Benedikt Meyer
Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Mit «Im Flug» hat er die erste wissenschaftliche Geschichte der Schweizer Luftfahrt geschrieben, mit «Nach Ohio» seinen ersten Roman veröffentlicht. Bei higgs erzählt er in der «Zeitreise» jeden Sonntag Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catherine Reponds tragischem Ende und von Henri Dunant bis zu Iris von Roten.
«Töff. Töfftöff. Töfftöfftöfftöfftöfftöfftöff!» Seit der Bund per 1.1.1961 das «Motorfahrrad» als neue Kategorie eingeführt hatte, tuckerten immer mehr Zweitakter durchs Land. Den steilsten Start legte das Mofa in Genf hin. Für Statistiker keine Überraschung: Die Mobilitätsverrückten am Léman hatten schon Fahrrad, Auto, Flugzeug als Erste adoptiert. Aber kein Verkehrsmittel verbreitete sich so rasant wie «le toff-toff». 1970 zählte die Schweiz bereits über eine halbe Million «Töffli», oder anders gesagt: Quer durch die 1960er kurvten jeden Tag 130 Maschinen mehr durchs Land, als am Tag zuvor.
50 ccm, 30 km/h, 75 Dezibel, fahrbar ab 14 Jahren. Prüfung: unnötig. Es gehe darum, der Landjugend den Zugang zu Berufsschulen und Gymnasien zu erleichtern, hatte der Bundesrat argumentiert. Mit Erfolg: ländliche, hügelige, schwach besiedelte Gebiete wurden bald Töffli-Gegenden par excellence. Auf dem Höhepunkt der Töffli-Euphorie hatte jeder siebte Berner, Obwaldner oder Solothurner ein Gefährt.
Gerade unter Jugendlichen war «Puch oder Piaggio?» eine ebenso wichtige Frage wie «Beatles oder Stones?». Der Zweitakt war der meistgehörte Beat und der konnte dank kleinerer, beinahe legaler Basteleien auch mal etwas lauter klingen. Die ersten Jeans, die erste Liebe, die Vinylschallplatten und die Touren mit Töffli und Freunden über den Schallenberg, den Gotthard, die Vue des Alpes zum Zelten am See.
Die Töffli tuckerten durch eine Schweiz im Wandel. Autobahnen zerschnitten das Terrain, Dorfplätze mutierten zu Kreuzungen und Läden wanderten in «Zentren» in der Peripherie. Die Schweiz wurde motorisiert. 1960 besass jeder zehnte ein Auto, 1970 jeder vierte und die Freude am Motor war so ungebrochen, dass beispielsweise Bern über eine Autobahn quer durch die Altstadt diskutierte. Velos hingegen verschwanden aus dem Strassenbild.
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Motorenlust und Töffli-Boom verflachten in den 1970ern. Ölkrisen, Staus und Lärmklagen, das Bewusstsein für die Gesundheit und die Ökologie: der Zeitgeist sprach nicht mehr fürs Töffli und so gingen die Bestände ab Ende der 1970er zurück.
Immerhin setzte der Westschweizer Filmer Yves Yersin dem Töffli 1979 noch ein liebevolles Denkmal, eine gemächlich dahintuckernde Geschichte über einen alten Knecht und sein toff-toff. Der passende Titel: «Les petites fugues».