Das Folgen von Dogmen, Gurus oder Priester aller Religionen kann die Erkenntnisse aus der direkten Beobachtung nicht übertreffen. Wissenschaft ist bei weitem die erfolgreichste Art und Weise, die Welt zu verstehen.
Die Welt zu verstehen ist zunächst wichtig, um die Stellung des Menschen im Universum und auf der Erde richtig zu beurteilen; es ist aber auch von grosser Bedeutung, um Kunst und Artefakt der Natur gegenüber in Betracht zu nehmen; es ist essenziell um überhaupt unsere intellektuelle Kraft in Machen, Werken und Handlung umzuwandeln. Es gibt schlussendlich nichts, dass die Menschheit je produziert hat, das nicht auf der Beobachtung der Natur zurückzuführen ist.
Aber unsere Werkzeuge, Infrastruktur, Landwirtschaft, Mobilität, Elektronik und vieles andere, das wir aufgebaut haben, hat deutliche Spuren auf dem Planeten hinterlassen. Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen. Der Platz, den wir einnehmen, verdrängt andere Tier- und Pflanzenarten aus ihren natürlichen Umgebungen. Dies geschieht direkt, indem wir Platz für die menschliche Bevölkerung und ihre Nahrungsproduktion brauchen; indirekt, wenn wir chemisch oder physisch in der Pflanz- und Tierwelt eingreifen; noch indirekter, durch menschenbedingte Klimabeeinflussung. Andere Tier- und Pflanzenarten ändern, wie wir auch, ihre Umgebung. Was aber mit den Menschen in den letzten paar Jahrhunderten und immer mehr in den letzten Jahrzehnten neu ist, ist das unser Wirken planetenweit zu spüren ist.
Die menschliche Aktivität ist heutzutage so wirksam, dass wir für das Wohlsein der Bevölkerung fürchten sollten. Dies ist auch nicht menschenspezifisch, andere Lebensarten vermehren sich solange bis ihre Lebensbedingungen für die entsprechende Population ungeeignet werden. Die Natur ist dynamisch und besitzt kein statisches Gleichgewicht. Anders als für andere Spezies können wir aber die Konsequenzen unserer Handlung messen, wahrnehmen und bis zu einem gewissen Grad in die Zukunft extrapolieren. Diese Fähigkeit ruht auch in den Kenntnissen, die wir von der Beobachtung der Natur gewonnen haben.
Anders als andere Tier- und Pflanzenarten haben wir die Fähigkeit, unsere Erkenntnisse so zu nutzen, dass wir unsere Lebensbedingungen und damit auch diejenigen anderer Lebewesen, so beeinflussen können, dass sie lebensgerecht bleiben. Es ist auch hier das wissenschaftlich Gelernte, das diese Entwicklung gestattet. In dieser Richtung zu wirken ist uns eine moralische Verpflichtung. Eine Verpflichtung, die sonst nirgendwo in der Natur zu finden ist.
Thierry J.L. Courvoisier
Astrophysiker
Thierry.-J.L Courvoisier ist Astrophysiker, Honorarprofessor an der Universität Genf, ehemaliger Präsident der Schweizerischen Wissenschaftsakademien und Präsident des European Academies Science Advisory Council EASAC.