Das musst du wissen

  • Die amerikanische Impfgegner-Bewegung ist sehr gut entwickelt und beeinflusst die Narrative der Antivaxxer weltweit.
  • Viele Köpfe der Antivaxxer-Bewegung sind vernetzt und einigen sich auf Konferenzen über Kernpunkte ihrer Kampagnen.
  • Während der Pandemie profitierten sie zusätzlich von ungeschickter Kommunikation von Behörden und Institutionen.
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Die Corona-Pandemie hat den Impfgegnern im Internet riesigen Zulauf beschert. Über zehn Millionen Follower haben die rund 150 grössten Antivaxxer-Accounts allein 2020 gesammelt. Dies hat das amerikanische Center for Countering Digital Hate (CCDH) errechnet. Heute haben diese Accounts insgesamt über fünfzig Millionen Anhänger. Und das sind nur die 150 grössten Accounts, es gibt unzählige weitere. Zehn Millionen Follower mehr, das heisst für diese Antivaxxer-Accounts: Sie haben ihr Publikum in nur einem Jahr um einen Viertel vergrössert.

Als Antivaxxer bezeichnen wir hier nicht einfach Personen, die Impfungen gegenüber skeptisch eingestellt sind, also lediglich Fragen stellen und Zweifel haben, sondern Impfgegner, welche aktiv das Vertrauen gegen etablierte Impfungen zu untergraben versuchen und dabei teilweise auch vor dem Verbreiten von Falschinformationen nicht zurückschrecken. Unter den Anhängern dieser Antivaxxer wiederum finden sich radikale Gegner aber auch Personen, die lediglich auf der Suche nach Informationen zu Impfungen sind.

Zentral für dieses Zehn-Millionen-Wachstum der Antivaxxer-Anhängerschaft waren die Plattformen Instagram und Youtube – und die Corona-Pandemie. «Für die Antivaxx-Communitys war Covid-19 ein Geschenk», sagt Neil Johnson. Er ist Physik-Professor an der George-Washington-Universität in Washington D.C. und untersucht die Netzwerkeffekte von Impfgegnern in den Sozialen Medien schon lange. Und er sagt: «2020 haben sich die Misstrauens-Communities auf eine Art und Weise zusammengetan, wie wir das nicht erwartet hätten.»

«Antivaxxing ist 2020 zu Mainstream geworden»

Neil JohnsonzVg

Neil Johnson

Den Impfgegnern kam zugute, was Johnson bereits 2019 in einer Studie feststellte: Auch wenn es zahlenmässig wenig wirklich radikale Impfgegner gibt, kommunizieren diese im Internet viel effektiver als Institutionen, welche Impfungen propagieren. Dies schaffen sie, weil die Impfgegner aus verschiedensten Communities zusammengesetzt sind, welche ganz unterschiedliche Kommunikationsstrategien nutzen und verschiedene Anknüpfungspunkte bieten. «Sie sind sowohl attraktiv für Leute, die gesund leben wollen, als auch für Leute, welche Angst vor der Regierung haben oder den Pharmaunternehmen nicht trauen. Aber auch für rassistische Gruppen», erklärt Johnson.

Dank dieser Strategien nahm die Bewegung der Impfgegner bereits 2019 Schwung auf. 2020 war dann das Jahr, in dem sie viele Zweifler abholen konnte. «Antivaxxing ist 2020 zu Mainstream geworden», sagt Johnson. Speziell Eltern seien noch enger an die Impfgegner-Bewegung herangerückt, denn sie seien es, die vor der Entscheidung stünden, ihre Kinder gegen Covid-19 impfen zu lassen – oder nicht.

Gleichzeitig brachte die Pandemie eine Welle von Unsicherheit und Zweifel mit sich: Anfangs war vieles über Sars-CoV-2 und dessen Verbreitung unbekannt oder erst ansatzweise erforscht. Studien wurden ohne Peer-review, also ohne Begutachtung, veröffentlicht, was zusätzlich Raum für Kritik und Zweifel bot. Gerade auch über die Covid-19-Impfungen. «Anders als bei anderen Impfungen, die seit Jahrzehnten angewandt werden, sind die Covid-19-Impfungen neu», sagt Johnson.

«The Disinformation Dozen»

Und: Die Antivaxxer haben die Krise geschickt genutzt. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Callum Hood. Er ist Analyst beim Center for Countering Digital Hate (CCDH), einer britischen Nichtregierungsorganisation, welche sich durch Stiftungsgelder finanziert. Er hat Facebook und Twitter nach Inhalten durchforstet, die zwischen Februar und März 2021 gepostet wurden und Desinformationen über die Covid-19-Impfungen enthielten. Auf diese Idee kamen er und sein Team, weil ihnen zu Beginn der Pandemie aufgefallen war, dass die wichtigsten Propagandisten von Desinformation zu Covid-19 allesamt Antivaxxer waren.

Dabei fanden die Analysten heraus: Mehr als zwei Drittel der veröffentlichten Falschinformationen stammten von lediglich zwölf Personen, die sie «The Disinformation Dozen» nennen.

Das Dutzend der Desinformation

In einem Bericht hat das Center for Countering Digital Hate (CCDH) analysiert, welche Impfgegner auf den sozialen Medien eine zentrale Rolle spielen, also besonders viele Follower haben, besonders viel Content kreieren und ein enormes Wachstum verzeichnen. Die Analysten des CCDH nahmen eine Stichprobe aus Posts, die zwischen dem 1. Februar und dem 16. März 2021 gepostet wurden und Falschinformationen zu Covid-19-Impfungen enthielten. Bei 65 Prozent der Inhalte identifizierten sie einen von zwölf führenden Antivaxxer als Urheber. Diese zwölf Köpfe waren: Joseph Mercola, Robert F. Kennedy Jr., Ty und Charlene Bollinger (gezählt als eine Einheit), Sherri Tenpenny, Rizza Islam, Rashid Buttar, Erin Elizabeth, Sayer Ji, Kelly Brogan, Christiane Northrup, Ben Tapper und Kevin Jenkins. Zudem nennt der Bericht Schlüsselorganisationen, über welche Falschinformationen zu Impfungen zusätzlich befördert werden: Children’s Health Defense, gegründet von Robert F. Kennedy Jr., Informed Consent Action Network (ICAN), geführt vom Impfgegner und Filmproduzenten Del Bigtree, National Vaccine Information Center (NVIC), finanziert von Joseph Mercola, Organic Conumers Association (OCA), finanziert von Joseph Mercola, und Millions Against Medical Mandates.

«Das sind Leute, die seit Jahren nur eine Mission haben: Das Vertrauen in Impfungen zu zerstören – und daran zu verdienen», sagt Hood. Dabei sei zu unterscheiden zwischen zwei Arten von Desinformation im Internet: Die organisch wachsende und die fabrizierte. «Ein Joseph Mercola sitzt an den Schreibtisch und designt einen Artikel gezielt, um Impfungen zu diskreditieren», sagt Hood. «Er macht das seit Jahren und weiss exakt, wie das geht. Und er hat eine riesige Reichweite.» Joseph Mercola ist einer der einflussreichsten Antivaxxer der Welt. Über alle Kanäle hinweg hat er rund 3,6 Millionen Follower. Der Millionär ist zugleich Unternehmer und verkauft alternativmedizinische Produkte und Bücher – die er über die gleichen Kanäle bewirbt, auf denen er auch Fehlinformationen zu Impfungen verbreitet.

Er ist nicht der einzige: Viele der prominenten Antivaxxer verdienen Geld mit Hilfe der sozialen Netzwerke. Viele Antivaxx-Unternehmer machten noch bis letztes Jahr Werbung auf Facebook und Youtube für eigene Produkte. Die Einnahmen von 14 bekannten Antivaxxer-Chanels auf Youtube schätzt das CCDH auf insgesamt 974 000 Dollar jährlich. Und kritisiert, dass sich auch die Betreiber der Plattformen dabei eine goldene Nase verdienen.

Amerikanische Impfgegner prägen die Debatte

Zudem sind vor allem die amerikanischen Antivaxxer gut vernetzt. «Sie führen Konferenzen durch, wo sie sich auf Kernpunkte einigen», sagt Callum Hood. Dem CCDH ist es im Oktober 2020 gelungen, Zugang zu einer dieser Konferenzen zu erhalten, wo sich einige der bekanntesten Exponenten der Antivaxxer-Szene austauschten. Nach den Recherchen des CCDH handeln Antivaxxer ähnlich wie politische Akteure oder Lobbying-Gruppen: Sie einigen sich auf eine Strategie, wie sie eine Kampagne fahren wollen. Und legen das zentrale Narrativ fest. In der Corona-Pandemie waren die Kernpunkte: 1. Covid-19 ist nicht gefährlich. 2. Impfungen sind gefährlich. 3. Der Forschung kann man nicht trauen.

