Das musst du wissen
- Forschende haben eine Umfrage mit knapp 10 000 Personen in Deutschland und den USA durchgeführt.
- Die Mehrheit der Befragten glaubte, dass der Klimawandel heute und in Zukunft ein ernstes Problem ist.
- Dennoch unterstützten sie aber nur solche Massnahmen, bei denen sie ihre Gewohnheiten nicht ändern müssten.
Warum es interessant ist. Immer mehr wissenschaftliche Daten zeigen das Ausmass der Klimaveränderungen, die durch menschliche Aktivitäten verursacht sind. Aber wir tun uns immer noch schwer, angemessene Massnahmen zur Eindämmung des Problems zu ergreifen. Tatsächlich beeinflussen auch Emotionen unser Verhältnis zum Klima. Deshalb ist es entscheidend, die richtigen Hebel zu betätigen, damit das Klima zu einem Anliegen in der ganzen Gesellschaft wird.
Die Studie. Die psychologische Distanz erfasst wie sehr sich eine Person von einem Ereignis betroffen fühlt. Sie kann in mehreren Dimensionen erfasst werden: zeitlich, räumlich, sozial, aber auch nach dem Grad der Unsicherheit, ob das Ereignis eintrifft. Lukas Paul Fesenfeld und Adrian Rinscheid von der ETH Zürich haben in der Zeitschrift One Earth eine Studie veröffentlicht, in der sie versuchten, die zeitliche Dimension bei der Dringlichkeit der Klimafrage zu bewerten.
Science-Check ✓
Studie: Emphasizing urgency of climate change is insufficient to increase policy supportKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsFür die Studie stellte die Kantar TNS Gruppe, ein Unternehmen, das in der Marktforschung tätig ist, Paneldaten zur Verfügung. Daraus wählten die Forschenden mithilfe eines Algorithmus eine demografisch repräsentative Stichprobe aus. Damit lassen sich die Ergebnisse aber nicht direkt auf andere Personen beispielsweise aus bereits vom Klimawandel betroffenen Regionen übertragen. Insgesamt könnten unterschiedliche Risikorahmen die individuelle Wahrnehmung von Erfahrungen und Dringlichkeit des Klimawandels verändern.Mehr Infos zu dieser Studie...Sie analysierten Daten von 9911 Personen in Deutschland und den USA, die zu ihrer Wahrnehmung des Klimanotstands befragt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass dieser Gedanke in den Mentalitäten bereits gut verankert ist:
- Achtzig Prozent der Deutschen und 64 Prozent der befragten Amerikaner glaubten, dass der Klimawandel bereits ein ernstes Problem ist und es auch für zukünftige Generationen sein wird.
- Fünf Prozent der Deutschen und sieben Prozent der Amerikaner glaubten, dass er nicht unbedingt schon ein Problem ist, es aber in Zukunft sein wird.
Die unterschiedliche Wahrnehmung der Dringlichkeit. Die Mehrheit der befragten Deutschen und Amerikaner sahen also eine hohe Dringlichkeit zu handeln. Lediglich zwölf Prozent der Deutschen und 26 Prozent der Amerikaner sah überhaupt kein Problem mit dem Klimawandel, weder heute noch in Zukunft. Rund drei Prozent jeder Gruppe hatten eine zweideutige Position: Sie anerkannten das Problem zum jetzigen Zeitpunkt, aber nicht für zukünftige Generationen.
Die beiden Spezialisten für politische Psychologie konzentrierten sich anschliessend auf die ersten beiden Gruppen, die das Klimaproblem anerkannten, sich aber über den Grad der Dringlichkeit uneinig waren. Sie gingen der Frage nach: Korreliert die wahrgenommene Dringlichkeit mit der Unterstützung für ehrgeizige Massnahmen?
Für Massnahmen, die auf individueller Ebene nicht sehr aufwändig sind, war der statistische Zusammenhang eindeutig: Je mehr Menschen sich der Dringlichkeit des Klimaproblems bewusst waren, desto mehr unterstützten sie die Massnahmen zur Milderung des Klimawandels, die keine grossen Änderungen ihrer Gewohnheiten erfordern. Doch wenn sie weniger Fleisch essen oder ihr Auto in der Garage lassen sollten, sah es anders aus. Lukas Fesenfeld erklärt:
«Die meisten Menschen sehen die Dringlichkeit beim Klimawandel, aber das führt nicht unbedingt zu politischer Unterstützung oder aufwändigen Massnahmen.»
Die Bedeutung des Kontexts. Die beiden Forscher führten schliesslich ein Experiment durch, bei dem sie die Zustimmung der Teilnehmer nach dem Lesen von Artikeln massen. In diesen Texten variierte das Gefühl der Dringlichkeit, aber die präsentierten Informationen blieben gleich. Und auch hier: Die Erhöhung der Dringlichkeit reichte nicht aus, um die Unterstützung der Bürger zu erhöhen. Dennoch schien der Kontext der Informationen ein interessanter Ansatzpunkt zu sein, sagt Lukas Fesenfeld.
«Unser zweites wichtiges Ergebnis ist, dass die Unterstützung wächst, wenn man das Kostenargument in der Klimapolitik erklärt. Das ist der Schlüssel. Die Politik muss den Menschen erklären, warum ambitionierte Politik auf individueller Ebene so aufwändig ist.»
Die Expertenmeinung. Für Linda Steg, Professorin für Umweltpsychologie an der Universität von Groningen, wirft diese Arbeit Fragen auf. Zunächst einmal auf der methodischen Ebene: «Diese Daten sind interessant», erklärt die Forscherin, «aber ich wäre neugierig, die Korrelation zwischen dem Bewusstsein für den Klimanotstand und der Unterstützung zu sehen, ohne bestimmte Variablen zu kontrollieren. Es ist ein technischer Punkt, aber in dieser Studie kontrollieren sie die Korrelation für andere Variablen, wie Ernährungs- oder Mobilitätsverhalten, die sehr eng mit dem Gefühl der Klimadringlichkeit zusammenhängen. Es ist wahrscheinlich, dass bei statistischer Kontrolle für diese Variablen der Parameter ‚Wahrnehmung der Klimadringlichkeit‘ die Unterstützung nicht mehr korrekt vorhersagt.»
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Die Fachfrau spricht auch einen weiteren Punkt an:
«Wenn die Wahrnehmung der Dringlichkeit bereits hoch ist, bleibt wenig Raum, sie zu verbessern. Dennoch identifizieren sie ein wichtiges Problem: Viele Menschen fühlen sich durch den Klimanotstand betroffen, handeln aber nicht entsprechend.»
Probleme. Um dieses Problem zu lösen, schlägt Linda Steg vor, nicht nur beim Individuum anzusetzen.
«Es ist nicht allein die Verantwortung des Einzelnen. Wenn die Massnahmen so aufwändig sind, muss das geändert werden, und das liegt in der Verantwortung der politischen Entscheidungsträger und der Industrie. Sie können Massnahmen umsetzen, die das Handeln machbarer oder attraktiver machen.
Die Industrie kann nachhaltigere Produkte entwickeln und produzieren, damit die Menschen mehr Auswahl haben. Menschen handeln nicht nur nach der Entwicklung der Welt oder der Umwelt, sondern auch aus Eigeninteresse. Wenn Umweltschutz bedeutet, dass wir nicht mehr zur Arbeit gehen, nicht mehr reisen oder nicht mehr richtig essen können, ist das nicht nur demotivierend, sondern auch unrealistisch.
Um zum Beispiel den Gebrauch von Benzinautos zu reduzieren, müssen wir dafür sorgen, dass sich mehr Menschen nachhaltigere Autos leisten können, zum Beispiel Elektroautos. Oder wir müssen die Notwendigkeit des Reisens reduzieren, zum Beispiel die Menschen ermutigen, von zu Hause aus zu arbeiten. Diese Veränderungen sind nicht von individuellen Entscheidungen abhängig.»
Auch sollten mehr positive Emotionen gefördert werden, wie eine andere aktuelle Studie nahelegt. Lukas Fesenfeld stimmt zu:
«Angstgefühle oder generell negative Emotionen schüren nicht unbedingt den Antrieb. Sie können sogar die Unterstützung schwächen und die Handlungsfähigkeit lähmen. Positive Emotionen scheinen stärker zu sein. Ich denke auch, dass wir die persönlichen Erfahrungen der Menschen mit dem Klimawandel in Verbindung bringen müssen. Zum Beispiel gab es in der Schweiz letzten Februar eine rekordhohe Temperatur.»