Während einer wichtigen Arbeitsbesprechung braucht ein Kind dringend Betreuung oder während des familiären Abendessens gibt es plötzlich einen beruflichen Notfall: Diese Situationen bringen Angestellte in Gewissens- und Rollenkonflikte. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht im Spannungsfeld zwischen den Interessen des Arbeitgebers und den Interessen der Angehörigen. Auch die Gleichzeitigkeit von beruflichen und familiären Anforderungen ist eine Herausforderung.

Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielen daher betriebliche Massnahmen eine wichtige Rolle. Je nach Lebenslage und Verpflichtungen benötigen Angestellte dementsprechend individuell gestaltete Arbeitsorganisationsmodelle. Das fordert Unternehmen heraus: Wollen sie als attraktive Arbeitgeber gelten, müssen sie auch ihre Arbeitsorganisation den jeweiligen Anforderungen der Mitarbeitenden anpassen.

Dialog zwischen Vätern und ihren Chefs anstossen

Gefragt sind Konzepte für eine lebenslagen- und generationenspezifische Work-Life-Balance, mit deren Hilfe die unterschiedlichen Phasen des Berufslebens durch passgenaue Arbeitsorganisationsmodelle gemeistert werden können – all dies leistet der Vereinbarkeitssimulator.

Entwickelt wurde die öffentlich zugängliche OpenSource-Web-Applikation in einem interdisziplinären Projekt des Instituts für Soziale Arbeit und Räume IFSAR-FHS sowie des Instituts für Modellbildung und Simulation IMS-FHS. Der Simulator erfasst die spezifischen Lebenslagen von Vätern mit Sorgearbeitspflichten und deren Wünsche an ihre zukünftige Work-Life-Balance. Er erlaubt es, individuelle Massnahmen zu entwickeln. Ziel des Simulators ist es, einen Dialog zwischen der Unternehmensführung und den Vätern inklusive ihrer Angehörigen anzustossen und Entscheidungs- und Umsetzungshilfe bei der Einleitung entsprechender Massnahmen zu leisten.

Wie funktioniert der Vereinbarkeitssimulator?

Im Gegensatz zur Best Practice von Work-Life-Balance werden Mitarbeitende hier nicht einfach als menschliche Arbeitskraft behandelt, sondern als Einzelpersonen mit ihren jeweils spezifischen Lebenslagen. Neu ist auch, dass ein Entscheidungsprozessmodell realisiert wird, wie zum Beispiel ein Vater mit seinem Arbeitgeber und seiner Familie zu einem Arbeitsorganisationsmodell gelangt, das von allen getragen wird.

Dieses Prozessmodell beinhaltet, dass Mitarbeitende vor einem Mitarbeitergespräch den Simulator konsultieren. Dieser erfasst in einem ersten Schritt den Zustand der aktuellen Lebenslage (Einkommen, Zeithandeln, Arbeitsbelastungen, Soziale Ressourcen etc.) und den Soll-Zustand der Lebenslage (Veränderungswünsche). Eine Auswertung verdeutlicht bestehende Unzufriedenheiten und Belastungen. Darauf basierend, hilft der Simulator in einem zweiten Schritt dabei, ein auf den individuellen Fall angepasstes Arbeitsorganisationsmodell zu entwickeln: Der Simulator schlägt passende Massnahmen vor und verdeutlicht, welche Unzufriedenheiten und Belastungsfaktoren damit vermindert werden könnten.

Die Nutzerinnen und Nutzer ihrerseits bewerten und konkretisieren die Massnahmen zu einem Plan. Dieser Plan dient dazu, mit Familie und Organisation in einen Austausch zu gelangen und Entscheidungen zu legitimieren. Mit periodischer Anwendung kommt es zu einer Lernschleife. Die Nutzerinnen und Nutzer können erkennen, wie sich Lebenslagen verändern. Und die Organisation kann lernen, welche Massnahmen funktionieren. Das heisst, die Organisation lernt von den Bedürfnissen der Mitarbeitenden.

Für andere Zielgruppen weiterentwickeln

Im neuen Projekt «Vereinbarkeitssimulator 2.0», welches das Eidgenössische Büro für Gleichstellung unterstützt, wird der erfolgreiche Prototyp des Vereinbarkeitssimulators weiterentwickelt. Aufgrund der Erfahrungen aus dem ersten Projekt soll der «Vereinbarkeitssimulator 2.0» für weitere Zielgruppen mit Sorgearbeitspflichten wie arbeitstätige Mütter, Alleinerziehende oder pflegende Angehörige nutzbar werden. Gleichzeitig werden branchenspezifische Anpassungen in Betracht gezogen, damit alle Unternehmen mit ihren Mitarbeitenden gemeinsam lebenslagenspezifische Vereinbarkeitsmodelle entwickeln können. Um den Wirkungsgrad des «Vereinbarkeitssimulators 2.0» weiter zu erhöhen und seine Verstetigung zu erreichen, wird er im «HR-Panel New Work» der FHS St.Gallen angesiedelt. In diesem Rahmen entstehen auch ein Implementierungskonzept sowie ein konstantes Beratungs- und Dienstleistungsangebot.

Dieser Beitrag stammt von der Fachhochschule St. Gallen. Er erschien erstmals im FHS-Magazin 2019/1.
Kontakt zum Projektverantwortlichen: Prof. Dr. rer. pol. Stefan Paulus, Dozent für Arbeitswissenschaften.

Fachhochschule St. Gallen

Hier präsentiert die Fachhochschule St. Gallen Geschichten aus der Forschung.
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