Oscar-Preisträger wohnen in schicken Häusern an exponierten Lagen. Dieses Bild vermitteln uns die Hochglanz Magazine dieser Welt. Dass die Realität mitunter anders aussieht, ist mir bekannt. Doch als ich erfahre, wo Hansruedi Giger lebt, staune ich dennoch. Denn der Schöpfer der Filmfigur Alien – einem schleimigen Mischwesen aus Maschine, Eidechse und Piranha – wohnt keine 100 Meter Luftlinie von mir entfernt – am Rande von Zürich-Oerlikon.

Als ich zum verabredeten Zeitpunkt vor seiner Tür stehe, kann ich es noch immer nicht glauben. Mehrfach gleiche ich die neben dem Eingang angebrachte Hausnummer mit der von mir notierten Adresse ab. Sie stimmen überein. Trotzdem: In diesem Einfamilienhaus mit verwildertem Vorgarten soll ein international verehrter Künstler leben? Erst als ich das schief in den Angeln sitzende Gartentor passiere, bin ich mir sicher. Denn die Bodenplatten in Platinen-Optik tragen unverkennbar HR Gigers Handschrift. Als mich sein Assistent, der Metal-Sänger und Gitarrist Tom G. Warrior einlässt, sind auch die letzten Zweifel verflogen. Denn im Innern des Hauses empfängt mich die für Giger so typische Dunkelheit – und der «Grossmeister des Leinwandhorrors» höchstpersönlich.

Langsamen Schrittes und nur mit einem schwarzen Seidenpyjama und Flipflops bekleidet, führt mich der Hausherr in sein «schwarzes Wohnzimmer». Dort wird unser Gespräch stattfinden. Im Türrahmen streife ich einen an einem Bindfaden aufgehängten Frauenkopf. «Das ist ein Abbild von Li (Tobler, Anm. d. Red.), meiner ersten grossen Liebe. Sie hat sich im Zimmer oben drüber das Leben genommen», sagt Giger. Ich beginne zu ahnen, dass unser Interview kein gewöhnliches wird. Doch ich lasse mir nichts anmerken und nehme gegenüber von HR Giger auf dem silberfarbenen Harkonnen-Stuhl Platz. Diesen hat der gebürtige Churer ursprünglich für den Science-Fiction-Film Dune – Der Wüstenplanet (2000) entworfen. «Als der Regisseur ausgewechselt wurde, brauchte man auch meine Entwürfe nicht mehr», erinnert sich Giger. Enttäuschungen wie diese habe es mehrere in seinem Leben gegeben. Sie erklären, warum er das Filmbusiness heute als Gangstergeschäft bezeichnet. Giger hält – wie noch so oft in den kommenden zwei Stunden – inne und starrt mich an. Ich lasse den Raum auf mich wirken. Die Wände sind schwarz gestrichen, das Licht ist spärlich. Fenster kann ich keine ausmachen.

Herr Giger, mögen Sie kein Sonnenlicht?

HR Giger: Doch, gerne sogar. In den anderen Zimmern habe ich auch Fenster. Aber meine grossen Bilder brauchen Platz. Weil es den an den Wänden nicht mehr gibt, habe ich die Leinwände hier vor die Fenster gehängt.

Es heisst, Sie arbeiten in der Nacht und schlafen am Tag. Das klingt nicht nach einem Sonnenanbeter.

Ich bin von Natur aus ein Nachtmensch. Dieser natürliche Rhythmus hat sich durch meine Arbeit mit amerikanischen Partnern noch verstärkt. Und es steckt noch bis heute in mir drin.

Jason Hickey / flickr

«Brain Salad Surgery», das Album von Emerson, Lake and Palmer mit dem Coverdesign von HR Giger.

Nach Ihrem Studium an der Kunstgewerbeschule Zürich haben Sie als Innenarchitekt und Grafiker gearbeitet. Doch erst mit Ihren Entwürfen für den Film Alien hat Ihre Karriere so richtig begonnen. Wie kam es dazu?

Ich hatte ein Grammophon-Cover für die Band Emerson, Lake and Palmer gemacht, das Ridley Scott (Regisseur des Films Alien, Anm. d. Red.) sehr gefiel. So ist er auf mich aufmerksam geworden. Weil er gehört hatte, dass ich nicht gerne fliege, ist er zu mir nach Zürich gekommen. Hier in diesen Raum. Die Zusammenarbeit hat mich bekannt gemacht.

Hat Ihnen das gefallen?

Es geht. Ich habe ganz gerne meine Ruhe. Deswegen lebe ich auch in der Schweiz. Ich kann mir keinen anderen Ort vorstellen. Hier gibt es keine aufdringlichen Fans, die mir das Leben schwer machen. Das mag ich.

Für Alien erhielten Sie den Oscar in der Kategorie Beste visuelle Effekte. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Viel. Alien ist der einzige Film, mit dem ich 100-prozentig zufrieden bin. Aber die Arbeit dafür war hart und er hat mein Leben nicht nur zum Guten verändert. Viele sahen in mir danach nur noch den Grusel-Giger und nicht mehr den Künstler. Deshalb sehe ich die Statue als Entschädigung für mein Leiden.

Ihr Name steht für schaurige Figuren. Hatten Sie schon immer ein Faible dafür?

Ich war ein typischer Bub und habe von Eisenbahnen und Burgen geträumt. Doch dann hat mein Vater, der Apotheker war, von der Ciba-Geigy nicht nur Medikamente, sondern auch einen echten Totenschädel bekommen. Weil mein Vater nicht wusste, was er damit anfangen sollte, landete das Ding bei mir. Zuerst hatte ich Angst, es anzufassen. Schliesslich war das ja mal ein Mensch und hat gelebt. Irgendwie grauste mich das. Aber dann hat es «klick» gemacht und es endete damit, dass ich ihn an eine Schnurband und durch die Gassen von Chur zog.

Ein Blick zurück auf HR Gigers «beautiful monster», das Alien:

Ihre Werke sind düster. Haben Sie auch schon mal ein fröhliches Bild gemalt?

Wenige; es hat mich einfach nicht so interessiert. Aber grundsätzlich interessieren mich fröhliche, bunte Werke schon – so lange sie gut sind. Meine Lieblingsmeister sind Salvador Dalì und Ernst Fuchs. Die haben in unheimlichen Farben gemalt. Toll.

Wollten Sie sich mit ihren Arbeiten von diesen Malern absetzen?

Nacheifern wollte ich nie jemandem, sondern immer möglichst eigenständig arbeiten. Ich habe einfach Freude am Kreieren und wollte herausfinden, was in mir steckt. Dadurch kamen all diese Dinge zum Vorschein.

Dinge wie die Biomechanoiden, diese Kombination von Mensch, Maschine und Technik, die auf vielen Ihrer Werke zu sehen sind?

Genau. Den Begriff «biomechanic» hat der Galerist Bruno Bischofberger für meine erste Mappe gewählt. Und der passte. Deshalb habe ich ihn weiter verwendet.

Die «Birth Machine», eines der bekanntesten Werke von HR Giger.Wikimedia Commons / Matěj Stuchlík

Die «Birth Machine», eines der bekanntesten Werke von HR Giger.

Diese Wesen tragen viele Gegensätze in sich. Wie kommen Sie auf so etwas?

Zum grossen Teil stammen die Ideen aus der Literatur. Die war immer sehr wichtig für mich, besonders Science-Fiction und phantastische Romane haben mich geprägt. Wenn ich nicht gearbeitet habe, habe ich gelesen. Gustav Meyrink zum Beispiel.

Immer wieder tauchen bei Ihnen die Themen Sexualität, Tod und Vergänglichkeit auf. Warum?

Das sind die Komponenten unseres Daseins. Da fliessen auch eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit rein. Eigentlich ist da nichts Besonderes dran.

Besonders ist aber, dass ein Künstler einen Chemiker als sein Vorbild bezeichnet.

Es war Timothy Leary, der mich Albert Hofmann vorgestellt hat, kurz bevor dieser mit 102 Jahren gestorben ist. Er hat sogar noch mein Museum in Gruyères besucht, was mich sehr gefreut hat. Denn Hofmann war eine faszinierende Persönlichkeit. Er hat das LSD erfunden und er hatte eine riesige Freude an meinen Sachen.

Warum?

Weil er wusste, dass ich LSD konsumiert und dann gearbeitet habe.

Was hat Ihnen das gebracht?

Ich habe zum Beispiel herausgefunden, dass bestimmte Farben – Grün und Blau – ganz wahnsinnig leuchten, wie Neonröhren. Bis zu dieser Erfahrung waren Farben für mich unwichtig. Doch dann habe ich sie wahrgenommen. Wenn ich nicht mehr auf einem Trip war, habe ich versucht nachzuvollziehen, was ich da geschaffen habe. Aber richtig bunte Bilder habe ich nur wenige gemalt. Die sind jetzt in Privatbesitz.

Wikimedia Commons / Xxlstier

Die Bar des HR Giger-Museums in Gruyères.

Ihr Werk umfasst neben Bildern und Skulpturen auch Möbel, Filmdesigns sowie Platten-Cover. Für viele sind Sie Kult.

Das ist Scheisse. Nicht mein Ding. Kult, was soll das?

Das ist schon verständlich. Mir ist sonst niemand bekannt, der Ähnliches tut.

Ich kenne auch niemanden.

Dennoch haben Sie vor 20 Jahren aufgehört zu Malen.

Ich hatte das Gefühl, ich hätte genug gearbeitet. Die Sachen, die mir am Herzen lagen, hatte ich da schon gemacht. Das reichte mir. Ausserdem wollte ich mich nicht wiederholen. Wenn man das Gefühl hat, nichts Neues mehr herausbringen zu können, dann muss man sich das eingestehen und aufhören.

Trotzdem haben Sie für den Film Prometheus im Jahr 2012 das Raumschiff entworfen. Wie hat Ridley Scott Sie überredet?

Er ist ein alter Freund. Darum musste ich schon aus Gründen der Höflichkeit zusagen. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich das ganze Drehbuch nicht verstanden. Die Story ist quer, die kapiert kein Mensch.

HR Giger 2009 bei einer Ausstellung in Frankfurt.Wikimedia Commons / Smalltown Boy

HR Giger 2009 bei einer Ausstellung in Frankfurt.

War das eine einmalige Rückkehr oder kommt HR Giger noch einmal zurück?

Nein, das war’s endgültig.

Sie haben früher stundenlang gearbeitet. Was machen Sie heute?

Ich bin faul geworden. Ich lese viel und schaue fern. Damit bin ich nicht unglücklich. Das hat man sich irgendwann verdient.

Sie haben noch einen Wunsch: eine Einzelausstellung in einem wichtigen Museum. Wieso gab es die noch nicht?

Was soll ich sagen? Bisher ist mir das nur im Kunsthaus Chur gelungen. Womöglich zeige ich zu wenig Engagement. Aber ich reg mich darüber nicht mehr auf. Vielleicht tritt es ja doch noch ein, vielleicht erst nach meinem Tod, wer weiss.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

. . .

Obwohl der Tod in Hansruedi Gigers Arbeiten eine so grosse Rolle spielt, bleibt er mir ausgerechnet diese Antwort schuldig. Als einzige. Er wirkt nachdenklich, ratlos und ein wenig traurig.

Sein Schweigen ist mir unangenehm. Ich schaue mich um und mache im Dämmerlicht Dinge aus, die mir zuvor nicht aufgefallen sind. Die Totenköpfe im Regal; die Miniatur-Ausgabe eines Mikrofonständers, die Giger für den Sänger der Band Korn entworfen hat. Dann fällt mein Blick auf eine Schaufensterpuppe. Ihre Haut scheint wie mit elektronischen Platinen überzogen. Aus ihrem Schritt ragt ein pinkfarbener Umschnall-Dildo hervor. Warum er eines seiner Werke mit einem so farbigen und fremden Gegenstand schmückt oder verunziert, kann ich nicht mehr fragen. Denn der grosse Meister hat sich bereits zurückgezogen.

HR Gigers Tod

Am 12. Mai 2014 erlag Hansruedi Giger 74-jährig im Spital den Verletzungen, die er sich bei einem Sturz in seinem Haus in Zürich-Oerlikon zugezogen hatte. Das hier abgedruckte Interview war eines seiner letzten – möglicherweise sogar das letzte.

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende