Das musst du wissen

  • Zu Beginn der Krise erreichte das Vertrauen in die Regierung Höchstwerte – mittlerweile passiert das Gegenteil.
  • Krisen sind voller Emotionen: Wut und Angst polarisieren die Gesellschaft.
  • Beim Trade-Off zwischen Sicherheit und Freiheit kann es die Regierung nicht allen recht machen.
Den Text vorlesen lassen:

Herr Freitag, die politische Debatte hat sich in zwanzig Monaten Pandemie gewandelt: Am Anfang waren es die epidemiologischen Themen, dann gewann die wirtschaftliche Dimension an Bedeutung. Mittlerweile dominiert die Diskussion um die Rechtmässigkeit und Tiefe des politischen Eingriffs. Können Sie diesen Wandel erklären?
Der Wandel der Diskussion reflektiert den Ablauf der im Mittelpunkt stehenden Gefahren: Erst gab es einen Angriff auf unsere Gesundheit, mit dem Lockdown wurde daraus ein Angriff auf die Wirtschaft. Damit wurde die epidemiologische Krise schnell zu einer wirtschaftlichen Krise. Als sich der Lockdown zum Ende neigte, ging damit eine Debatte um die Ungleichheit einher. Wer wird wie getroffen, wer kommt wie davon? Die Ungleichheiten polarisierten die politische Debatte. Das ist für mich ein schlüssiger Ablauf.

Markus Freitag

Markus Freitag ist Professor für politische Soziologie an der Universität Bern. Er beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit der Frage, welche Folgen die Pandemie auf die Wahrnehmung der Politik in der Gesellschaft hat.

Sie sprechen die Polarisierung an. Das mediale Schlagwort hierfür ist die «Spaltung der Gesellschaft». Lässt sich diese Spaltung politikwissenschaftlich belegen?
Polarisierung hat aus der politikwissenschaftlichen Perspektive zwei Gesichter: Das eine nennt sich themenbezogene Polarisierung: Dabei driften verschiedene Einstellungen zu politischen Themen auseinander, wie beispielsweise bei der Zuwanderung oder dem Beitritt zur EU. Hier ist die Gesellschaft über eine politische Frage gespalten. Daneben gibt es die gruppenbezogene Polarisierung. Das heisst, dass verschiedene Gruppen in ihren Haltungen gegenüber anderen sozialen Gruppierungen auseinandergehen: Das bedeutet, dass ich mich sehr stark an der Eigengruppe orientiere. Im Gegenzug lehne ich alles ab, was von der Aussengruppe kommt. Wer beispielsweise geimpft ist, vertraut sehr stark denjenigen, die auch geimpft sind, und lehnt alles ab, was von denen kommt, die nicht geimpft sind. Eine solche affektive Polarisierung ist als ein Indiz einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Spaltung zu werten. Diese gibt es sicher – wie gross sie bereits ist, kann ich aber nicht sagen. Dazu fehlen noch die Daten.

Die Polarisierung führt zu einer aggressiveren Rhetorik – Medien greifen Begriffe wie «Diktatur» auf. Wie ist es dazu gekommen?
Generell gibt es in jeder Demokratie immer wieder regierungskritische Kreise. Es gibt auch Gruppierungen, die der Demokratie gegenüber ablehnend eingestellt sind. Was sich geändert hat, ist das spezielle Momentum der Regimegegner – und auch die Medialisierung deren Radikalisierung. Dass die Radikalisierung für alle jederzeit medial sichtbar und immerwährend zugänglich ist, ist ein neues Phänomen und trägt zur aufgeladenen Stimmung bei. Beim Kampf um die mediale Aufmerksamt helfen auch unreflektierte Kraftausdrücke. Die vielfach unkontrollierten sozialen Medien fördern zudem die Radikalisierung.

«Krisenzeiten sind Zeiten voller Emotionen, vorherrschend Wut und Angst. Rationalität wird mitunter ausgeblendet.»

Viele Menschen sehen sich in Ihrer Freiheit eingeschränkt und machen ihrer Wut auf der Strasse Luft. Können Sie das nachvollziehen?
In der Pandemie haben wir einen andauernden Trade-Off zwischen Sicherheit und Freiheit, also zwischen der Reduzierung des gesundheitlichen Risikos und Einschränkungen von Freiheitsrechten. Es gab zwar immer wieder Einschränkungen der politischen Beteiligungsrechte, beispielsweise von Demonstrationen oder Gemeindeversammlungen. Die politische Freiheitsbeschränkung hat sich dabei aber in Grenzen gehalten.

