Der russische Präsident hat verkündet, dass er die atomaren Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt habe. Auch zuvor schon hatte Putin immer wieder unterschwellig mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. In Europa geht eine Sorge um, die man seit dem Ende des Kalten Krieges vergessen glaubte.
Die Schweizer Verteidigungsministerin sagte am Montag vor den Medien, die Bevölkerung müsse keine Angst haben. «Unsere Abklärungen deuten darauf hin, dass der Einsatz dieser Nuklearwaffen wenig wahrscheinlich ist.»
Auch Oliver Thränert vom Center for Security Studies der ETH Zürich beruhigt: «Den Einsatz von Atomwaffen halte ich im Moment für unwahrscheinlich. Putin droht, um den Westen zu spalten und die dortigen Bevölkerungen gegen ihre Regierungen aufzuwiegeln.» Gerade weil die Menschen eine so grosse Angst vor einem Atomkrieg hätten, könnte diese Strategie durchaus funktionieren.
Ein realer Einsatz von Atomwaffen würde Putin innenpolitisch selbst massiv unter Druck setzen. Thränert ist überzeugt, dass die russische Bevölkerung den Einsatz von Atomwaffen nicht gutheissen würde.
Russland hat tausende nukleare Waffen
Doch unabhängig davon, wie ernst die Drohung gemeint ist: Welche Folgen hätte ein Einsatz von Atomwaffen?
Russland verfügt über ein ausgefeiltes Arsenal unterschiedlichster Atomwaffen, die zu Land oder zu See eingesetzt werden können. Manche haben eine Reichweite bis Berlin, Paris oder gar New York, andere könnten quasi lokal in der Ukraine eingesetzt werden. Man spricht von strategischen und taktischen Atomwaffen.
«Nicht alle Nuklearwaffen sind momentan einsatzbereit, aber insgesamt verfügt Russland über mehr als 6000 Kernwaffen», sagt Thränert.
Die Auswirkungen wären ähnlich wie bei einem AKW-Unfall
Laut dem Experten für atomare Bewaffnung hätte der Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine «natürlich» Auswirkungen auf Europa und die Schweiz, sogar wenn bloss taktische Waffen mit geringer Reichweite eingesetzt würden. Durch Wind und Wolken wird Radioaktivität nämlich weitergetragen.
Diese Einschätzung teilt der Schweizer Militärstratege Albert A. Stahel: «Sollte Putin operativ-taktische Atomwaffen über der Ukraine zünden, dann würden wir – je nach Sprengkörper und Wind – etwas vom radioaktiven Niederschlag spüren.»
Laut Thränert wären die Auswirkungen – je nach Waffe – ähnlich wie bei einem AKW-Unfall, allerdings gewichtiger als jene des Reaktorunfalls in Tschernobyl. «Sogar die taktischen Waffen haben heute eine grössere Ladungsstärke als die Atombomben, die über Nagasaki und Hiroshima gezündet wurden», erklärt Thränert.
Wie gut ist die Schweiz gewappnet?
Die Schweiz ist bekannt für ihre Bunkermentalität. Jedem Einwohner und jeder Einwohnerin ist gesetzlich ein Platz in einem Schutzraum garantiert. Der Bund macht der Bevölkerung Vorschriften, welche Lebensmittel als Vorrat zu halten sind.
Trotzdem ist die Schweiz laut Stahel im Vergleich zu früher schlecht vorbereitet auf den Einsatz von Atomwaffen: «Wir waren gut geschützt. Heute ist davon nicht mehr viel übriggeblieben.» Die Armee-Bunker gehörten der Vergangenheit an, sie würden inzwischen an zivile Unternehmen vermietet. Die gut verteidigte Schweiz sei Geschichte.
Das Verteidigungsdepartement VBS kontert: «Was die Schutzräume betrifft, so verfügt die Schweiz über einen sehr guten Ausbaustand mit Schutzplätzen für die gesamte Bevölkerung.» Die Kantone seien angehalten, die Zuweisungsplanung zu führen und regelmässig zu aktualisieren. «Eine Bekanntgabe der Zuweisung zu den Schutzräumen erfolgt allerdings erst dann, wenn es die sicherheitspolitische Lage erfordert. Dies ist derzeit nicht der Fall.»
Die Nationale Alarmzentrale betreibt ein eigenes Radioaktivitäts-Messnetz. 76 in der ganzen Schweiz verteilte Sonden übermitteln nach Angaben des VBS alle zehn Minuten den aktuellen Messwert. Bei Überschreiten eines Schwellwerts wird automatisch Alarm ausgelöst. Die radiologische Lage wird also rund um die Uhr überwacht.
In der Schweiz gibt es über 7000 Sirenen, welche die Bevölkerung vor Gefahren warnen. Sollten radioaktive Wolken über die Schweiz geweht werden, würde die Bevölkerung aufgefordert, zu Hause zu bleiben, Fenster und Türen zu schliessen oder sich für einige Tage in den Schutzkeller zu begeben. Auch könnten die Menschen dazu aufgefordert werden, Jod-Tabletten zu schlucken, damit sich das eingeatmete radioaktive Jod nicht in der Schilddrüse ablagert.