Durch viele Hände ist sie gegangen, die 50-Franken-Banknote aus der achten Banknotenserie. Doch nur selten ist den meisten Menschen wohl bewusst gewesen, wen sie dort, als einzige Frau zwischen namhaften Schweizer Persönlichkeiten wie Le Corbusier, Arthur Honegger, Alberto Giacometti, Charles Ferdinand Ramuz und Jacob Burckhardt, in den Händen hielten: Sophie Taeuber-Arp. Sie ist eine der herausragenden Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts und doch bis heute eine der bekannten Unbekannten. Dabei prägte ihr künstlerisches Werk massgeblich die Entwicklung der Kunst und ist auch heute noch entscheidend für die Art und Weise wie wir leben und gestalten.

Alles begann in Davos, wo Sophie Taeuber am 19. Januar 1889 geboren wurde. Nach dem Tod des Vaters zog ihre Mutter mit den fünf Kindern nach Trogen im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Das Dorf war grösstenteils von Bauern bewohnt, gleichzeitig aber ein Zentrum der Textilindustrie. Die Mutter musste die Familie finanziell über Wasser halten und schickte Sophie, die schon früh ein künstlerisches Talent zeigte, mit 15 Jahren für eine Ausbildung als Textildesignerin an eine Privatschule nach St. Gallen.

Fünf Jahre später traf Sophie dann ihre erste selbständige Entscheidung. Sie ging nach München an die Debschitz-Schule, um Kunst und Gestaltung zu studieren. Zu dieser Zeit übte sie noch ganz traditionell Stillleben und Akte, doch das Neue, das in der Kunst und im Kunstgewerbe aufkam, zog sie magisch an.

Der Erste Weltkrieg zwang sie 1914, in die Schweiz zurückzukehren. Sie wählte Zürich, das von Künstlern aus ganz Europa bevölkert wurde und sich zu einem kulturellen Zentrum entwickelte. Hier lernte Sophie Taeuber im Jahr 1916 auch den drei Jahre älteren Hans Arp kennen, der 1886 in Strassburg geboren wurde und die deutsche Staatsangehörigkeit besass.

Wie viele Ausländer hatte er nach Ausbruch des Krieges Zuflucht in der Schweiz gesucht. Er war damals schon ein recht bekannter Kunstrevolutionär, Dichter und abstrakter Künstler, lebensfroh, temperamentvoll. Er stand gerne im Mittelpunkt und war sehr beliebt. Sophie und Hans, das war eine grosse Liebe beiderseits und eine inspirierende künstlerische Beziehung. Von den praktischen Dingen im Leben verstand er wenig, sie hingegen packte die Dinge an. Zugleich war sie ein sehr zurückhaltender Mensch, sie sprach nicht viel, stellte sich nie in den Vordergrund und stand ihrer eigenen Kunst auch ziemlich kritisch gegenüber. Sie wollte sie weder ausstellen, noch veröffentlichen.

Sophie Taeuber-Arp

Vertikal-horizontale Komposition, 1916

Sophie Taeuber unterrichtete an der Zürcher Kunstgewerbeschule, wo sie die Textilklasse leitete. Sie entwarf Stoffe, Teppiche, Alltagsgegenstände und Schmuck in einem neuen avantgardistischen Stil. Noch im selben Jahr war Hans Arp einer der Mitbegründer der Dada-Bewegung. Er führte auch Sophie Taeuber in den Dada-Kreis mit ein. Es waren Emigranten wie die Rumänen Tristan Tzara und Marcel Janco, die Deutschen Hans Richter, Hugo Ball, Emmy Hennings, die vor dem Ersten Weltkrieg nach Zürich geflohen waren. Zusammen führten sie das berühmte Dada-Lokal Cabaret Voltaire. Sie provozierten dort das Publikum fast täglich mit allerlei Kunstaktionen. Ein halbes Jahr existierte das Cabaret, aber da es kaum Aussenwirkung hatte, blieb es doch nur denjenigen vorbehalten, die anwesend waren.

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Hugo Ball bei einer Vorstellung im Cabaret Voltaire, 1916.

Dada war die Antwort auf den Wahnsinn des Krieges. Eine Revolte gegen die bürgerliche Welt und deren Kunst. Eine Reihe von Dada-Kostümen hatte Sophie Taeuber zu dieser Zeit gemacht, inspiriert von Kleidung der Hopi Indianer. Es waren originelle Kreationen und Sophie Taeubers Vielseitigkeit und handwerkliches Können passte perfekt zum Dada-Geist. Zusammen mit 20 anderen Künstlerinnen und Künstlern unterzeichnete sie das Dada-Manifest, allerdings mit einem Pseudonym, da ihr sonst von der Schule die Kündigung gedroht hätte. Das Unterrichten sicherte ihr aber ein festes Einkommen.

So blieb Sophie Taeuber für die Öffentlichkeit anonym, auch bei ihren Auftritten als Tänzerin, unter anderem bei Dada-Soireen in Zürich. Tanz, Bewegung, Kostüm, Bühnenbild, Requisite, Material: Es ging ihr darum, all diese Aspekte zu verbinden und Irritation zu erzeugen und so das Selbstverständliche immer wieder in Frage stellen. Sie tanzte insgesamt etwa fünf Jahre, dann hörte sie für immer damit auf. Der Aspekt der Bewegung und Linienführung jedoch blieb in ihrem künstlerischen Werk präsent.

Im Jahr 1918 gestaltete sie siebzehn Marionetten für das Puppenspiel «König Hirsch», das in Zürich aufgeführt wurde. In diesen Marionetten brachte sie Dada und konstruktive Kunst zusammen. Die Figuren bestanden aus lauter geometrischen Formen und erregten in Künstlerkreisen grosses Aufsehen. In den darauffolgenden Jahren waren sie und Hans in regem Kontakt und Austausch mit Künstlerinnen und Künstlern, Intellektuellen und Literaten.

In 1919 zog Hans Arp nach Köln, wo er zusammen mit den Künstlern Max Ernst und Johannes Theodor Baargeld den Kölner Dadaismus begründete. Kurz darauf verbrachte er einige Zeit in Berlin, während Sophie Taeuber sich in Zürich ihrer Kunst widmete. Eine produktive Zeit, in der sie Tapisserien, Gemälde und bemalte Holzskulpturen erschuf, darunter auch ihren berühmten Dada-Kopf.

Sophie Taeuber-Arp

Dada-Kopf, 1920

Im Jahr 1922, nach sieben Jahren Beziehung, heirateten Sophie Taeuber und Hans Arp. Doch in Zürich schien die Aufbruchsstimmung mehr und mehr vorbei. Künstlerinnen und Künstler zogen nach Kriegsende weg, die meisten gingen nach Paris und Berlin. Hans Arp zog nach Strassburg, um die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Sophie blieb in Zürich und schuf in diesen Jahren nur sehr wenige Werke. Sie ertrug das Leben ohne Hans und den monotonen Alltag in der Schule nur schlecht.

Sophie Taeuber-Arp

Dada-Tapisserie, 1920

Ab Mitte der 1920er Jahre widmete sie sich einem neuen Schaffensbereich, der Innenarchitektur. 1926 erhielt sie den Auftrag, in dem ehemaligen Militärgebäude, das im 18. Jahrhundert am Place Kleber in Strassburg gebaut wurde und seitdem den Namen Aubette (auf Deutsch: Unterstand) trägt, zehn grosse Räume neu zu gestalten. Für Sophie ein Traumauftrag, sie musste aber einsehen, dass er zu umfangreich für sie allein war. Da sie die Schule als sichere Einnahmequelle nicht aufgeben wollte, teilte sie die Arbeit mit Hans Arp. Zusammen luden sie als weiteren Partner den Niederländer Theo van Doesburg ein, den wichtigsten konstruktiven Künstler und Haupttheoretiker der Konkreten Kunst.

Zwei Jahre lange pendelte sie alle zwei Wochen von Zürich nach Strassburg voller Energie und Hingabe für dieses Projekt. Alles sollte nach den Prinzipien der Konkreten Kunst gestaltet werden, Van Doesburg formulierte hierfür die Theorie und das Konzept. Ausgangspunkt waren mathematisch-geometrischen Grundlagen und die ausschliessliche Konzentration auf das Zusammenspiel von Form und Farbe.

Anders als die Abstrakte Kunst, die in der materiellen Realität Vorhandenes abstrahiert, wird eine rein geometrische Konstruktion erzeugt, bei der die Farbe als Grundsubstanz der reinen Malerei gilt und nur sich selbst bedeutet. Die Räume wurden unter den drei Künstlern aufgeteilt. 1928 war es soweit, die Aubette wurde fertiggestellt. Die Presse berichtete positiv, die Kunstwelt war begeistert. Doch beim grossbürgerlichen Publikum kam die Aubette gar nicht gut an und insbesondere Sophie Taeuber schmerzte diese Ablehnung sehr. Doch die positive Resonanz in Fachkreisen und die Erfahrung, die sie bei diesem Grossprojekt in künstlerischer wie auch in bautechnischer Hinsicht sammeln konnte, liessen ihren Schaffensdrang weiter wachsen. Heute gilt die Aubette als avantgardistischer und innenarchitektonisch wegweisender Gesamtkomplex, der unter anderem auch ein Museum für zeitgenössische Kunst beherbergt.

Das Jahr 1929 bedeutete einen Neubeginn. Sophie Taeuber und Hans Arp erhielten die französische Staatsbürgerschaft und Sophie entschied sich, ihre Stelle an der Schule in Zürich aufzugeben. Die beiden zogen nach Meudon in die Nähe von Paris. Dort baute Sophie mit dem Aubette-Honorar nach eigenen Entwürfen ein Haus aus Naturstein. Im Kontrast dazu setzte sie Details aus Beton.

