Das musst du wissen

  • Covid-19 wurde in den letzten Monaten häufig mit Antibiotika behandelt.
  • Die Weltgesundheistorganisation (WHO) warnt vor dieser Praxis und der Ausbreitung resistenter Bakterien.
  • Der Infektiologe Stephan Harbarth sagt, dass Massnahmen gegen Resistenzbildung nicht vernachlässigt werden dürfen.

Herr Harbarth, teilen Sie die WHO-Einschätzung, dass derzeit wegen Covid-19-Behandlungen mehr Antibiotika zum Einsatz kommen?

Im Moment wird mehr als zuvor mit Antibiotika behandelt, das ist klar. Ihr Einsatz in Spitälern hat sich während der Pandemie in den letzten Monaten weltweit ungefähr verdoppelt.

Stephan Harbarth

Stephan Harbarth (*1967) studierte Medizin an der Ludwig-Maximilians Universität in München, sowie Epidemiologie an der Harvard School of Public Health in Boston. Seit 2018 ist er Full Professor an den Genfer Universitätsspitälern (HUG) und ist dort leitender Oberarzt der Abteilung für Spitalhygiene. Seine Forschungstätigkeit konzentriert sich auf die Epidemiologie und Prävention von antibiotikaresistenten Infektionen.

Wieso wird Covid-19 überhaupt mit Antibiotika behandelt, darauf sprechen doch nur Bakterien und nicht Viren an?

Am Anfang der Epidemie war eine Antibiotika-Behandlung von Covid-19 Patienten gerechtfertigt, weil man damit rechnen musste, dass es zu einer Ko-Infektion mit Bakterien kommt. Denn so was ist man von der Grippe gewöhnt. Mittlerweile wissen wir, dass eine solche Begleitinfektion bei Covid-19 nicht so häufig ist. Obwohl hier noch keine soliden Daten vorliegen, setzt sich bei vielen Ärzten die Ansicht durch, bei Covid-19 nicht oder nur über eine kurze Zeit mit Antibiotika zu behandeln.

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Führt der vermehrte Gebrauch von Antibiotika auch tatsächlich dazu, dass mehr resistente Bakterien entstehen und übertragen werden?

Zu dieser Frage haben wir aktuell noch keine Daten. Meiner Einschätzung nach gibt es auch Gründe, die dagegen sprechen. Zum Beispiel beschränkte sich der Überverbrauch auf einen kurzen Zeitraum von etwa zwei Monaten. Und es werden Antibiotika eingesetzt, von denen man weiss, dass sie nicht so stark zur Bildung hochresistenter Keime führen. Ausserdem könnte es auch sein, dass in den letzten Monaten generell weniger statt mehr resistente Keime übertragen wurden. Die Händehygiene hast sich wahrscheinlich verbessert. Dazu wurde während der Pandemie weniger gereist und in den Spitälern gibt es weniger chronisch kranke Patienten, die schon resistente Keime in sich tragen. Das sehen wir auch an den Genfer Universitätsspitälern (HUG).

Dort untersuchen Sie jede Woche, wie viele Menschen auf der Intensivstation resistente Bakterien tragen. Was zeigen Ihre Tests?
Unsere Daten der letzten Wochen zeigen, dass wir am HUG momentan einen Rückgang und nicht eine Zunahme von resistenten Bakterien haben. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass sich unsere Klientel geändert hat. Normalerweise werden auf der Intensivstation viele chronisch Kranke behandelt, die oft schon Träger von resistenten Bakterien sind. Von solchen Patienten sehen wir während der Corona-Pandemie viel weniger.

Also falscher Alarm?

Nein. Aber die Gefahr liegt, nach meiner Einschätzung, nicht so sehr darin, dass resistente Keime häufiger übertragen werden, sondern dass weltweit die Massnahmen zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen zurückgefahren werden. Im Zuge der Corona-Pandemie werden grosse Summen in die Erforschung des Virus und der Krankheit gesteckt. Meine Befürchtung ist, dass viele andere wichtige Initiativen, wie etwa die Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen, bei der Planung von Gesundheits- und Forschungsetats nun in die unterste Schublade geschoben werden.

Wieso sollte das passieren?

Viren haben einen grossen Flash-Effekt und sorgen für Aufregung. Das lässt uns vergessen, dass Antibiotika-Resistenzen von Bakterien ein entscheidendes und langdauerndes Gesundheitsproblem sind, welches alle Menschen weltweit betrifft. Denn das Problem der Resistenzen ist viel subtiler, das bekommt man nicht so mit. Wovor ich am meisten Angst habe ist, dass die WHO ein ähnliches Desaster erlebt wie vor 20 Jahren. Damals wurde eine erste Initiative gegen multiresistente Keime lanciert und zwar ausgerechnet am 11. September 2001. Die Warnungen der WHO verhallten damals weitgehend ungehört in der generellen Angst vor Bio-Terrorismus, zum Beispiel mit Anthrax. Da muss die WHO jetzt aufpassen, denn sie hat eine federführende Rolle.

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