Benedikt Meyer


Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Mit «Im Flug» hat er die erste wissenschaftliche Geschichte der Schweizer Luftfahrt geschrieben, mit «Nach Ohio» seinen ersten Roman veröffentlicht. Bei higgs erzählt er in der «Zeitreise» jeden Sonntag Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catherine Reponds tragischem Ende und von Henri Dunant bis zu Iris von Roten.

Rudolf Lindt war in Eile: Er hatte ein Rendezvous. Hastig verliess er seine Schokoladefabrik im Berner Matte-Quartier. Draussen quietschte das Wasserrad, drinnen rührte die Maschine die braune Masse. Das ganze Wochenende lang. Lindt hatte vergessen, sie abzuschalten.

Die erste Schweizer Schokolade war vermutlich 1806 in Vevey entstanden. Was dort produziert wurde, war allerdings bitter und von eher sandiger Konsistenz. Und es wurde eher getrunken, als gegessen. Mit der Erfindung der Milchschokolade 1875 wurde die Sache schon geniessbarer. Dann kam Lindt. Rodolphe war ein Bonvivant, ein hübscher Spross aus gutem Haus, der sein Handwerk bei Verwandten in Lausanne gelernt hatte. In der Matte kaufte er dann zwei brandgeschädigte Mühlen und bestückte sie mit alten Maschinen.

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Ob Lindt tatsächlich ein Rendezvous hatte, ist nicht ganz sicher. Die Geschichte klingt so ausgedacht, dass sie wahr sein könnte. Sicher ist: Als Lindt am Montag seine Fabrik betrat, entdeckte er eine dickflüssige Masse, die angenehm süsslich duftete und im Mund dahinschmolz. Lindts Erfindung war ein Meilenstein in der Schokoladengeschichte. Und eine Lizenz zum Geld drucken. Lindt hängte die Konkurrenz ab.

Nur: Für Lindt war die Schokolade eher ein Hobby als ein Beruf. Statt die Produktion auszuweiten, erhöhte er die Preise, wenn die Kundschaft unübersichtlich wurde. Immerhin schickte er den Confiseur Tobler mit seiner Ware auf Tour. Der merkte bald, dass Lindt das Potential nicht ausschöpfte, zog in die Länggasse und fabrizierte dort – ohne Originalrezept, dafür mit Honig und Mandeln – Toblerone.

Lindt brauchte also einen neuen Partner. 1899 verkaufte er das Rezept und den Namen dem Industriellen Sprüngli, der in Zürich nun dieselbe Schokolade herstellte. Lindt war für die Berner Filiale zuständig, zerstritt sich aber mit den Sprünglis mehr und mehr. Und 1905 eröffneten ein Bruder und ein Cousin Rudolf Lindts keine hunderte Meter von der ersten eine zweite Lindt-Schokoladenfabrik. Mit der dort produzierten Lindt-Schokolade konkurrenzierten die Lindts die Zürcher Lindt-und-Sprüngli-Schokolade. Das war nicht nur dreist, sondern auch juristisch ein Problem. Der Prozess dauerte mehr als zwei Jahrzehnte. Erst 1927 verloren die Berner vor dem Bundesgericht.

Rudolf Lindt erlebte die Niederlage allerdings nicht mehr, er starb schon einige Jahre zuvor. Bleibt zu hoffen, dass er im Himmel Schokolade bekam. Wenn nicht von Sprüngli, dann sicher von Camille Bloch.

Digital in die Vergangenheit


Dieser Beitrag erschien erstmals auf dem Blog des Schweizerischen Nationalsmuseums.

Der Blog des Schweizerischen Nationalmuseums publiziert regelmässig Artikel über historische Themen. Diese reichen von den Habsburgern über Auslandschweizer bis hin zu heimischer Popmusik, die es zu Weltruhm gebracht hat. Der Blog beleuchtet viele Facetten der Landesgeschichte in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Mehr dazu gibt es unter: blog.nationalmuseum.ch

Zeitreise

In der «Zeitreise» erzählt der Historiker und Autor Benedikt Meyer Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catillons tragischem Ende und von Henri Dunant bis Iris von Roten. Die Serie erschien erstmals bei Transhelvetica und auf dem Blog des Schweizerischen Nationalmuseums.
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