Im ersten Stock befand sich das Atelier von Hans Arp, darüber jenes von Sophie. Zum ersten Mal lebten sie richtig zusammen und Sophie konnte sich im Alter von 40 Jahren voll ihrer Kunst widmen. Sie genoss das Leben der nahegelegenen Grossstadt Paris. Hans Arp war eine wichtige Figur in der Pariser Kunstszene, er kannte die halbe Stadt. Und Paris war in den 1930er Jahren das Zentrum des internationalen Kunstmarktes. Die Werke von Hans Arp brachten langsam mehr ein. Sophie Taeuber begann erst jetzt regelmässig in Galerien auszustellen. Ihre Werke wurden neben jenen von Alberto Giacometti und Wassily Kandinsky ausgestellt und wanderten von nun auch an weitere Gruppenausstellungen in Museen, unter anderem auch ins Guggenheim Museum und ins MoMA in New York. In Paris trat sie verschiedenen Künstlervereinen bei, deren Mitglieder die wichtigsten Avantgarde-Künstler waren, darunter Max Ernst, Robert und Sonia Delaunay, mit denen die Arps auch eng befreundet waren. Paris war vermutlich Sophies produktivste Zeit. Sie widmete sich wieder Holzplastiken und entwarf eigene Möbel.

Sophie Täuber-Arp und Hans ArpSchweizerisches Sozialarchiv/Fa-0007-03

Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp.

1940 kam es zum entscheidenden Wendepunkt, Paris wurde von den Nationalsozialisten besetzt. Sophie Taeuber und Hans Arp liessen alles zurück und flohen ins noch nicht besetzte Südfrankreich, nach Grasse. Zwei Jahre haben sie dort verbracht, ohne Geld, in völliger Ungewissheit über die Zukunft und im Wissen, dass es für ihre Kunst kaum Lebensraum mehr gibt.

Unter den Nazis war moderne Kunst als «entartet» erklärt worden und somit verboten. Es gab keinen Markt mehr, den Künstlern wurde jegliche Lebensgrundlage entzogen. Sophie Taeuber setze ihre Arbeit aber fort, oft nur mit Bleistift, da das Material knapp war. Schliesslich wurde auch Südfrankreich von den Deutschen besetzt und Sophie und Hans flohen weiter nach Zürich. Gesundheitlich angeschlagen und unterernährt kamen sie dort im November 1942 an. Sophie Taeuber lebte zunächst bei Verwandten, Hans Arp bei Freunden. Sie fanden nur langsam wieder in einen normalen Alltag zurück.

Sophie hatte sich allmählich von den Strapazen erholt und ihr guter Freund Max Bill hatte sie informiert, dass er als Verleger eine Mappe mit Originalabdrucken von verschiedenen Künstlern herausbringen wolle. Ein Blatt von Sophie war dabei und er lud sie zu sich nach Hause ein, damit sie die Auflage signiert. Es war der 13. Januar 1943. Am Abend kam auch Hans Arp dazu. Da es spät wurde, entschlossen sich die beiden bei den Bills zu übernachten. Für Sophie hatten sie den warmen Kaminplatz vorgesehen, doch auch Hans Arp wollte den warmen Schlafplatz nutzen. Daraufhin entschloss sich Sophie Taeuber in das ungeheizte Zimmerchen, einem umgebauten Balkon mit einem kleinen Kanonenofen, zu gehen. Es war bitterkalt und in der Nacht begann sie, zu heizen. Am nächsten Morgen war sie tot. Eine Kohlenmonoxid-Vergiftung.

Die Polizei fand keine Indizien für ein Verbrechen oder Selbstmord. Ein tragischer Unfall, der alle Freunde und Bekannte von Sophie und Hans erschütterte. Ein kleiner Kreis von Kunstfreunden, der sie kannte, nahm mit Nachrufen Abschied von ihr. Hans Arp gestaltete eine Karte als Todesanzeige. Er war am Boden zerstört und gab sich eine Mitschuld am Tod seiner geliebten Frau. Er brauchte Jahre, um zum normalen Leben zurückzufinden.

In seinen Gedichten und Werke schwor er ihr bis zuletzt seine Liebe. Und er bestand darauf, seine Werke dürften nur zusammen mit ihren ausgestellt werden. Eine Liebeserklärung, die ihr fast zum Verhängnis wurde. Sie band sie als Künstlerin noch mehr an den Namen von Hans Arp. Doch ihr Werk und ihr künstlerisches Vermächtnis stehen für sich. Und wir entdecken und begreifen erst heute, welch entscheidende Bedeutung Sophie Taeuber-Arp für die Entwicklung von Kunst und Kunstgewerbe hat: Sie ist unbestritten die Pionierin und Wegbereiterin der Avantgarde und eine der herausragenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

Pioniergeist Ostschweiz

Menschen, welche das Leben in der Schweiz und manchmal sogar im Aus­land veränderten: Solche Pio­niere gab und gibt es auch in der Ostschweiz. higgs porträtiert bekannte aber auch unbekannte Persönlich­­keiten, die Pionier­leistungen erbrachten. Wir stöbern in den Archiven, reden mit Nachkommen oder gleich mit den Pionieren und Pionierinnen selber. Diese higgs-Serie wird am Ende zu einem attraktiven Coffee-Table-Buch zusammengefasst – ganz nach dem Vorbild des Vorgänger­projektes «Zürcher Pio­­niergeist».
 
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