Das musst du wissen
- Baustellen haben ein erhebliches ökologisches und ökonomisches Optimierungspotenzial.
- Computer können dabei helfen, Fehler zu vermeiden und Prozesse effizienter und nachhaltiger zu gestalten.
- Dank dem technischen Fortschritt unterstützen Rechner nicht mehr nur die Planung – sie überwachen auch die Umsetzung.
Mitten in der Nacht läuft «Spot» über die Gleisbaustelle. Während der kniehohe Vierbeiner problemlos über das Schotterbett klettert, entgeht ihm kein Detail: Mit seinen Kameras und Laserscannern überwacht er die Arbeiten und sorgt damit für einen reibungslosen und sicheren Ablauf. Denn Spot ist nicht etwa ein Hund, sondern ein Roboter, der für die Rhomberg Sersa Rail Group auf einer Baustelle unterwegs ist, wie ein Video des Bahntechnikunternehmens zeigt. Sein Einsatz ist Teil eines Pilotprojekts, welches Rhomberg Sersa in Zusammenarbeit mit der Swisscom durchführt.
Irren ist menschlich
Das Ziel des gemeinsamen Projekts ist kein Geringeres, als die Baustelle der Zukunft zu schaffen. Denn auf Baustellen besteht ein grosses Optimierungspotenzial: Schienen schleifen, Schotterbett erneuern und Schwellen austauschen – das alles erfordert noch immer Menschenhand. Eine falsch aufgetragene Betonschicht, ein Fahrleitungsanker, der im Weg ist: Wo Menschen arbeiten, passieren zwangsläufig Fehler.
«Wenn wir Fehler verhindern können, setzen wir die Ressourcen genau dafür ein, wofür wir sie auch wirklich brauchen.» Christian Schollenberger, Rhomberg Sersa
Christian Schollenberger, Leiter der IT bei Rhomberg Sersa, erklärt den Status Quo: Mit all diesen Fehlern seien auf einer Baustelle schnell zehn bis 15 Prozent Inneffizienz vorhanden. «Wenn wir nur ein paar Prozent dieser Ineffizienz verhindern können, sind das auf einer Grossbaustelle mit einem Kostenvolumen von hundert Millionen Franken schnell zwei bis drei Millionen.» Effizienz schont also das Portemonnaie des Unternehmers, aber letztendlich auch das Klima: «Wenn wir Fehler verhindern können, setzen wir die Ressourcen genau dafür ein, wofür wir sie auch wirklich brauchen», erklärt Schollenberger. Jeder Schritt, der nicht doppelt gemacht werden muss, verringert den Ressourcenaufwand.
Nachhaltigkeit im Bau
Daran ändert sich bislang nur wenig: «Tiefe Energiepreise, lange Investitionszeiten und viele Regeln hemmen die Risikobereitschaft der Unternehmen», heisst es auf der Internetseite des NEST – das Projekt zeigt, wie es anders geht: «Next Evolution in Sustainable Building Technologies» ist ein Gebäude-Projekt der Forschungsinstitute Empa und Eawag in Dübendorf. Das Haus ist gleichzeitig Wohnort, Arbeitsort und Forschungslabor. Regelmässig werden Module des Hauses ausgetauscht und dabei neuartige Bautechnologien in der Praxis getestet.
In den einzelnen Modulen liegt der Fokus auf unterschiedlichen Aspekten des nachhaltigen und zukunftsorientierten Bauens: Ein Teil des Hauses wurde beinahe komplett aus Recycling-Materialien gebaut und lässt sich auch wieder in den Ressourcenkreislauf zurückführen. Ein anderes Modul weist eine Netto-Energiebilanz über Null aus – lediglich mit Solarzellen an der Fassade. Eine weitere Baueinheit entstand wiederum im 3D-Druckverfahren. Die Ideen für nachhaltigeres Bauen sind da – jetzt müssen sie in die Alltagstauglichkeit überführt werden.
Vom Computer auf die Baustelle – und wieder zurück
Die Planung ist also einer der grossen Schwachpunkte der Bauindustrie – und das Schlüsselwort für mehr Effizienz lautet BIM, also Building Information Modelling. Darunter versteht die Bauindustrie die Modellierung des Ablaufs auf der Baustelle. Damit lässt sich jedes Detail vorab digital planen: Wie viele Lastwagenladungen eines Baustoffs werden wann gebraucht? In welcher Reihenfolge laufen die Bauschritte ab?
Hier kommt Spot ins Spiel: Der Roboterhund sei zwar vor allem ein gutes Aushängeschild, gesteht Schollenberger. Denn oftmals würde Spots Aufgabe von einem weniger publikumswirksamen stationären Laserscanner übernommen – der ist aber bereits ein wichtiges Werkzeug auf der digitalisierten Baustelle. Beim Bau eines Eisenbahntunnels beispielsweise erstellen die Ingenieure mithilfe von Laserscans vorab ein genaues dreidimensionales Bild. «Wenn wir den Tunnel im Rohbau übernehmen, planen wir mit dem 3D-Bild den Einbau von Fahrbahn und Fahrleitung», sagt Schollenberger.
Doch dank dem Internet of Things, mit dem die verschiedenen Baumaschinen und -geräte untereinander kommunizieren, bleibt es nicht mehr nur bei der digitalen Planung: Jede Maschine liefert unzählige Daten zurück an die Computer. Damit kann das «Ist» auf der Baustelle mit dem geplanten «Soll» abgeglichen werden. Müssen die Arbeitskräfte vom Plan abweichen, hilft der Computer bei der Suche nach der besten Alternative.
Was ist das Internet of Things?
Davon profitieren wir bereits jetzt mehr als man meinen würde: Wenn wir ein Produkt im Internet bestellen, sehen wir sofort dessen Verfügbarkeit. Dabei hat das IoT seine Finger im Spiel: Das digitale Lagersystem verzeichnet jeden Wareneingang und -ausgang und ist damit stets über den Lagerbestand informiert. Wurde unser Paket abgefertigt, ist das Computersystem des Lieferdienstes über den aktuellen Aufenthaltsort informiert: Dank dem Internet der Dinge können wir das Paket dann bis vor unsere Haustüre verfolgen.
Die Logistik ist aber nur die Spitze des Eisbergs: Heute erheben Sensoren in der Industrie eine Unmenge an Daten. Füllstände, Maschinenstatus, Temperaturen, Stromverbrauch – die Datenmenge ist längst so gross, dass sie von Menschenhand nicht ausgewertet werden kann. Dadurch wird das IoT essenziell: Nur Computer können diese Datenflut analysieren und Prozesse immer weiter optimieren.
5G als Katalysator
Für die Digitalisierung der Baustellen stattete die Swisscom Rhomberg Sersa mit 5G-Technologie aus – dem Mobilfunknetz der neuesten Generation. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass das bereits sehr schnelle 4G-Netz dafür genügen würde. Doch die neue Technologie birgt zahlreiche Vorteile, die nicht auf den ersten Blick sichtbar werden.
Ein Bauwagen, der mit einem 5G-Hotspot ausgestattet ist, ermöglicht den Einsatz dort, wo kein anderes Netz vorhanden ist – beispielsweise in einem Tunnel im Rohbau. Und mehr noch: Im Gegensatz zu den Baumaschinen verfügt der Netzwagen über leistungsstarke Rechner, die die gesammelten Daten automatisch vor Ort auswerten können. Solche lokalen Netzwerkanwendungen wurden bei 5G im Gegensatz zu 4G bereits bei der Entwicklung der Technologie berücksichtigt. Die Datenverarbeitung vor Ort nennt sich «Edge Computing» und macht das Internet der Dinge noch effizienter. Die Latenz von 5G – die Zeit, die für die Signalübermittlung benötigt wird – ist bei 5G rund zehnmal niedriger als bei 4G. Im Zusammenspiel mit dem Edge Computing kann eine Baumaschine binnen weniger Millisekunden auf ein plötzliches Ereignis reagieren, oder eine Person gewarnt werden, die sich in eine Gefahrenzone begibt.
Klar ist: Die Digitalisierung der Baustelle ist selbst bei Branchen-Vorreiter Rhomberg Sersa noch lange nicht abgeschlossen. Bei Roboterhund Spot wie auch beim 5G-Hotspot im Tunnel handelt es sich um Vorarbeit, deren Potenzial heute noch nicht ausgeschöpft werden kann. Doch das Interesse wächst: «Immer mehr Firmen aus der Baubranche machen sich Gedanken», erzählt Matthias Jungen, «Internet of Things»-Entwickler bei Swisscom: «Wo kann ich Vorgänge automatisieren? Wie kann ich die Mitarbeitenden mit digitalen Hilfsmitteln unterstützen?». Grund dafür ist nicht nur die Effizienzsteigerung, sondern auch der Arbeitsmarkt, wie Christian Schollenberger weiss: «Leute zu finden, die in der Nacht und am Wochenende arbeiten, wird immer schwieriger. Wenn wir es schaffen, den Job durch Technologie attraktiv zu machen, hilft uns das auch bei der Stellenbesetzung.» Damit dürfte die Digitalisierung der Baustelle in der Branche weitere Kreise ziehen: Mit der Effizienzsteigerung und einer attraktiveren Arbeitssituation gibt es aus unternehmerischer Perspektive zwei gute Argumente für die digitale Baustelle. Dass nebenbei auch das Klima davon profitiert, ist ein erfreulicher Nebeneffekt.