Benedikt Meyer


Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Mit «Im Flug» hat er die erste wissenschaftliche Geschichte der Schweizer Luftfahrt geschrieben, mit «Nach Ohio» seinen ersten Roman veröffentlicht. Bei higgs erzählt er in der «Zeitreise» jeden Sonntag Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catherine Reponds tragischem Ende und von Henri Dunant bis zu Iris von Roten.

Nennen wir ihn Graf Werner. Im Winter des Jahres 1319 stand ein Adeliger in Stansstad am Ufer des Vierwaldstättersees. Im Hintergrund waren Mauern und Türme der Stadt Luzern zu erkennen, im Vordergrund waren Werners Untertanen dabei, Pfähle in den Seegrund zu treiben. Der Wasserspiegel war gerade ungewöhnlich tief und so wurden die Pfähle in drei Reihen rund um den Stansstader Schnitzturm angelegt. Der Schnitzturm war Werners Wohnturm, Teil einer kleinen Burganlage und auf drei Seiten von Wasser umgeben. Auf dem Landweg war die Festung fast uneinnehmbar und im Frühling, wenn sich der Seespiegel normalisierte, mussten Angreifer an einer Palisade aus etwa zwei Meter aus dem Wasser herausragenden Pfählen vorbeikommen. Werner war Reichsvogt der Vogtei Waldstätte, und dass er seine Burg und den kleinen Handelshafen so schützen liess, lag an den unsicheren Zeiten: Angriffe drohten vonseiten der Habsburger, aber auch von Luzern.

Ob Werner wirklich Werner hiess und ob er tatsächlich im Schnitzturm direkt am See lebte, sogar ob er Graf und Reichsvogt war: wir wissen es nicht. Es ist noch nicht einmal geklärt, wie der Schnitzturm zu seinem speziellen Namen kam. Sicher ist, dass das Gebäude und einige nicht mehr erhaltene Anlagen Anfang des 14. Jahrhunderts gebaut wurden. Und dass es gegen den See hin durch eine dreifache Reihe von Pfählen geschützt war, von denen heute noch etwa 4500 Stümpfe im Seegrund stecken. Die Anlage verlor indes schon bald an Bedeutung: Mit den Siegen gegen die Habsburger und dem Beitritt Luzerns zur Eidgenossenschaft wurde ein Angriff unwahrscheinlich.

Das änderte sich mehrere Jahrhunderte später: Als die Truppen Napoleons 1798 die Schweiz besetzten, leisteten die Nidwaldner erbitterten Widerstand. Sie richteten die Palisaden wieder her und die Festung am Ufer hielt einem ersten französischen Angriff auch tatsächlich stand. Schliesslich zog die Revolutionsarmee aber doch in Stansstad ein, plünderte das Dorf und setzte die Häuser in Brand. Auch der Schnitzturm ging dabei in Flammen auf.

Digital in die Vergangenheit


Dieser Beitrag erschien erstmals auf dem Blog des Schweizerischen Nationalsmuseums.

Der Blog des Schweizerischen Nationalmuseums publiziert regelmässig Artikel über historische Themen. Diese reichen von den Habsburgern über Auslandschweizer bis hin zu heimischer Popmusik, die es zu Weltruhm gebracht hat. Der Blog beleuchtet viele Facetten der Landesgeschichte in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Mehr dazu gibt es unter: blog.nationalmuseum.ch

Zeitreise

In der «Zeitreise» erzählt der Historiker und Autor Benedikt Meyer Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catillons tragischem Ende und von Henri Dunant bis Iris von Roten. Die Serie erschien erstmals bei Transhelvetica und auf dem Blog des Schweizerischen Nationalmuseums.
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