Das musst du wissen

  • Crispr/Cas ist nicht nur eine Genschere, sondern das Immunsystem von Mikroben, die damit Viren abwehren.
  • Die diesjährigen Chemie-Nobelpreisträgerinnen haben aufgeklärt, wie genau das System funktioniert.
  • Sie kreierten davon eine Mini-Version, die als Genschere auch in anderen Organismen funktioniert.
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Die Genschere, für die Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna den Nobelpreis erhielten, wurde vor allem durch ihre Anwendung bei den berüchtigten Crispr-Babys berühmt. Doch am Anfang ihrer Entdeckung stand etwas ganz anderes.

«Crispr/Cas kam von ganz gewöhnlichen Bakterien», schreibt der Genombiologe Jacob Corn von der ETH Zürich in einer Stellungnahme. «Nur durch das Verständnis der Funktionsweise dieses bakteriellen Immunabwehrsystems konnten Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna es nutzen, um ein neues Genom-Editierungssystem zu schaffen.»

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Die Entdeckung dieses Bakterien-Immunsystems begann vor ungefähr dreissig Jahren in Spanien. Der 28-jährige Doktorand Francisco Mojica studierte das Erbgut eines sogenannten Archaebakteriums, das in den Salzwiesen der spanischen Costa Blanca lebt, wie ein Übersichtsartikel aus dem Jahr 2016 beschreibt. Dabei fielen dem jungen Forscher immer wiederkehrende Sequenzmuster auf, die in regelmässigen Abständen durch Platzhaltersequenzen voneinander getrennt waren. Er veröffentlichte diese Entdeckung 1993. Auch der Japaner Yoshizumi Ishino hatte bereits 1987 diese wiederkehrenden Sequenzen in einem Bakterium bemerkt.

Solche Strukturen, die später Crispr genannt wurden, fand Mojica in den folgenden Jahren in vielen anderen Mikroben. Doch lange wusste er nicht, wofür diese gut waren. Auch die Platzhaltersequenzen schienen keine bisher bekannten Funktion zu haben. Er glich diese obskuren Erbgutstücke sogar mit Datenbanken ab, in denen bekannte DNA-Sequenzen gespeichert waren, doch fand nichts. Erst dank der wachsenden Zahl an DNA-Daten, die durch neue Sequenziertechniken verfügbar wurden, machte er zehn Jahre später eine sensationelle Entdeckung: Die Platzhaltersequenzen stimmten haargenau überein mit der DNA aus Viren. Genauer gesagt aus Viren, die Bakterien befallen.

Mojica publizierte seinen Fund 2005. Unabhängig von ihm machten zwei Teams von Mikrobiologen aus Frankreich, eins um Alexander Bolotin und eins um Christine Pourcel im selben Jahr die gleiche Entdeckung. Letztere spekulierten, dass die Platzhaltersequenzen eine Rolle bei der Abwehr von Viren spielen könnten – sie beschrieben sie poetisch als «Erinnerung an vergangene genetische Aggressionen.»

Kurz zuvor, im Jahr 2002, hatten niederländische Molekularbiologen ausserdem entdeckt, dass es Gene gibt, die mit den Crispr-Sequenzen assoziiert sind, die sogenannten Cas-Gene. Heute wissen wir, dass die Platzhaltersequenzen wie Fahndungsfotos der Viren fungieren. Und dass etwa Cas9 ein Enzym ist, das mithilfe von Kopien dieser Fahndungsfotos das Erbgut der Viren zerstört und diese somit unschädlich macht. Die Crispr-Sequenzen, die Mojica original entdeckte, sind dabei wie Schubladenfächer, in denen die Fahndungsfotos abgelegt werden.

Was ist Crispr/Cas?


Crispr, das steht für «clustered regularly interspaced short palindromic repeats». Also kurze Sequenzabschnitte die innerhalb einer Region im Erbgut in festen Abständen immer wieder auftauchen. Zwischen diesen Sequenzabschnitten sind sogenannte «spacer» eingeschoben, auch Platzhaltersequenzen. Diese Platzhaltersequenzen sind DNA-Stücke von Viren die ein Bakterium einst attackierten – gleichsam Erinnerungen an frühere Virusinfektionen.

Man kann es sich etwa so vorstellen: Die Crispr-Sequenzen bilden Fächer in einem Regal und in diesen Fächern lagern die Bakterien Fahndungsfotos der Viren von denen sie befallen wurden. Von diesen Fahndungsfotos werden Kopien in Form von RNA-Molekülen gemacht, die dann in der Zelle herumschwimmen. Wird ein Bakterium dann von neuem mit einem Virus infiziert, führt die Kopie des Fahndungsfotos das Cas9-Enzym zu dem fremden Viruserbgut. Dort angekommen zerstückelt Cas9 die Virus-DNA und macht den Eindringling somit unschädlich. Das Besondere: Die Bakterien geben dieses erworbene Immunsystem an die nächste Generation weiter.

Dass es sich bei Crispr/Cas tatsächlich um ein Immunsystem von Bakterien handelt, wiesen Rodolphe Barrangou und Philippe Horvath durch Experimente an Milchsäurebakterien im Jahr 2007 nach. Den Forschern, die für den dänischen Biotechnologiekonzern Danico arbeiteten, ging es dabei eigentlich um etwas ganz Alltägliches: Joghurt. Sie versuchten das Problem der häufigen Virusinfektionen zu lösen, die die Joghurt-Bakterienkulturen befielen.

Wie genau Virus-Stücke im Erbgut von Bakterien aber vor einer Infektion schützten, war immer noch unklar. Das fehlende Puzzelteil fügte ein niederländisch-amerikanisches Forscherteam um John van der Oost und Eugene Koonin nur ein Jahr später hinzu. Die Mikrobiologen entdeckten, das die Fahndungsfotos in Form eines langen RNA-Moleküls kopiert werden. Dieses Molekül wird dann weiterverarbeitet, so dass Kopien der Fahndungsfotos einzelner Viren in der Bakterienzelle herumschwimmen. Im Jahr 2011 beschrieb Emmanuelle Charpentier ein weiteres, bis dato unbekanntes RNA-Molekül, das Teil dieser mikobiellen Abwehr ist und das die Bakterien benötigen, um die Genschere an den richtigen Ort zu lotsen, wo sie die eindringende Viren-DNA zerstören kann.

Der entscheidende Schritt vom Verständnis des bakteriellen Immunsystems zu dessen Übertragung in die Anwendung, die wir heute als Genschere kennen, kam aber 2012, nachdem sich Charpentier und Doudna zusammentaten. Die beiden Frauen und ihre Teams beschrieben die Minimal-Ausstattung der Genschere und zeigten, das diese auch ausserhalb von Bakterien im Reagenzglas funktioniert.

Wikimedia

Die Französin Emmanuelle Charpentier (l.) und die US-Amerikanerin Jennifer A. Doudna wurden für ihre Crispr/Cas9-Forschung mit dem Chemie-Nobelpreis geehrt.

Massgeblich mitbeteiligt an dieser Entdeckung im Labor von Doudna war Martin Jinek, der seit 2013 am Biochemischen Institut der Universität Zürich forscht. Damals sei die Idee, dass ein RNA-Molekül das Cas9-Enzym zu einer spezifischen Stelle in der DNA leitet, nur eine Hypothese gewesen. «Wir konnten zeigen, dass dies wirklich so war», sagt Jinek. Der zweite wichtige Schritt der Entdeckung sei die Vereinfachung des Crispr/Cas-Systems für seine Anwendung als Genschere in anderen Organismen gewesen. Für letztere fusionierten die Forscher die beiden notwendigen RNA-Moleküle zu einem einzigen Sequenzstück, was die Anwendung der Genschere erleichtert. «Ich bin begeistert, dass unsere Arbeit Anerkennung gefunden hat. Und froh, dass ich dazu beigetragen habe», sagt Jinek.

