«Ich gehe jetzt auf die Achtzig zu und kann nicht so einfach sagen, was mich immer noch antreibt. Doch ich empfinde es als grosses Glück, mit meinen Fähigkeiten etwas leisten zu können, das Millionen von Menschen helfen kann.

Wir haben an der ETH Zürich eine neue Reissorte gezüchtet, die viel Leid in der Welt lindern kann.

Reis ist die Grundnahrung für mehr als zwei Milliarden Menschen. Er ist eine gute Quelle für Kalorien, aber schlecht für Vitamine und Mineralien. Als Folge leiden viele ärmere Menschen, die sich fast ausschliesslich von Reis ernähren, an Vitamin-A-Mangel. Weltweit sind etwa 190 Millionen Kinder und 19 Millionen schwangere Frauen betroffen. 500 000 Kinder erblinden jährlich.

Das Problem ist seit langem bekannt, und es wurde auch viel dagegen unternommen. Die Weltgesundheits-Organisation WHO investiert jährlich rund 100 Millionen Dollar: zum Beispiel für die Verteilung von Vitamin-A-Kapseln oder um die Leute zu einer vielseitigen Ernährung anzuleiten. Doch wie will man abwechslungsreich essen, wenn man sich ausser Reis nichts leisten kann? Gefördert wird auch die Einrichtung von Küchengärten, damit die Leute sich ihr Gemüse selbst anpflanzen. Aber in den Slums der Grossstädte haben die Menschen keinen eigenen Boden.

Der Forscher Ingo Potrykus hält ein Foto vor seinen Oberkörper und blickt ernst in die Kamera. Auf dem Foto zu sehen ist Franziskus neben einem Kardinal, der ein Säckchen Reis segnet, dass Ingo Potrykus in den Händen hält.René Ruis

Papst Franziskus gibt Ingo Potrykus und einigen Reiskörnern seinen Segen (2013).

Es braucht also noch mehr Anstrengungen. So kam in den 1990er-Jahren unter Experten die Idee auf, Reis so zu züchten, dass er im Korn Provitamin A bildet. Denn es existiert keine solche Pflanze. Auch die Versuche, mit Chemikalien oder Strahlung im Erbgut der Reispflanze Mutationen auszulösen, welche diesen Effekt haben, waren vergeblich.

Blieb nur noch die Gentechnik. So habe ich zusammen mit dem Biologen Peter Beyer von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg vorgeschlagen, alle Gene, die zur Synthese von Provitamin A nötig sind, in die Reispflanze einzubauen. Andere Experten erklärten uns für verrückt, weil der Stoffwechselweg von den ersten Vorläufermolekülen bis zum fertigen Provitamin A über acht Enzyme abläuft. Man müsste also acht Gene isolieren, regulieren, in die Reispflanze einbauen und hoffen, dass sie dort funktionieren. Es gibt also gute Gründe, warum das nicht möglich sein sollte. Doch nach acht Jahren intensiver Forschung mit zwei Forschungsgruppen hatten wir es geschafft. Im Februar 1999 stellten wir den gelben Reis vor. Es war eine Sensation. Wir waren auf den Titelblättern aller wichtigen Zeitschriften rund um die Welt.

Allerdings steht der Reis heute, fünfzehn Jahre danach, immer noch nicht auf den Feldern – weil es sich um eine gentechnisch hergestellte Pflanze handelt.

Provitamin A und Vitamin A

Vitamin A ist ein lebenswichtiges Vitamin, welches der menschliche Organismus selbst bilden kann, wenn er die chemische Grundlage dazu erhält: So produzieren Pflanzen Provitamin A, das wir mit der Nahrung aufnehmen. Dieses wandelt unser Körper in Vitamin A um.

Um den Vitamin-A-Bedarf des Menschen zu decken, reichen 40 Gramm Goldener Reis pro Tag. Dies entspricht etwa einem Fünftel der Menge, was Kinder in Bangladesch normalerweise an Reis essen. Aber selbst wenn man viel mehr Goldenen Reis essen würde, besteht keine Gefahr für eine Überdosierung. Weil unser Körper entscheidet, wie viel Vitamin A er braucht. Dies wäre anders, wenn man direkt Vitamin A abgeben würde. Hier ist eine Überdosierung möglich, was schwere gesundheitliche Schäden anrichten kann.

Natürlich hatten wir mit den Protesten der Gentech-Gegner gerechnet. Auch die Finanzierung und die Patente bereiteten uns Probleme. Doch das weitaus grössere und grundlegende Problem war und bleibt die Gesetzgebung. Sie erlaubt zum Beispiel keine so genannten Marker-Gene in den Pflanzen. Solche braucht man zusätzlich zu den Genen, die man in eine Pflanze einbringt, um jene Pflanzen zu identifizieren, welche die gewünschte Veränderung aufgenommen haben. Man muss diese Marker also wieder aus der Pflanze entfernen, bevor sie zum Anbau freigegeben wird. Dies fordern die Gesetze, obschon viele wissenschaftliche Arbeiten nachweisen, dass von Markern keine Gefahr für die Umwelt oder die Menschen ausgeht.

Umweltschützer behaupten immer wieder, gentechnisch veränderte Pflanzen seien eine Gefahr. Dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Absurderweise helfen unbegründete Gesetze ausgerechnet den Agro-Multis, die es nach Ansicht der Umweltschützer doch zu bekämpfen gilt. Tatsächlich haben Firmen wie Monsanto ein Interesse an strengen Regeln, um sich kleine Firmen mit grosser Innovationskraft im Bereich der Gentechnik vom Leibe zu halten. Weil kleine Unternehmen die gesetzlichen Auflagen nicht erfüllen können, kauften also die Multis die Kleinen auf, um an deren Know-how zu gelangen. So schlägt man die Konkurrenz aus dem Feld.

Dass ausgerechnet Umweltschützer und Multis – bewusst oder unbewusst – zusammenspannen und so eine Technologie verhindern, finde ich grotesk.

«Greenpeace muss die Verantwortung für den Tod vieler Kinder übernehmen.»Ingo Potrykus

Wir hingegen hatten von Anfang an die Absicht, diesen Reis als humanitäres Produkt zu verschenken. Die gesamte Technologie steckt im Samen; alle Patente sind durch freie Lizenzen abgesichert. Und es ist kein Export erlaubt. Das heisst, wir wollen, dass der Reis dort konsumiert wird, wo er angebaut und gebraucht wird. Wir wollen nicht, dass vermögende europäische Konsumenten den gelben Reis denen, die ihn nötig haben, abkaufen und als Mode-Gag verzehren.

Trotzdem warten wir seit Jahren auf die Zulassung für den Reis. Sie kann nur beschleunigt werden, wenn die Gesetze geändert werden. Gesetze, die übervorsichtig dem Prinzip der Vorsorge folgen, selbst wenn von einem Produkt wie dem unseren nur das kleinste hypothetische Risiko ausgeht. Ich sage nicht, wir brauchen keine Vorschriften; aber sie sollten wissenschaftlich begründbar sein. Die Lösung wäre einfach: Die gegenwärtigen Gesetze regeln eine Technologie anstatt die Produkte. Richtig wäre aber, mögliche Risiken, die von einer Pflanze ausgehen zu beurteilen und nicht alles, was gentechnisch hergestellt ist, pauschal als gefährlich zu taxieren.

Viele Leute erliegen bezüglich der Gentechnik einem grossen Irrtum: Sie glauben, dass unsere heutigen Nahrungsmittel natürliche Produkte seien. Das stimmt überhaupt nicht. Unzählige traditionelle Kulturpflanzen sind genetisch modifiziert. Die besten Pastaweizen zum Beispiel sind das Ergebnis von jahrzehntelangem Bombardement von Weizen mit Chemikalien oder radioaktiver Strahlung. Diese Art der Züchtung ist die unvorhersehbarste Veränderung des Genoms, die ich mir vorstellen kann. Trotzdem haben die Konsumenten nichts gegen diese Pasta. Aber sie sind gegen Gentechnik, obschon diese eine viel präzisere Methode ist.

Gegen unseren Reis wird auch vorgebracht, er reduziere die Artenvielfalt. Das ist Unsinn. Zurzeit sind etwa 50 verschiedene Sorten des Goldenen Reises in Entwicklung. Sie werden an die agronomischen Bedingungen der verschiedenen Länder und an die Nahrungspräferenzen der dort lebenden Menschen angepasst.

Ich habe in den letzten 28 Jahren unzählige Gespräche mit der Opposition geführt und dabei die Erfahrung gemacht, dass die Gentechnik-Gegner im kleinen Rahmen sehr wohl zugeben können, dass sie Unrecht haben. Aber sie würden es nie in der Öffentlichkeit tun. Würden professionelle Gentech- Gegner nämlich weniger radikal auftreten, verlören sie die Unterstützung ihrer Anhänger – und damit Spendengelder. Nur die Angst, die sie mit unbelegten und zum Teil klar unwahren Argumenten in der Bevölkerung schüren, garantieren ihnen Geld und Mitglieder. Mein Fazit: Wenn langfristig Greenpeace stärker ist als wir Forscher, dann werden weiterhin Hunderttausende von Kindern erblinden und sterben. Dann muss die Organisation aber auch die Verantwortung dafür übernehmen.»

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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