«Die amerikanische Antivaxxer-Bewegung ist sehr gut entwickelt und ein weltweiter Innovator», sagt Hood. Das heisst: Die Narrative der amerikanischen Antivaxxer verbreiten sich wie ein Lauffeuer über den Erdball. Ein Augenschein zeigt: Auch auf Schweizer Impfgegner-Kanälen, zum Bespiel auf Telegram, tauchen diese Narrative und die amerikanischen Köpfe der Bewegung auf.

Ist Deplatforming die Lösung?

Doch können wirklich zwölf Personen einen solchen Einfluss haben? Oder gleicht diese Aussage nicht selbst einer Verschwörungstheorie? «Uns ist bewusst, dass das Ganze viel komplexer ist», sagt Callum Hood. Aber beim Durchforsten der Posts seien vor allem diese Personen mit ihren Accounts aufgefallen. Und er fordert, dass diese Personen von den Plattformen gesperrt werden sollten. Ziel des CCDH ist es, auf Unternehmen wie Facebook Druck auszuüben, damit Antivaxxer-Accounts, die offensichtlich Falschinformationen verbreiten, gesperrt werden, statt sie per Algorithmus noch weiter zu befördern und damit Zweifler in immer radikalere Ecken zu führen. Im Jargon nennt sich das Deplatforming. Doch bringen solche Sperren etwas?

«Das wäre, wie wenn Sie in Ihrem Garten zwölf Insekten zertreten», sagt der Netzwerkforscher Neil Johnson. «Es gibt Millionen weitere – und das nicht nur in Ihrem Garten, sondern auch in jenem des Nachbars». Und im Internet ist sozusagen jede weitere Plattform der Nachbar: «Viele Gruppierungen wechseln derzeit zum Beispiel von traditionellen Plattformen wie Facebook und Youtube auf Telegram – also den Ort, wo vor einigen Jahren die Gruppen des Islamischen Staats IS zu finden waren.»

Die Antivaxxer-Bewegung mittels Löschen zum Verschwinden zu bringen, sei ohnehin nicht möglich. «Solche Bewegungen existieren, sie sind menschlich.» Darüber zu diskutieren, ob es sie geben dürfe, sei ähnlich, wie darüber zu diskutieren, ob Wespen existieren sollten.

Unpräzise Kommunikation der Behörden

Stattdessen könne man untersuchen, wie solche Bewegungen entstünden, wo die Schnellstrassen der Desinformation liegen – und dort dann Geschwindigkeitsbegrenzungen zu platzieren. Also zum Beispiel Warnungen voranstellen, welche Leserinnen und Leser dafür sensibilisieren, Falschinformationen zu erkennen. «Nur so können wir diesen Kampf gewinnen», sagt Johnson.

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Und auch bei der Wissenschaftskommunikation sieht Johnson Verbesserungspotenzial: «Wissenschaftler und Behörden haben 2020 einen schlechten Job gemacht», sagt er. Einzig zu sagen, alles sei gut und Zweifler verstünden nichts von der Sache, sei das falsche Rezept. Auch sei die Kommunikation zu wenig präzis gewesen. So habe Anthony Fauci, Direktor des amerikanischen Institute of Allergy and Infectious Diseases, zu Beginn der Pandemie gesagt: «Ihr braucht keine Masken.» Was er gemeint habe, war aber: «Tragt keine Masken, sonst nehmt ihr sie den Leuten weg, die operieren müssen.» Dasselbe Kommunikationsdesaster hat sich zu Beginn der Pandemie auch in der Schweiz abgespielt.

Trotzdem: Hohe Impfraten in der Schweiz

Wie also steht es um die Impfgegner in der Schweiz? «In Europa geht der Trend überall in die gleiche Richtung: Etwa dreissig Prozent der Bevölkerung könnte man als impfskeptisch bezeichnen», sagt Philip Tarr. Er ist Co-Chefarzt der Medizinischen Universitätsklinik am Kantonsspital Baselland und leitet ein nationales Forschungsprogramm zur Impfskepsis in der Schweiz.

Ein Mann bekommt nach einer Impfung ein Pflaster auf den Oberarm geklebt.unsplash/CDC

Viele Leute, die Impfungen skeptisch gegenüberstehen, lassen sich irgendwann doch impfen.

In die Unkenrufe mag er aber nicht einstimmen. Und zieht hierfür die Zahlen herbei: «Die meisten der Impfskeptiker impfen sich schliesslich doch. Jene, die sich nicht impfen, machen wenige Prozent aus, das sieht man an den Impfraten: Bei Masern, Polio, Starrkrampf haben wir Impfraten von über neunzig Prozent.» Auch dazu, dass die Impfskepsis in den letzten zehn bis zwanzig Jahren zugenommen habe, kenne er keine belastbaren Daten.

Impfskepsis ist durchaus angebracht

In der Pandemie hingegen habe sich einiges geändert: «Früher ging es zehn Jahre, bis eine Impfung auf dem Markt war, Phase eins, zwei und drei der klinischen Testung kamen nacheinander». In der Pandemie musste das schneller gehen, Staaten und Firmen stellten Milliarden bereit, um Impfungen zu entwickeln und die Test-Phasen wurden parallel geschaltet. «Die Forschenden hatten das Geld von Anfang an beisammen und mussten zwischen den Phasen kein Geld mehr suchen», sagt er. «Zwar ist alles korrekt abgelaufen, aber trotzdem ist es schwierig, der Bevölkerung zu erklären, warum wir für die Entwicklung einer Impfung jetzt nur ein Jahr gebraucht haben statt wie normalerweise deren zehn.»

So ergab dann auch eine repräsentative Umfrage Ende 2020, dass rund dreissig Prozent der Bevölkerung den neuen Covid-Impfungen nicht trauten. Eine gesunde Portion Skepsis sei den neuen Impfungen gegenüber durchaus angebracht, sagt Tarr: «Die mRNA-Impfungen sind noch nie angewendet worden, da ist Skepsis normal».

Impfskeptische Eltern und Ärzte in der Schweiz

In dem Forschungsprojekt unter der Leitung von Philip Tarr werden impfskeptische Eltern und Komplementär- bzw. Alternativmediziner sowie impfbefürwortende Eltern und Schulmedizinerinnen vertieft zu ihrer Impfeinstellung und ihren Beweggründen befragt. Erste Erkenntnisse verrät Tarr bereits: «Alternativmediziner nehmen sich oft mehr Zeit, um die Fragen von Eltern bezüglich Impfungen zu klären. Klassische Allgemeinmediziner hingegen empfinden es oft als anstrengend, mit impfskeptischen Leuten zu diskutieren.» In einer Umfrage haben denn auch 85 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachpersonen, Hebammen und Apothekerinnen angegeben, an zusätzlicher fachlicher und kommunikativer Fortbildung zu Impfungen interessiert zu sein.

Seltene Nebenwirkungen treten verspätet auf

Philip TarrzVg

Philip Tarr.

Aber dieser Skepsis könne man begegnen, in dem man offen kommuniziere. Als positives Beispiel erwähnt Tarr: «Christoph Berger von der Impfkommission sagte bereits im Januar dieses Jahres, es werde zu seltenen, schweren, unbekannten Nebenwirkungen kommen.» Die Phase-III-Studien von Moderna wurden mit rund 40 000 Leuten durchgeführt. Das klingt zwar nach einer hohen Zahl von Probanden, aber es sind doch noch zu wenige, um auch sehr seltene Nebenwirkungen zu entdecken, die zum Beispiel bei einem von 100 000 Geimpften auftreten und darum noch gar nicht bekannt sein können. Da sei es legitim, so Tarr, dass Leute, die Angst hätten, noch zuwarten mit Impfen. «Impfsicherheits-Experten sagen: Wer Angst hat, soll fünf bis sechs Monate warten. Dann weiss man definitiv, ob eine Impfung sicher ist.»

Denn bis dann sind schon hunderte von Millionen Leute geimpft. Bis zum 16. Mai sind beispielsweise rund 1,8 Millionen Dosen des Moderna-Impfstoffes allein in der Schweiz verimpft worden – und etwa gleich viel vom Hersteller Pfizer/Biontech. 1,2 Millionen Personen in der Schweiz waren bis dahin vollständig geimpft. Bis am 4. Mai 2021 sind diesbezüglich 1953 Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen bei Swissmedic, dem Schweizerisches Heilmittelinstitut, eingegangen. Weltweit sind bis dahin über 1,4 Milliarden Dosen verschiedener Covid-19-Impfstoffe zum Einsatz gekommen.Die Meldungen bestätigen das aus den Zulassungsstudien bekannte Nebenwirkungsprofil: Die Impfungen führen nur sehr selten zu schweren Nebenwirkungen. Schwere allergische Reaktionen zum Beispiel treten nach Impfungen mit durchschnittlich 1,31 Fälle pro eine Million Impfdosen auf.