Universität Zürich

Martin Jinek.

Zeitgleich mit dem Team um Doudna und Charpentier hatte der litauische Biochemiker Virginijus Šikšnys es geschafft, das Crispr/Cas-System im Reagenzglas nachzubauen. Er reichte seine Arbeit sogar noch vor Doudna und Charpentier bei einer Fachzeitschrift zur Publikation ein – doch sie wurde ohne Begutachtung abgelehnt. Sie erschien in einem anderen Journal erst einige Monate nach dem Artikel der beiden Nobelpreisträgerinnen. Šikšnys hatte das Nachsehen.

«Crispr war anfangs ein Nischenfeld.»Gerald Schwank, Professor für Translationale Neurowissenschaften / Neuropharmakologie, Universität Zürich

Einige Experten kritisieren, dass Šikšnys nicht auch ein Teil der Nobelpreis-Ehre zugedacht wurde. Immerhin war er 2018 zusammen mit Doudna und Charpentier mit dem Kavli-Preis für die Entdeckung der Genschere ausgezeichnet worden. Doch die Forscher um Šikšnys hätten nicht bemerkt, wie wichtig das RNA-Molekül, das Charpentier 2011 identifiziert hatte, für die sequenzspezifische Spaltung der Ziel-DNA sei. Das schreibt Claes Gustafsson, Mitglied des Nobelkomitees für Chemie in einer Mitteilung der Schwedischen Akademie der Wissenschaften (PDF).

«Dass der Nobelpreis ausschliesslich an die beiden Frauen geht, hat vermutlich auch damit zu tun, dass diese jahrelange bahnbrechende Vorarbeiten am bakteriellen Immunsystem geleistet haben», sagt Gerald Schwank, der die Genschere am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich einsetzt und die Arbeit der beiden Nobelpreisträgerinnen dadurch gut kennt. «Crispr war anfangs ein Nischenfeld. Kaum jemand hat damals erkannt, dass dieses Immunsystem in eine Genschere mit breiter biotechnologischer Anwendung umprogrammiert werden kann.» Emmanuelle Charpentier etwa habe mit ihrer nun geehrten Forschung an der Universität Wien keine Zukunftsperspektiven gehabt, und sei deswegen an die Universität Umeå in Schweden gewechselt.

Universität Zürich

Gerald Schwank.

Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Denn nachdem die Genschere im Reagenzglas funktionierte, folgte ein nächster logischer Schritt: das System in tierischen und menschlichen Zellen zum Laufen bringen. Diesen Schritt haben der Molekularbiologe George Church von der Harvard Universität und der Neurowissenschaftler Feng Zhang vom Massachusetts Institute of Technology unabhängig voneinander vollzogen. Vor allem letzterer hat die weltweite Anwendung der Genschere in Tieren und Pflanzen bedeutend vorangetrieben. «Ich hätte damit gerechnet, dass Zhang auch mit dem Nobelpreis geehrt würde, denn er hat die Genschere unglaublich schnell in menschlichen Zellen angewendet. Auch hält er die Patente für diese Anwendung und ist einer der führenden Wissenschaftler auf dem Feld», sagt Schwank. Allerdings habe er im Gegensatz zu den beiden Wissenschaftlerinnen nicht zur wichtigen Grundlagenforschung am Crispr-Immunsystem in Bakterien beigetragen, bevor das biotechnologische Potenzial klar ersichtlich war. Das habe wohl den Ausschlag für die Entscheidung gegeben.

Die Bedeutung dieser Vorarbeit hebt auch der ETH-Biologe Jacob Corn in seiner Stellungnahme hervor: Der Nobelpreis erkenne die Macht der Grundlagenforschung an und «unterstreicht den unglaublichen Einfluss, den die von Neugierde getriebene Wissenschaft auf die Welt haben kann.»

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