Für viele geht es aber mehr um die Freiheit in der persönlichen Lebensführung, die sie als eingeschränkt sehen. Wenn man also nicht mehr in eine Gaststätte gehen kann, sich nur mit einer gewissen Anzahl Menschen treffen kann. Die staatliche Einmischung in das, was bis anhin als privat galt, macht die wütend, die jetzt demonstrieren.

Das hat das Vertrauen in die Politik beschädigt, wie Sie in einer Studie zeigen konnten. Wieso?
Zu Beginn der Pandemie konnten wir in nahezu jeder Demokratie einen Aufwärtstrend des Vertrauens in die Regierung feststellen, so auch in der Schweiz: Im Frühjahr 2020 stieg das Vertrauen in den Bundesrat, das seit jeher gross war, über das vorpandemische Niveau. Das hängt damit zusammen, dass wir in Krisen nach einer kollektiven Sicherheit streben. In der Abwehr einer externen Bedrohung schliessen sich die Reihen, auch oppositionelle Kräfte reihen sich ein. Man vertraut denen, die durch die Krise führen sollen.

Eine Studie aus unseren Reihen zeigt zudem, dass Krisenzeiten Zeiten voller Emotionen sind, vorherrschend Wut und Angst, die das Vertrauen in die politischen Institutionen steuern. In der Schweiz haben wir diesbezüglich herausgefunden: Diejenigen, die ängstlich sind, haben weiterhin eher ein erhöhtes Vertrauen, diejenigen, die Wut empfinden, haben sich inzwischen eher von der Regierung abgewandt. Zudem haben wir Hinweise aus einer anderen Untersuchung, dass die Wütenden in Zeiten der Krise ein autoritäres Regime einer Demokratie vorziehen würden.

Die Krise ist mittlerweile nicht mehr so akut, die anfänglichen vertrauenssteigernden Effekte haben sich gelegt. Den Wütenden gehen die Massnahmen zu weit, den Ängstlichen nicht weit genug. Hätte es die Politik da überhaupt richtig machen können?
Für die Regierung ist es natürlich schwierig, Entscheidungen zu treffen, die für alle stimmen. Für eine kurze Zeit war das möglich, als die Nation als Schicksalsgemeinschaft zusammenstand. Da konnte die Regierung gar nicht viel falsch machen. Danach wurde es aufgrund des gelebten Pluralismus unserer Demokratie schwierig. Jedes Lager hat beim Trade-Off zwischen Freiheit und Sicherheit andere Präferenzen und Vorstellungen. Das ist für eine Regierung kein leichtes Unterfangen.

Hat die Regierung aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive Fehler gemacht?
Insgesamt ist die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern gut durch die Krise gekommen, das alles geschah bislang unter relativ wenigen Beschränkungen. Aber es gibt immer Dinge, die man vor allem in der Kommunikation besser machen kann – beispielsweise die Diskussion zu Beginn der Pandemie, ob Masken schützen oder nicht. Das hat sicher nicht geholfen. Die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Task Force hätte sicher reibungsloser und gewinnbringender funktionieren können. Zu diskutieren wäre auch das oftmals langatmige und holprige föderale Entscheidungsverfahren. Frühzeitige Studien zur Impfbereitschaft und zu den Motiven einer Zurückhaltung hätten sicher geholfen, den Hebel richtig anzusetzen, um das Impfziel zu erreichen. Vielleicht läuft auch der Hinweis an die Solidarität in Zeiten einer fortschreitenden Individualisierung für viele leider ins Leere.

Werden wir wieder näher zusammenrücken, wenn wir die Pandemie überwunden haben?
Nein, ich denke nicht. Die besprochene gruppenbezogene Polarisierung wird sich in Zukunft eher verstärken. Insbesondere in Zeiten der postpandemischen Aufräumarbeiten und vor dem Hintergrund der Singularisierung der Lebenswelten. Denken Sie beispielsweise an die USA – Demokraten und Republikaner sind ein klassischer Fall der affektiven Polarisierung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese beiden Lager am Ende der Pandemie wieder stärker aufeinander zugehen. Diese Art der gesellschaftlichen Spaltung wird wahrscheinlich auch die Schweiz auf Trab halten – die politischen Lager werden in Zukunft eher auseinanderdriften als zusammenkommen.

Alle Folgen dieser Serie:




Icons made by Bqlqn Fill, Basic Miscellany Flat, Basic Miscellany Fill, Itim2101 Fill from www.flaticon.com
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende