Sterne, Girlanden, geschmückte Strassenzüge – die weihnachtliche Beleuchtung ist aus der dunklen Jahreszeit nicht wegzudenken. Ihr Licht schafft Geborgenheit und verströmt Hoffnung. Doch Licht hat auch seine dunkle Seite, wie die Kunsthistorikerin Nanni Baltzer* von der Universität Zürich in ihrer Dissertation zeigt. Es diente den italienischen Faschisten und den deutschen Nationalsozialisten zur Manipulation der Massen.

Am Abend des 28. Oktobers 1933 erstrahlte der Platz vor dem Mailänder Dom als «giardino luminoso» – als Lichtergarten: Die Fassaden der umstehenden Häuser waren theatralisch ausgeleuchtet, gläserne Lichtsäulen schmückten den Platz und vor der Domfassade prangte ein hell angestrahltes, gut 30 Meter hohes Porträt Mussolinis. «Dass der Duce sein Konterfei vor dem Dom aufstellen liess, entsprach seiner politischen Absicht», sagt Nanni Baltzer. «Er wollte den Faschismus mit dem Katholizismus auf eine Stufe stellen.»

Religiöse Gefühle

Dabei diente Licht nicht einfach zur Beleuchtung des Platzes, sondern zur Beeindruckung der Menschen. «Licht kann mystische bis religiöse Gefühle wecken», erklärt der Designer und Lichtingenieur Oliver Stefani vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Auf welche Art es dies tut, sei bis heute wissenschaftlich noch kaum untersucht.

«Für die Massen muss man entweder ein Gott sein oder man ist nichts.»Gustave Le Bon, Begründer der Massenpsychologie

Doch in jener Oktobernacht von 1933 tat das Licht seine Wirkung. Trotz Kälte und Regen huldigten Tausende Italiener vor den Dom ihrem Führer. Indem Mussolini den Faschismus zu einer Art Religion erhob, folgte er einem Leitsatz des französischen Psychiaters Gustave Le Bon, dem Begründer der Massenpsychologie: «Fur die Massen muss man entweder ein Gott sein oder man ist nichts.»

Vorbild Zürich?

Das Vorbild für den «giardino luminoso» bot wahrscheinlich ein Kunstanlass, der ein Jahr zuvor in Zürich stattgefunden hatte. In der Limmatstadt faszinierte die Kraft des Lichtes das Publikum anlässlich der sogenannten Lichtwoche. «Ob Mussolini die Zürcher Installationen gesehen hat, wissen wir nicht», sagt Kunsthistorikerin Baltzer, «doch die Bilder davon waren auch in vielen italienischen Zeitungen abgedruckt.» Und die mehrere Meter hohen Lichtsäulen vor dem Mailänder Dom waren jenen von Zürich auffallend ähnlich.

Bundesarchiv

Lichtdom 1936 in Nürnberg, inszeniert von Hitlers Architekt Albert Speer.

Zur Perfektion gelangte die Manipulation der Massen mittels Licht aber erst durch Adolf Hitler. Für den Reichsparteitag von 1936 schuf Hitlers Architekt Albert Speer den sogenannten Lichtdom. Dazu liess Speer nicht Fassaden beleuchten und nach oben begrenzte Lichtsäulen aufstellen, sondern richtete 152 Fliegerabwehr-Scheinwerfer in den Himmel. Mehrere Kilometer hoch stiessen die Strahlen rund um das Nürnberger Zeppelinfeld in das Schwarz der Nacht und machten so das Licht zum Baustoff für eine nationalsozialistische Kathedrale mit metaphysischer Wirkung. Die gigantischen Wände aus Licht hielten mehr als 200 000 Menschen zusammen und machten sie zu einer Einheit.

Das Interview mit Nanni Baltzer hat Beat Glogger im Dezember 2015 geführt. Die Zürcher Kunsthistorikerin ist am 21. September 2019 nach schwerer Krankheit viel zu früh verstorben. Sie war viele Jahre Assistentin am Lehrstuhl Geschichte der bildenden Kunst und hat am Aufbau und der Führung des Studienfachs Theorie und Geschichte der Fotografie massgeblich mitgewirkt.
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