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Lange bestritten Corona-Skeptiker, dass die Pandemie einen Einfluss auf die Sterblichkeit habe. Einige tun dies immer noch. Gestern hat das Bundesamt für Statistik die ausgewerteten Zahlen publiziert: Die Pandemie hat die Sterblichkeit erhöht und die Lebenserwartung verkürzt.

Gesamtschweizerisch sank die Lebenserwartung bei Geburt bei den Männern fast um ein Jahr auf 81 Jahre, bei den Frauen um ein halbes auf 85,1 Jahre. Wobei der Rückgang je nach Kanton sehr unterschiedlich ausfällt.

Am deutlichsten war er bei den Männern in den Kantonen Obwalden (–2,5 Jahre), Tessin (–2,3 Jahre) und Genf (–2,3 Jahre). Also in jenen Kantonen, wo auch Covid-19 stark gewütet hat. Bei den Frauen waren es die Kantonen Jura (–1,8 Jahre), Genf (–1,5 Jahre) und Schwyz (–1,4 Jahre).

Aussergewöhnlich stark ist die Lebenserwartung aufgrund der pandemiebedingten Todesfälle im Alter von 65 Jahren gesunken.

Für die Männer ist der Rückgang von 2020 gegenüber 2019 gemäss Bundesamt für Statistik so stark wie nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Frauen haben im Jahr 1944 infolge eines besonders harten Winters noch mehr gelitten.

Zahl der Todesfälle noch nie so hoch

Deutlich angestiegen ist auch die absolute Zahl der Todesfälle. Da höre ich bereits wieder den Einwand der Skeptiker. Es sei ja logisch, dass mehr Leute sterben, weil ja die Bevölkerung auch wachse.

Das stimmt in einem Detail: Die Zahl der Todesfälle steigt in den letzten Jahren völlig unabhängig von der Pandemie kontinuierlich an. Dies, weil die Bevölkerung wächst und weil jetzt die Babyboomer – also die Jahrgänge von 1940 bis 1970 – allmählich ins Sterbealter kommen.

Aber den Anstieg der Todesfälle schönreden zu wollen, ist gleich doppelt falsch. Erstens hat die Zahl von 2019 auf 2020 einen riesigen Sprung gemacht: von 67 780 auf 76 195.

Ein so hoher Wert wurde seit Beginn der systematischen Erfassung der Todesfälle durch die Zivilstandsämter ab 1876 noch nie registriert.

Und zweitens ist auch die Zahl der Todesfälle in Bezug zur Gesamtbevölkerung 2020 aussergewöhnlich stark gestiegen. Meistens wird dieses Verhältnis in Todesfälle pro 1000 Personen angegeben – im Fachjargon redet man von der «rohen Sterbeziffer». Im Jahr 2020 waren dies 8,8 pro 1000 Personen. 2019: 7,9. Das klingt nicht nach einem grossen Unterschied. Aber die Zunahme dieser Ziffer ist gewaltig: +11,3 Prozent. Zwischen 2018 und 2019 waren es +0,3 Prozent.

2020 war also bezüglich der Todesfälle in jeder Hinsicht aussergewöhnlich. Und wenn man bedenkt, dass infolge des Lockdowns weniger Menschen in Verkehrsunfällen oder bei Freizeitaktivitäten gestorben sind, wird es noch aussergewöhnlicher.

Hohe Sterblichkeit im Westen und Süden der Schweiz

Wären für diese erhöhte Sterblichkeit andere Faktoren als die Pandemie verantwortlich – wie es Skeptiker manchmal behaupten – also zum Beispiel Suizide oder unbehandelte Herzinfarkte, müsste der Effekt überall gleich sein, denn Lockdown und andere Massnahmen gelten in der ganzen Schweiz. Dem ist aber nicht so.

Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind enorm. Am stärksten gestiegen ist sie im Westen und Süden der Schweiz.

Karte der Schweiz mit Kantonen._

Veränderung der Todesfälle 2019–2020 nach Kantonen.

In den Kantonen Genf, Jura und Tessin stieg die Sterblichkeit um 25 bis 27 Prozent. Das sind die von der Pandemie am stärksten betroffenen Gebiete.
Hingegen stieg sie in den Kantonen Graubünden, Glarus, Basel-Stadt und Schaffhausen um weniger als fünf Prozent. Diese Kantone liegen entweder weit weg vom Ausbruch im Tessin, oder sie haben breitflächig getestet.

Für den Anstieg der Todesfälle kommt also nur die Pandemie in Frage.

Spanische Grippe vs. Covid-19

Wie steht Covid-19 nun im Vergleich zu der Spanischen Grippe von 1918 da? Die Spanische Grippe im Jahr 1918 hat deutlich mehr Todesfälle gefordert als die Covid-19-Pandemie. Die Spanische Grippe hat 1918 fast 22 000 Menschenleben gefordert – was 5,6 Todesfällen pro 1000 Personen entspricht. An Covid-19 starben im Jahr 2020 gemäss BAG 7600 Personen – 0,9 pro 1000 Personen. Bezogen auf die Bevölkerungszahl sechsmal mehr. Die Spanische Grippe traf hauptsächlich Menschen zwischen zwanzig und vierzig Jahren, während an Covid-19 vor allem Personen über achtzig Jahren starben. Trotzdem gibt es Parallelen: Beiden Pandemien sind mehr Männer als Frauen zum Opfer gefallen. Die zweite Ansteckungswelle kam in den gleichen Monaten, und die Spitze der Todesfälle lag beide Male im November. In beiden Fällen wiesen die Kantone im Westen insgesamt höhere Sterberaten auf als jene im Osten. Und schliesslich erreichte die Zahl der jährlichen Todesfälle für alle Todesursachen zusammengenommen sowohl 1918 als auch 2020 einen Höchstwert.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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