Das musst du wissen

  • Die Schweizerin Elisabeth Kübler-Ross gilt als die Begründerin der modernen Sterbeforschung.
  • Sie interviewte Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht hatten. Deren Schilderungen haben grosse Gemeinsamkeiten.
  • Was während des Sterbens in unserem Gehirn abläuft, bleibt dennoch ein Rätsel.

Am Schluss beschlich sie die Angst – ausgerechnet Elisabeth Kübler-Ross, die 1926 in Zürich geborene Psychiaterin, die als Begründerin der modernen Sterbeforschung gilt. Vor ihrem Tod im August 2004 in Arizona wollte sie weiterleben, trotz mehrerer Hirnschläge, die ihren Körper gelähmt hatten und der ständigen Schmerzen. Ihre Schwester, ein Drilling, meinte damals, dass ihre Schwester Elisabeth nicht loslassen könne, was doch irritiere. «Sie hat so viel über Tod und Sterben geschrieben, es sogar verherrlicht», sagte Erika Faust-Kübler in einem Dokumentarfilm von 2003 über Kübler-Ross. Über das Sterben zu forschen und nachzudenken, ist eben ganz anders als zu erleben, wie das eigene Leben zur Neige geht.

Als Professorin an der Universität Virginia dozierte Kübler-Ross ab 1985 über den Tod und war überzeugt, dass es dabei nur um einen Übergang in eine andere Existenz gehe, wo es keine Angst und keinen Schmerz gebe. Sie meinte sogar, dass der Tod die schönste Erfahrung des Lebens sei. Die Psychiaterin war sich sicher, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dass Bewusstsein und Seele auf einer anderen Ebene weiterexistieren. Sie war davon so tief überzeugt, dass sie behauptete, es wissenschaftlich beweisen zu können, was natürlich heftige Kontroversen auslöste.

Keystone/Niklaus Stauss

Die Schweizer Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross 1982 bei einem Vortrag an der Uni Irchel …

Keystone

… und 18 Jahre später, 1998, vor ihrem Haus in Scottsdale, Arizona.

Ihre Überzeugung basierte auf Befragungen von Menschen, die in den 1960er-Jahren eine Nahtoderfahrung erlebt hatten. Über diese Gespräche schrieb sie ein Buch, das 1971 auf Deutsch unter dem Titel «Interviews mit Sterbenden» erschien. Das Buch sorgte für Aufsehen. Ihre Forschung brachte Kübler-Ross 23 Ehrendoktorate und 70 Auszeichnungen ein. Aber ebenso viel Kritik, weil sie die Tabuthemen Tod und Sterben völlig neu anging. Sie hat eine Psychologie des Übergangs begründet und die Bedürfnisse und Nöte von Sterbenden dokumentiert, was zu neuen Verhaltensregeln in Operationssälen und Krankenhäusern führte. Sie war damit die Erste, die der Welt vermittelte, wie man mit Sterbenden umzugehen hat und was sie von ihrer Umgebung erwarten.

Positive Wahrnehmungen

Bei Nahtoderfahrungen handelt es sich immer um Erlebnisberichte nach einer lebensbedrohenden Lage. Die Schilderungen haben grosse Gemeinsamkeiten: Der eigene Körper wird von aussen wahrgenommen, nach einem Tunnel folgt Licht, ein gutes Gefühl stellt sich ein, Wärme wird empfunden. Die Wissenschaft hat eine klare Antwort darauf: Das seien die Folgen einer vorübergehenden Beeinträchtigung der Gehirnfunktion. Laut einer Untersuchung, die 2013 veröffentlicht wurde, haben etwa 20 Prozent der Überlebenden eines Herzstillstands solche Erfahrungen.

Aber eine Frage bleibt offen: Warum führen die Aussetzer im Gehirn zu derart positiven Wahrnehmungen? Verfügt jeder Mensch über ein schönes «Grundprogramm», wenn das Gehirn runterfährt? Oder öffnet sich etwa der Himmel? Interessanterweise gleichen sich die Nahtoderfahrungen, unabhängig der Religionszugehörigkeit. Das helle Licht wird als Sonne, Gott oder Engel interpretiert, was den Schluss erlaubt, dass die religiöse Prägung wohl keinen Einfluss auf die Nahtoderfahrung hat. Ein Drittel der Menschen mit Nahtoderfahrungen berichtet von einem Lebensfilm, von einem schnellen Rückblick auf das ganze Leben. Auch stark verbreitet ist die Erfahrung, auf eine Mauer zu stossen, bei deren Überwindung kein Zurück mehr möglich ist, als falle hier die Entscheidung über Leben und Tod. In der Folge von solchen Erfahrungen wenden sich viele Menschen Gott zu oder entwickeln eine höhere Sensibilität für ethische oder soziale Werte. Die Nahtoderfahrung wird von den meisten Menschen als eine Bewusstseinserweiterung empfunden. Als Geschenk, um das Leben leichter und besser zu bewältigen.

Versuche sollten mehr Klarheit bringen

Die Wissenschaft hat diese Phänomene auf unterschiedliche Weise zu entschlüsseln versucht. So wurden zum Beispiel am Rudolf-Virchow-Universitätsklinikum in Berlin in einem Versuch an 42 gesunden Personen künstliche Ohnmachtsanfälle ausgelöst. Aufgrund des vorübergehenden Sauerstoffmangels im Gehirn führte dies zu Nahtod-ähnlichen Erlebnissen bei den Testpersonen. Von den 42 Versuchspersonen gab ein Drittel an, Gefühle von Frieden und Schmerzlosigkeit empfunden zu haben, 17 Prozent hatten Lichterscheinungen und 16 Prozent berichteten von ausserkörperlichen Erfahrungen.

Schon 1983 entwickelte der US-amerikanische Psychiater und Neurowissenschaftler Bruce Greyson einen Fragenkatalog, um Nahtoderfahrungen mit einer Systematik zu erfassen. Die sogenannte Greyson-NDE-Skala wird weltweit zur Qualifizierung solcher Erlebnisse angewendet. Greyson geht auf vorsichtige Weise davon aus, dass das Bewusstsein nach dem Tod überlebt. Denn die erhöhte geistige Aktivität, währenddem das Gehirn kaum funktionsfähig ist, könne durch die bestehenden Modelle für Gehirn und Bewusstsein nicht erklärt werden. Damit spannt Greyson den Bogen von der naturwissenschaftlichen Sicht zur Spiritualität. Aber was ist das Bewusstsein überhaupt? Der Chemiker und Universitätsprofessor Justus von Liebig (1803-1873) hatte recht: «Die Wissenschaft fängt eigentlich erst da an, interessant zu werden, wo sie aufhört.»

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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