Das musst du wissen

  • Negative Kampagnen zielen in der Politik darauf ab, Mitkandidierende zu kritisieren.
  • Die Zielgruppen solcher Kampagnen sind aber unterschiedlich.
  • Gewisse Kampagnen wollen Wähler der anderen Parteien überzeugen, andere die eigene Wählerschaft mobilisieren.

Im Wahlkampf von 2019 hat die CVP für Schlagzeilen gesorgt, als sie Kandierende anderer Parteien angriff: Sie schaltete mit einer auf den ersten Blick neutralen Webseite google ads zu Kandidierenden anderer Parteien. Auf der Webseite wurden die Positionen der Kandidierenden dann kritisiert und auf die Webseite der CVP weitergeleitet. Die nicht sehr überraschende Antwort der Medienwelt war die Verurteilung einer solchen negativen Kampagne, welche nicht zur Schweizer Politikkultur gehören würde. Tatsache ist aber, dass Kritik unter Parteien sehr wohl auch in der Schweiz zum Wahlkampf gehört. Diese ist auch nicht immer zu verurteilen. Wenn sich die Kritik dabei auf Inhalte konzentriert, wie dies auch bei der CVP Kampagne der Fall war, kann sie zur besseren Informiertheit der Wähler und Wählerinnen beitragen.
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Die negativen Reaktionen auf die CVP-Kampagne zeigen, dass eine negative Kampagne für Parteien mit einem relativ grossen Risiko eines Reputationsverlustes verbunden ist. Dass die Parteien ein solches Risiko trotzdem immer wieder eingehen, hat damit zu tun, dass sie sich auch wichtige Vorteile versprechen. Neben medialer Aufmerksamkeit (Konflikt verkauft sich gut) geht es dabei auch um den Gewinn von Wählerstimmen. Welche Wähler und Wählerinnen Parteien dabei anzusprechen versuchen, habe ich anhand von Schweizer Daten untersucht.

Mobilisieren oder Überzeugen?

In der Literatur zu negativen Kampagnen, stark geprägt durch die US-Amerikanische Forschung, wird generell davon ausgegangen, dass ihr Zweck darin besteht, Wähler und Wählerinnen von anderen Parteien abzuwerben, indem die Mitbewerber als eine schlechtere Option dargestellt werden. Es geht bei negativen Kampagnen also um «chasing» – das Überzeugen von Wechselwähler und -wählerinnen und nicht um «mobilizing» – das Mobilisieren der eigenen Basis.

Ich hingegen argumentiere, dass negative Kampagnen für Parteien auch eine wichtige Mobilisierungsfunktion haben und sie damit auch ihre Stammwählenden als Zielgruppe ansprechen wollen. Negative Kampagnen scheinen sehr gut geeignet für die Mobilisierung. Einerseits erlaubt die Warnung vor einem gemeinsamen Gegner eine Stärkung der in-group-Identifikation und der Wahlabsicht der Stammwählerschaft. Andererseits zeigt Negativität der eigenen Anhängerschaft die Wichtigkeit der Wahlen auf und kann sie an die Urne bringen.

Ich überprüfte dieses Argument basierend auf Interviews mit Kampagnenverantwortlichen sowie mit Hilfe der Gegner, welche die Parteien für ihre Angriffe in Pressemitteilungen und Zeitungsinserate auswählen. Die Annahme ist dabei die Folgende: Sind Wechselwähler und -wählerinnen die Zielgruppe der Attacke, wird eine gegnerische Partei mit möglichst vielen potentiellen Wählern und Wählerinnen angegriffen. Dementsprechend gibt es eine starke Überlappung der Wählerbasen der angreifenden und der angegriffenen Partei.

Science-Check ✓

Studie: Mobilizing and Chasing: The voter targeting of negative campaigning — Lessons from the Swiss caseKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsEin limitierender Faktor der Studie ist, dass bei der qualitativen Analyse die Sicht der SVP als wählerstärkste Partei der Schweiz nicht eingeflossen ist, weil die Partei an der Studie nicht teilhaben wollte. Dies wird aber durch die quantitative Analyse des Kampagnenmaterials etwas abgeschwächt.Mehr Infos zu dieser Studie...

Ein Beispiel: Die FDP würde mit dieser Zielsetzung die GLP angreifen. Sie kann sich gute Chancen ausrechnen GLP-Wähler oder -wählerinnen für sich zu gewinnen und muss gleichzeitig befürchten, Wählende an die GLP zu verlieren.

«Natürlichen Feind» angreifen

Ist hingegen die Stammwählerschaft die Zielgruppe der Attacke, wird eine gegnerische Partei angegriffen, welche von den Stammwählenden der angreifenden Partei stark abgelehnt wird. Die FDP würde mit dieser Zielsetzung die SP angreifen. Für die FDP scheint es unwahrscheinlich, viele SP-Wählende von sich zu überzeugen. Aber die «staatsverliebte» SP kann ein gutes Ziel sein, um oftmals «staatskritische» FDP-Sympathisanten und -Sympathisantinnen in ihrer Wahlabsicht zu stärken und zu mobilisieren.

Die Interviews mit Kampagnenverantwortlichen sowie das Angriffsverhalten der Parteien unterstützten das Mobilisierungsargument. Eine Mehrheit der befragen Personen sagten, dass sie negative Kampagnen eher zur Mobilisierung der eigenen Wählerschaft als zur Überzeugung der Wählenden anderer Parteien nützen würden. Ein Partei-Exponent betonte ausdrücklich, dass sie vor allem ihren «natürlichen Feind» angreifen würden, welcher von der eigenen Basis einhellig abgelehnt wird. Mit diesem könnten sie problemlos streiten ohne Gefahr zu laufen, potentielle Wähler und Wählerinnen vor den Kopf zu stossen.

Das Mobilisierungsargument wird schliesslich auch dadurch gestärkt, dass Parteien nicht nur einzelne Parteien, sondern auch die gegnerischen Parteilager angreifen. So scheint die SP bei jeder Wahl vor einem Rechtsrutsch (2015) oder einem Fortbestand der rechten Mehrheit (2019) zu warnen. Und die SVP warnte schon 2011 vor den «Linken und Netten» und wiederholte dies 2019 mit ihrem viel kritisierten Apfel-Plakat. Diese Angriffe scheinen klar darauf abzuzielen die eigene Basis zu mobilisieren und nicht Wählende bei den «Rechten» oder den «Linken und Netten» abzuwerben.

Diese Analyse bedeutet nicht, dass in der Schweiz «chasing»-Strategien keine Rolle spielen. Natürlich benutzen auch in der Schweiz Parteien die Kritik an direkten Konkurrenten, um besser dazustehen. Ein klares Beispiel waren zum Beispiel Zeitungsinserate der FDP, welche 2011 die GLP für ihre Listenverbindungen mit der EDU kritisierten. Die Webseite der CVP in der letztjährigen Kampagne scheint ebenfalls diesen Zweck zu verfolgen.

Es ist zudem zu erwarten, dass in Ländern mit Regierung und Opposition «chasing»-Strategien eine grössere Rolle spielen. Trotzdem weisen die Resultate von anderen Ländern darauf hin, dass die Mobilisierungsfunktion von negativen Kampagnen nicht auf den Schweizer Kontext begrenzt ist. In der USA kann zum Beispiel erwartet werden, dass für die Biden-Kampagne die Kritik an Trump eine wichtige Rolle spielen wird, um die eigene Basis zu einen und zu mobilisieren.

DeFacto

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