Benedikt Meyers Zeitreise
Dass sich unter dem Dorf Agaunum (St. Maurice) ein antikes Massengrab befand, interessierte lange Zeit niemanden. Dies änderte sich durch eine Geschichte, die sich hier im Jahr 303 zugetragen haben soll: Dem Martyrium des Heiligen Mauritius und seiner «thebäischen Legion».
Durch Diokletian und Maximian kam das Römische Reich nach turbulenten Jahren wieder zu Ruhe und Stabilität. Die beiden Kaiser teilten sich die Macht, setzten zwei weitere Unterkaiser ein und teilten das Herrschaftsgebiet geografisch auf. Bei Problemen war so schnell einer der Machthaber zur Stelle. Ausserdem räumte das System mit der Unsitte siegestrunkener Soldaten auf, ihren jeweiligen Feldherrn gleich zum neuen Kaiser auszurufen.
Diokletian und Maximian brachten aber nicht nur die Soldaten zur Räson, sie schüchterten auch die Alemannen weiter ein und kontrollierten aufmüpfige Bauern in Gallien. Und sie starteten im Jahr 303 die letzte und grösste Christenverfolgung im Römischen Reich. Und in just dieser Zeit wurzelt die Legende von der thebäischen Legion. Genauer: in Ägypten, noch genauer: in Theben.
Von dort zogen christliche Legionäre angeblich mit ihrem Hauptmann Mauritius nach Norden, wo sie aufständische Gallier bekämpfen sollten. Nach der Überquerung des grossen St. Bernhard stellte sie Kaiser Maximian bei Octodurum (Martigny) auf die Probe: Sie sollten den römischen Göttern Opfer darbringen. Mauritius und seine Leute weigerten sich – woraufhin die Legion zweimal dezimiert wurde. Die «decimatio» war die härteste Strafe für eine Einheit: Sie bedeutete, dass jeder zehnte Soldat von seinen Kameraden getötet werden musste.
Mauritius und seine Leute zogen noch einige Kilometer weiter nordwärts, dann in Agaunum verweigerten sie erneut die Befehle Maximians. Erzürnt liess dieser schliesslich die gesamte Legion hinrichten. Die historischen Fakten zu dieser Märtyrergeschichte sind widersprüchlich. Ganz sicher ist hingegen, dass sich eine Legende entwickelte, die St. Maurice im Lauf der Jahrhunderte zum populären Pilgerort machte.
Das Dorf lag am Fuss des Grossen St. Bernhard und damit an einer wichtigen Handels- und Pilgerroute nach Rom. Das eingangs erwähnte Massengrab kam nun sehr gelegen. Denn von den unzähligen Knochen konnte jeder thebäischer, also heiliger Abstammung sein und die Gebeine wurden weit über die heutige Schweiz hinaus als Reliquien verschenkt oder verkauft.