohne gegen das Gesetz zu verstossen?

Ein Start-up-Unternehmen aus den USA glaubt, dass es hier Lösungen parat hat. Die Firma VIA Science, die kürzlich eine Niederlassung in Zug eröffnet hat, entwickelte ein Programm, das im Rahmen des Smart-Meter-Projekts der Hochschule Luzern getestet wird. Anstatt die Daten zu extrahieren, können die Forscherinnen sie direkt auf den Zählern auswerten. Private, persönliche Daten müssen so nirgends hingeschickt werden.

Es gibt auch eine andere Lösung für Datenschutzprobleme: die Menschen dazu bringen, ihre Daten freiwillig zu teilen. Dutzende Vertreter aus Wissenschaft, Hacking und der Energieversorgung trafen sich im September bei den Energy Data Hackdays in Brugg, um zu überlegen, wie Daten zu einem stabilen, kohlenstoffneutralen Energiesystem beitragen könnten.

Sie kamen auf das Projekt «read your own smart meter». Es würde Hausbesitzer ermöglichen, die Daten ihrer intelligenten Stromzähler zu visualisieren und ihnen Einblicke zu geben, wie viel Strom sie verwenden und wo sie möglicherweise Strom – und Geld – sparen könnten. Anschliessend können sie die Daten anonym mit den Versorgungsunternehmen teilen.

Die Schweiz ist einer der führenden Staaten im Bereich Künstliche Intelligenz. Sie ist auch eines der Länder mit den strengsten Datenschutzgesetzen. Wenn man die Datenschutzprobleme lösen kann, «können die Menschen dem Stromnetz zuarbeiten und so die Energiewende unterstützen», sagt Bowler.

Dieser Text erschien zuerst bei swissinfo.
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende