Das musst du wissen
- Sucht ist teuer: Ärztliche Behandlungen und Kriminalität kosten die Schweiz jährlich rund acht Milliarden Franken.
- Ob soziale Medien süchtig machen, ist unklar – zweifellos aber sind sie Werbeplattform und Markthalle für Drogen.
- Einige Arten von Gaming lassen sich kaum von Glücksspiel unterscheiden und sollten laut Fachleuten reguliert werden.
«Das Internet ist für uns alle Neuland», sagte die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor fast zehn Jahren. Mittlerweile ist die Zeitrechnung im Netz vorangeschritten, das Internet ist nun nicht mehr Terra incognita, sondern im «Wild-West-Zeitalter» angekommen. Das zumindest legt der neue Bericht von Sucht Schweiz nahe, dem nationalen Kompetenzzentrum für Forschung, Prävention und Wissenskommunikation rund um Sucht. Denn wie in einem Wild-West-Saloon wird der Jugendschutz online noch stiefmütterlich behandelt – und auch der Handel mit illegalen Drogen floriert im Netz. Zwar sei das Internet kein komplett rechtsfreier Raum, heisst es im Bericht, aber «der Vollzug des in der Schweiz geltenden Rechts harzt». Deshalb legt Sucht Schweiz erstmals einen ausgeprägten Fokus auf die Online-Welt und beschreibt, wie in dieser neues Suchtpotenzial entsteht. Der Report ist umfassend, er beleuchtet Trends in der Drogenszene bis hin zum derzeitigen Reinheitsgrad des Koks in Zürich. So wird beispielsweise auch veranschaulicht, dass Alkohol noch immer mit Abstand das Hauptproblem der Menschen ist, die in der Schweiz eine Suchtberatung beginnen.
Befördert wird der Alkoholkonsum auch dadurch, dass das Internet zu einer grossen, teilweise unregulierten Werbeplattform für Alkohol aber auch andere süchtig machenden Substanzen geworden ist. Einerseits platzieren Produzenten von Alkohol und Tabak in den sozialen Medien Anzeigen. Andererseits tragen auch Party-Fotos, Influencer und Musikvideos zu einer Inszenierung des «Lifestyles» dieser Substanzen bei. Für Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren sind soziale Medien die relevanteste Plattform im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol, Zigaretten und anderen Drogen. Die Minderjährigen kommen online auch einfacher an Alkohol als an der Supermarktkasse: Nur jeder zwanzigste Online-Verkauf von Alkohol an Minderjährige in der Schweiz – zum Beispiel bei Lieferdiensten – wird verhindert, wie Testkäufe der Sucht-Fachorganisation Blaues Kreuz zeigen. Auch beim Verkauf von E-Zigaretten und E-Shishas schätzt Sucht Schweiz den Online-Jugendschutz als «quasi inexistent» ein. Umso wichtiger sei daher, das jüngst beschlossene Tabakwerbeverbot, das auch auf das Internet abzielt, konsequent umzusetzen. Schliesslich kosten Zigaretten auch die Volkswirtschaft viel:
Untermauert wird diese rechtliche Grauzone im Internet nicht nur durch Schwierigkeiten beim Jugendschutz, der den Verkauf legaler Drogen verhindern soll. Auch der online florierende Schwarzmarkt, auf dem illegale Drogen verkauft werden, spielt eine Rolle. Das Wort «Schwarzmarkt» lässt an dunkle Gassen denken. Wer den Schwarzmarkt deshalb ausschliesslich im sogenannten «Darknet» vermutet, liegt allerdings falsch: Der Verkauf vieler illegaler Substanzen läuft über soziale Medien ab – schliesslich werden diese auch von Dealern genutzt. In einer amerikanisch-spanischen Studie gaben zehn Prozent der befragten Jugendlichen zwischen 15 und 25 an, sich online Drogen zu beschaffen. Mehr als drei Viertel dieser Drogenkäufe wurde demnach in den sozialen Medien abgewickelt – hauptsächlich via Instagram und Facebook.
Science-Check ✓
Studie: Social Media and Access to Drugs Online: A Nationwide Study in the United States and Spain among Adolescents and Young AdultsKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie kam in den USA und Spanien zu recht ähnlichen Ergebnissen – aber trotzdem könnte die Situation in der Schweiz anders aussehen. Die Befragung wurde lediglich online durchgeführt – entsprechend könnten die Zahlen sich ändern, wenn auch Jugendliche mit der Studie erreicht werden, die keinen Internetzugang haben oder Online-Medien wenig nutzen. Zudem beruht die Befragung auf anonymisierten Selbstauskünften, die Verlässlichkeit der Aussagen ist also nur bedingt gewährleistet.Mehr Infos zu dieser Studie...Neben dem digitalen Raum als Werbeplattform und Markthalle für süchtig machende Substanzen sehen die Fachleute von Sucht Schweiz aber auch Suchtpotenzial bei gewissen Online-Aktivitäten. Videospielsucht beispielsweise ist seit neustem eine anerkannte Diagnose – wenn auch die Aufnahme in den Diagnosekatalog der Weltgesundheitsorganisation kritisiert wurde. Im Suchtpanorama werden derweil vor allem einige spezifische, suchtfördernde Spiel-Mechanismen kritisiert: Viele Videospiele animieren beispielsweise dazu, für bessere Gewinnchancen Geld auszuggeben. Diese sogenannten «Lootboxen» sind etwa in Belgien und den Niederlanden bereits verboten worden. Auch hierzulande wünscht sich Sucht Schweiz eine Debatte über die Zukunft der Lootboxen – schliesslich verschwimmen durch diese die Grenzen von Video- und Glücksspiel immer mehr.
Im Gegensatz zur Computerspiel-Sucht gibt es noch keine Diagnose zu einer Social-Media-Sucht. Dennoch wird im Suchtpanorama auch auf die Gefahren der sozialen Medien hingewiesen. Eine Schweizer Studie mit rund 11000 Teilnehmenden stellte bei etwa vier Prozent der Elf- bis 15-Jährigen eine «problematische Nutzung sozialer Netzwerke» fest. Damit gemeint sind unter anderem der vergebliche Versuch, weniger Zeit auf den Social-Media-Plattformen zu verbringen, oder die häufige Nutzung, um vor negativen Gefühlen zu flüchten. Letzteres ist auch die Begründung, weshalb einige Fachleute noch zögern, von einer Social-Media-Sucht zu sprechen: Die problematische Nutzung sozialer Medien sei vielmehr Ausdruck eines anderen Problems. Inwiefern die Social-Media-Nutzung also süchtig machen kann, wird noch diskutiert – welche Gefahren für andere Süchte auf Instagram, Facebook und Co. lauern, kann hingegen nicht von der Hand gewiesen werden.