Peter Sandor, bei der Hypnose gelangt man in eine Trance. Was ist das wissenschaftlich betrachtet?

Nach Definition der American Society of Clinical Hypnosis ist es ein Zustand entspannter Konzentration. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem hellen Raum. Dort können Sie verschiedene Gegenstände sehen. Stellen Sie sich nun vor, Sie sind in einem dunklen Raum und richten den Fokus einer Taschenlampe auf das Objekt Ihres Interesses. Hypnose bedeutet, dass man nicht alles aufnimmt, sondern dass man seine geistige Aktivität herunterfährt und nur den Teil, der einen interessiert, fokussiert wahrnimmt.

Peter Sandor ist Neurologe und Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose. Ziel der Gesellschaft ist die Pflege und Ausübung der medizinischen Hypnose und deren wissenschaftliche und praktische Förderung als medizinische Methode. Auch Aus- und Fortbildungen werden hier angeboten.

Ich hatte bei meiner Hypnose das Gefühl, ich befinde mich in einem Zustand zwischen Wachsein und Schlafen und nutze den Zustand, um produktiv zu sein.

Das ist die Wahrnehmung. Hirnstrommessungen und Bildgebungen zeigen aber, dass es sich bei Hypnose um einen ganz eigenen Zustand handelt. Die Messungen sehen bei unterschiedlichen Menschen, die in Trance sind, ähnlich aus. Es ist also ein Zustand, den wir Menschen mit unseren Gehirnen produzieren können.

Wie wird man in die Trance geführt? Es hat mich gewundert, wie Psychotherapeut Christian Ziegler das bei mir geschafft hat. Er hat ja «nur» mit mir geredet.

Man könnte sagen, dass der Zustand der konzentrierten Entspannung, in dem man sich während der Hypnose befindet, vorweggenommen wird. Mit Worten zum Beispiel oder mit visuellen Reizen kann man Patienten in den Zielzustand führen – indem man eine Umgebung der konzentrierten Entspannung schafft. Die Kunst besteht darin, den Patienten so zu führen, dass er weder wach wird und die Entspannung verliert, noch einschläft, sondern sich in die Trance begibt.

Ein gängiges Vorurteil ist, dass man weghypnotisiert wird, nichts mehr bewusst mitbekommt, sogar die Kontrolle verliert. Ich hingegen habe die ganze Zeit genau gemerkt, was passiert.

Bei der medizinischen oder therapeutischen Hypnose will der Hypnotiseur, dass der Hypnotisand alles mitbekommt. Das Ziel ist nicht die Hypnose selbst. Ich als Neurologe nutze die Methode meist, um Menschen mit Kopfschmerzen zu behandeln. Ich möchte diesen Menschen auch beibringen, wie sie sich selber in Trance versetzen können; ich praktiziere also Hypnose mit Anleitung zur Selbsthypnose. Deshalb möchte ich unbedingt, dass meine Patienten alles mitbekommen. Darüber hinaus will ich als Arzt generell, dass der Patient die Kontrolle hat. Hypnose ist ein bisschen wie ein Medikament. Ich kann es Ihnen geben, nehmen können Sie es selber.

Wie kann der Zustand der Trance mir helfen, ein Problem zu lösen?

Die Hypnose hat einen sehr positiven, entspannenden und erholsamen Effekt. Dieser Effekt hilft. Darüber hinaus können Erkrankungen, bei der innere Aufregung oder Angst eine Rolle spielen, mit Hypnose positiv beeinflusst werden. Wenn jemand durch Stress sehr leicht Migräne bekommt, kann dieser Mensch mithilfe der Hypnose lernen, sich zu weigern, in den Stresszustand zu gehen. Er bleibt völlig entspannt in einer Situation, die sonst sehr stressig wäre. Dadurch gibt es weniger Migräneanfälle. Eine andere Möglichkeit ist, dass man lernt, einen Kopfschmerz oder sonstigen Schmerz zu beeinflussen. Dieser Schmerz kann durch Hypnose zum Beispiel visualisiert werden. Er bekommt eine Grösse, Struktur, Beschaffenheit, ein Gewicht, eine Temperatur und so weiter. Damit kann man das Syndrom greifbar machen und darauf einwirken. Eine andere Möglichkeit ist, dass man sich sozusagen wegbeamt. Das heisst: Ich bin hier im Arztzimmer und habe Schmerzen, gehe aber mit Hypnosetechniken an den Ort meines letzten Urlaubs, wo es mir sehr gut gefallen hat, wo ich wie in einer anderen Welt bin. Den Schmerz lässt man dort, wo er war. Auf diese Art werden sogar grosse Operationen mit Lokalanästhesie, aber ohne Narkose durchgeführt. Die Patienten sind wach, aber geistig nicht am Operationsort.

