Über 70 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki ist ein Nuklearkrieg erneut eine reale Gefahr. Seit über einem Jahr provoziert Nordkorea mit immer neuen Tests von Bomben und Raketen. Das beschäftigt nicht nur Militärstrategen, sondern macht auch vielen Menschen rund um den Globus Angst. «Die Angst ist berechtigt», sagt Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. «Ich halte einen Atomkrieg für wahrscheinlich.» Wenn nicht im aktuellen Machtspiel zwischen den USA und Nordkorea, dann in einem zukünftigen Konflikt.

Das Arsenal der Atommächte weltweit ist tatsächlich beängstigend: Rund 15 000 nukleare Sprengköpfe stehen bereit. «Das ist absurd», urteilt Sicherheitsforscher Neuneck. «Denn schon 100 Sprengköpfe reichen, um die Menschheit in die Steinzeit zurückzubomben.» Und zwar innerhalb von einer halben Stunde. Schon eine einzige Atombombe über Zürich abgeworfen würde auf einen Schlag mehr als eine Million Menschen töten (siehe Grafik).

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Taktisch unkluge Waffe

«Gerade wegen dieser unvorstellbaren Zerstörungskraft will grundsätzlich niemand einen Atomkrieg anfangen», sagt Oliver Thränert, Leiter des Thinktanks am Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich. Denn niemand möchte einen atomaren Gegenschlag auf das eigene Land provozieren. Die Auswirkungen von Atombomben lassen sich zudem kaum gezielt auf ein Land beschränken. Der radioaktive Niederschlag macht nicht an Landesgrenzen halt, sondern kann riesige Gebiete verseuchen – das von Unbeteiligten, von Verbündeten oder das eigene.

Grenzenlos sind nicht nur die möglichen Folgen, sondern auch die Kosten der Atomwaffen. Denn auch wenn sie nicht eingesetzt werden, müssen die Bomben sowie ihre Trägersysteme laufend gewartet werden – ein riesiger finanzieller und personeller Aufwand. So kostet das Aufrechterhalten ihres nuklearen Komplexes die USA rund 50 Milliarden Dollar. Pro Jahr. Und Frankreich gibt für seine vergleichsweise wenigen Atomwaffen 20 bis 30 Prozent des gesamten Militärbudgets aus.

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Atombomben für den Frieden?

Warum also bestimmen nukleare Waffen trotz all dieser Schwächen immer noch die Weltpolitik? «Wegen ihres einzigen, aber gewichtigen Vorteils», sagt Sicherheitsforscher Thränert, nämlich der enormen Abschreckungswirkung. «Diese verleiht Sicherheit und Macht.» Beispiel Nordkorea: Je direkter das diktatorische Regime von Kim Jong-un seinen mächtigsten Gegner, die USA, bedrohen kann, desto mehr politische Bedingungen kann es stellen. Etwa, um die gegen das Land verhängten Embargos für Waffen und Chemikalien aufzuheben.

Diese Abschreckungswirkung hat paradoxerweise sogar ihr Gutes. In der Vergangenheit habe sie immer wieder bewirkt, dass Konflikte nicht eskaliert sind, sagt Thränert. So habe die nukleare Drohkulisse zwischen den USA und der Sowjetunion während des Kalten Krieges verhindert, dass es je zu einem direkten militärischen Angriff eines der beiden Länder kam. «Gut möglich, dass ohne diese gegenseitige atomare Bedrohung ein verheerender Ost-West-Krieg ausgebrochen wäre.»

Rührt die enorme Macht der Atomwaffen also gerade daher, dass sie nicht eingesetzt werden? «Ja», sagt Thränert. Das sei allerdings keine Garantie, dass sie tatsächlich nie benützt würden. Denn: «Die Atommächte können nur dann mit einem nuklearen Angriff drohen, wenn sie auch bereit sind, ihre Drohung wahrzumachen.» So kann es dennoch zum Atomkrieg kommen – obschon das eigentlich niemand möchte.

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Nukleare Sackgasse

Das einzig Sinnvolle wäre für die beiden Sicherheitsforscher Oliver Thränert und Götz Neuneck deshalb die Abschaffung aller Atomwaffen. Doch dazu müssten sämtliche Nationen einander vertrauen und sich versichern, dass sie tatsächlich ganz auf Atomwaffen verzichten. Das werde aber kaum passieren, so Thränert. Insbesondere weil die für Atomwaffen benötigten Technologien auch weiterhin genutzt werden – für die Energiegewinnung in Atomkraftwerken oder in der Raumfahrt. «So lässt sich trotz internationaler Abkommen nie ausschliessen, dass ein Land plötzlich heimlich aufrüstet.» Und dass unter Umständen Länder, die sich bisher nicht an internationale Abkommen halten – zum Beispiel Nordkorea oder Pakistan –, plötzlich als einzige Atomwaffen besitzen. Das wiederum können die grossen Atommächte nicht zulassen. So geht das nukleare Kräftemessen wohl noch viele Jahrzehnte weiter – und die Welt muss auch weiterhin mit der atomaren Bedrohung leben.

Das Schweizer Atomwaffenprogramm

Im Jahr nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki startete die Schweiz die Entwicklung eigener Kernwaffen – zunächst im Geheimen. Der Bundesrat tarnte dies als Programm für zivile Kernenergie. Sein Ziel war es, über 200 Atombomben zu bauen. Nachdem 1969 Deutschland den internationalen Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hatte, tat dies auch die Schweiz. Offiziell beerdigt hat man das Nuklearprogramm erst 1988.

Die Erstversion dieses Beitrags erschien am 5. Mai 2017.

 

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