Zu der Überlegung, wie viel Risiko man für sich selbst in Kauf nehmen will, gehört immer auch die Abwägung des Impfrisikos gegenüber dem Krankheitsrisiko. Dabei gilt es, die Hospitalisierungsrate beziehungsweise Sterberate im Falle einer Infektion einzubeziehen. Diese Zahlen sind recht genau bekannt.

Die 3. Welle

Von insgesamt 124 277 bestätigten Fällen in der dritten Welle verstarben bis zum 19. Mai 606 – dies entspricht einer Sterberate von 0,49 Prozent. Wobei das Risiko ab dem 70. Lebensjahr 3,76 Prozent betrug – ab dem 80 Lebensjahr 13,2 Prozent. Auch das Risiko der Hospitalisierung steigt mit zunehmendem Alter: Von den insgesamt 124 277 bestätigten Fällen der dritten Welle kamen 4 413 ins Spital. Das entspricht einer Hospitalisierungsrate von 3,55 Prozent. Auch hier steigt das Risiko mit zunehmendem Alter. Ab 60 Jahren beträgt es 9,69 Prozent. Ab 70 Jahren sind es 19,7 und ab 80 Jahren 32 Prozent

Auch über Nachteile der Impfungen sprechen

Tendenziell würden Nachteile der Impfungen sehr zurückhaltend kommuniziert, beobachtet Tarr. «Das ist es auch, worüber sich zum Beispiel Komplementärmediziner und -medizinerinnen beklagen und was sie als ‘Impfpropaganda’ bezeichnen. Die Behörden würden nur positiv berichten», sagt der Forscher, der mit impfskeptischen Komplementärmedizinern detaillierte Interviews durchgeführt hat. Er ergänzt: «Das Negative wird zwar nicht unter den Teppich gekehrt, aber es wird auch nicht aktiv darüber berichtet.» Dabei würde genau solch ausgewogene Kommunikation Vertrauen schaffen.

Dass die Kommunikation von Behörden und auch Ärzteschaft und Wissenschaftlern teilweise am Ziel vorbeischiesst, liegt auch daran, dass sie meist traditionell ausfällt. Das heisst: top-down. «Früher hat der Arzt befohlen und der Patient hat es gemacht. Das hat sich deutlich geändert: Die Leute sind heute besser informiert, teilweise auch durch das Internet, und wollen mitdiskutieren.» Was gegen Impfskepsis heute helfe, seien Informationen auf Augenhöhe: «Die Leute vertrauen nicht mehr unbedingt einer hierarchisch höher gestellten Person, sondern jemandem auf gleicher Ebene.» Das heisst: Freundinnen und Kollegen, die geimpft sind und davon positiv berichten. Die erzählen, wie es war nach der ersten Dosis. Nach der zweiten. Wochen danach. Das heisst: Was am besten gegen Impfskepsis hilft, ist Zeit.

Eidgenössische Volksinitiative gegen eine Impfpflicht

Impfskeptiker haben in der Schweiz am 1. Dezember 2020 eine eidgenössische Volksinitiative gegen eine Impfpflicht lanciert. Lanciert hat die Initiative die Freiheitliche Bewegung Schweiz (FBS) des ehemaligen SVP-Politikers Richard Koller. Politische Schwergewichte fehlen im Initiativkomitee, dabei sind aber einige Corona-Skeptiker, eine SVP-Nationalrätin und Anti-5G-Aktivisten. Die Initiative fordert eine Änderung der Bundesverfassung, wonach im Zusammenhang mit einer Impfung Eingriffe in die körperliche oder geistige Unversehrtheit einer Person deren Zustimmung bedürfen. «Die betroffene Person darf aufgrund der Verweigerung der Zustimmung weder bestraft werden noch dürfen ihr soziale oder berufliche Nachteile erwachsen», steht im Initiativtext. Eine Impfpflicht steht in der Schweiz derzeit nicht zur Debatte.
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