Ist Hypnose auch vergleichbar mit Autosuggestion? Ist es zum Beispiel schon eine Art Selbsthypnose, wenn ich mir zum Beispiel einrede: Ich bin stark, ich kann das, das Leben ist schön?

Nein, das alleine ist keine Hypnose. Suggestionen oder Autosuggestionen können zwar ein Bestandteil von Trancetechniken sein. Aber medizinische Hypnose muss definitionsgemäss immer den Zustand der Trance sowie einen Prozess beinhalten: eine Induktion, die in die Hypnose einführt, einen Hauptteil und ein Zurückführen aus dem Zustand.

«Hypnose ist eine sehr gute Methode, aber kein Zaubermittel. Die Menschen, die zu mir kommen, müssen motiviert sein»

Gibt es «die» Hypnose?

Es gibt verschiedene Hypnosetraditionen – eine der modernen, die oft zu therapeutischen Zwecken verwendet wird, ist die Milton-Erickson-Hypnose, die aus den USA kommt. Dann gibt es die klassische Hypnose, die auf die französische Tradition zurückgeht. Dort wird direktiv gearbeitet, indem zum Beispiel gesagt wird: «Ihre Arme werden ganz schwer.» Es gibt auch noch eine eher verhaltenstherapeutisch orientierte Hypnoseform aus dem russischen Raum. Die meisten von uns bei der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose verwenden Techniken aus mehreren Traditionen. Zudem werden oft Meditationstechniken integriert, zum Beispiel die Achtsamkeitsmeditation.

Wer darf eine Ausbildung bei der Ärztegesellschaft für Hypnose absolvieren?

Den Fähigkeitsausweis können Ärzte erlangen. Ihre Ausbildung dauert oft mehrere Jahre. Aber im Moment gibt es eine zunehmende Öffnung gegenüber anderen Gesundheitsberufen. Es gibt einen relativ neuen Zweig, die sogenannte hypnotische Kommunikation. Da werden gewisse Elemente aus der Hypnoseausbildung an Gesundheitsprofis vermittelt, die nicht ärztlich tätig sind. Ein Beispiel ist die Notfallpflege, eine Extremsituation für alle Beteiligten.

Es gibt Angebote, die damit werben, man könne sich innerhalb einer Woche zum Hypnotiseur ausbilden lassen.

Hypnotiseur ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Wenn jemand eine aus unserer Sicht nicht seriöse Ausbildung hat, bekommt er keinen Fertigkeitsausweis von uns. Wenn aber jemand Ausbildungen anbietet und eigene Zertifikate verleiht, können wir nichts machen. Als Patient sollte man seine Ansprüche wie in allen Bereichen des Lebens hoch ansetzen und sich bei Hypnosegesellschaften nach Therapeuten erkundigen oder genau schauen, welche Zertifikate der Therapeut der Wahl hat.

In welchen Fällen ist Hypnose besonders wirksam?

Ich behandle oft Patienten mit Kopfschmerzen und anderen Schmerzzuständen. Darüber hinaus eignet sich Hypnose bei Angstzuständen wie zum Beispiel Flugangst. Einmal habe ich sogar eine Frau behandelt, die Parkinson hat. Sie war medikamentös eigentlich gut eingestellt. Aber wenn sie in einen Erregungszustand geriet – sie hat sich schnell aufgeregt – fing sie stark an zu zittern. Sie kam zu mir, um zu lernen, sich nicht so leicht aufzuregen. Sie war über 80 Jahre alt und sie hat es mit Selbsthypnosetechniken meisterhaft gelernt.

Ist Hypnose eine Art Abkürzung?

Hypnose ist eine sehr gute Methode, aber kein Zaubermittel. Die Menschen, die zu mir kommen, müssen motiviert sein. Man bekommt als Patient viel dafür, aber man muss auch viel investieren, insbesondere bei der Selbsthypnose.

Wie viele Sitzungen sind bei Ihnen normalerweise nötig?

Ich rechne bei Hypnose mit Anleitung zur Selbsthypnose mit sechs bis acht Sitzungen, zum Teil mit recht langen zeitlichen Abständen. Die meisten Patienten lesen während dieser Zeit sehr intensiv, um sich auch den theoretischen Hintergrund zu erarbeiten, und sie machen täglich Übungen. Es ist vergleichbar damit, ein Instrument oder eine Sportart zu lernen. Nach sechs bis acht Sitzungen mit intensiven Vorbereitungen sind manche da, wo andere nach Jahren mit diversen Meditationstechniken sind.

SERIE

Hypnose als Medizin

In Teil 1 der Serie beschreibt die Autorin Eva Mell, wie sie in einem Selbstversuch mit Hypnose ihre Angst vor Hunden überwand.

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