Benedikt Meyer


Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Mit «Im Flug» hat er die erste wissenschaftliche Geschichte der Schweizer Luftfahrt geschrieben, mit «Nach Ohio» seinen ersten Roman veröffentlicht. Bei higgs erzählt er in der «Zeitreise» jeden Sonntag Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catherine Reponds tragischem Ende und von Henri Dunant bis zu Iris von Roten.

Um den Moléson tobte ein heftiger Sturm. Blitze färbten den Himmel purpurn und tauchten die Landschaft in gespenstische Farben. Bergbäche stürzten scheinbar brennend zu Tal und ein zorniger Wind fuhr durch den Wald wie durch ein Kornfeld. Tausend Bäume wurden entwurzelt, zwanzig Chalets hinfortgetragen und unzählige Kühe in den Abgrund geschleudert. Und während die Leute verzweifelt gegen die Elemente ankämpften, erschien die alte Catillon, hoch oben am Berg, fröhlich tanzend in einem Wirbel brennender Wolken. Schreckliche Dämonen begleiteten sie und wüteten gegen den Felsen, aus dem plötzlich ein grosser Block herausbrach, der hinunterstürzte und zahlreiche Kühe unter sich begrub. So jedenfalls berichtet es Joseph Genoud in seinen «Légendes fribourgeoises».

Der Moléson in den Freiburger Voralpen.

Catillon selbst hätte vermutlich eine etwas andere Version erzählt, aber auf das Gerede der buckligen alten Bettlerin gab man nicht viel. Catillon lebte unverheiratet mit ihrer Schwester in einem Haus in Villarvolard. Sie zog herum und bettelte auf den Alpen um Milch. Er habe ihr nichts gegeben, berichtete ein Älpler, da habe sie ihn verflucht. Und im Jahr drauf wollte die Milch partout nicht zu Käse gerinnen – trotz gesegnetem Kessel!

Religiöser Fanatismus hatte am Anfang der Verfolgungen gestanden, später machten vor allem staatliche Behörden Hexen den Prozess. Rund 60 000 Personen dürften dabei europaweit den Tod gefunden haben. Einige im «finsteren Mittelalter», weitaus mehr aber in der «aufgeklärten Neuzeit». Die Schweiz lag im Zentrum jenes Gebiets, in dem besonders viele Hexen ermordet wurden, und in der Westschweiz wütete die Verfolgung am heftigsten.

Vorbereitung für eine Hexenverbrennung. Holzschnitt eines unbekannten Künstlers. Wikimedia

Vorbereitung für eine Hexenverbrennung. Holzschnitt eines unbekannten Künstlers.

So ist es auch nicht weiter überraschend, dass hier erst 1731 letztmals Anklage wegen Hexerei erhoben wurde. Drei Befragungen lang hielt Catillon stand. Dann wurde die 68-Jährige mit 25 Kilo Gewicht an den Füssen an ein Seil gehängt und gestand: 50 Mal habe sie sich mit dem Teufel eingelassen. Dass sie bei der Folter beinahe starb, war für die Richter ein Beleg, dass der Teufel sie zu ersticken suchte, damit sie keine Komplizen verriet. Erstickt wurde Catillon mehrere Foltern und Geständnisse später nicht vom Teufel, aber vom Henker. Ein Gnadenakt des Freiburger Grossen Rates. So war Catherine Repond, wie sie eigentlich hiess, bereits tot, als man ihren Körper auf dem Scheiterhaufen verbrannte.

In Glarus ging man mit der Dienstmagd Anna Göldi ein halbes Jahrhundert später schon aufgeklärter um. Sie wurde nicht wegen Hexerei angeklagt, sondern wegen Vergiftens. Gebracht hat es ihr wenig. Zwar wurde sie nicht als Hexe verbrannt, dafür aber als Mörderin geköpft.

Digital in die Vergangenheit


Dieser Beitrag erschien erstmals auf dem Blog des Schweizerischen Nationalsmuseums.

Der Blog des Schweizerischen Nationalmuseums publiziert regelmässig Artikel über historische Themen. Diese reichen von den Habsburgern über Auslandschweizer bis hin zu heimischer Popmusik, die es zu Weltruhm gebracht hat. Der Blog beleuchtet viele Facetten der Landesgeschichte in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Mehr dazu gibt es unter: blog.nationalmuseum.ch

Zeitreise

In der «Zeitreise» erzählt der Historiker und Autor Benedikt Meyer Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catillons tragischem Ende und von Henri Dunant bis Iris von Roten. Die Serie erschien erstmals bei Transhelvetica und auf dem Blog des Schweizerischen Nationalmuseums.
Alle Beiträge anzeigen
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende