Das musst du wissen
- Die grosse Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer befürwortet die Organspende. Dennoch fehlen Spenderorgane.
- Die Widerspruchslösung, bei der von der Zustimmung des Patienten ausgegangen wird, soll Abhilfe schaffen.
- Der Bundesrat befürwortet diese Lösung, doch sollen Angehörige sich trotzdem gegen eine Spende aussprechen können.
Am 25. November hat der Bundesrat dem Parlament einen Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» unterbreitet. Die Regierung befürwortet die Widerspruchslösung, doch sollen die Angehörigen des Verstorbenen sich gegen die Organentnahme aussprechen können, wenn dies der vermutete Wille des Patienten ist. Wenn der Gegenvorschlag im Parlament, das a priori positiv eingestellt ist, angenommen wird, könnten die Initianten den ursprünglichen Vorschlag zurückziehen. Dann gibt es auch keine Volksabstimmung.
Warum dies Aufmerksamkeit verdient. Der Mangel an Organspenden in der Schweiz kostet Menschenleben. Patienten, die zwischen Juli und September 2020 in der Schweiz ein Herz erhielten, mussten durchschnittlich rund 250 Tagedurchhalten. Diejenigen, die auf eine Niere warteten, mehr als dreieinhalb Jahre. Im Jahr 2019 starben 46 Menschen beim Warten auf ein Organ. Und paradoxerweise befürwortet zwar die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung die Organspende, doch wenn sich diese schwierige und seltene Möglichkeit dann ergibt, kommt es nur in den wenigsten Fällen zu einer Entnahme.
Der Kontext. Die Organspende basiert auf der ausdrücklichen Zustimmung des Spenders. Sie ist nur möglich, wenn die betroffene Person vor ihrem Tod eingewilligt hat. Andernfalls liegt die Entscheidung bei den Angehörigen des Verstorbenen.
Swisstransplant hat aber festgestellt, dass mehr als die Hälfte der Angehörigen den Wunsch des Verstorbenen nicht kennt. Die Stiftung sieht darin einen gravierenden Nachteil, da nur in 40 Prozent der Fälle zugunsten der Spende entschieden wird.
Was die Volksinitiative fordert. Im Oktober 2017 lanciert die Jeune Chambre Internationale (JCI) der Riviera, eine gemeinnützige NGO, die Volksinitiative mit dem Titel «Organspende fördern – Leben retten». Der Text der Initiative sieht vor, den Entscheidungsprozess für Organspenden auf Ebene der Bundesverfassung anzupassen:
«Die Spende von Organen, Geweben und Zellen einer verstorbenen Person zum Zweck der Transplantation beruht auf dem Grundsatz der vermuteten Zustimmung, es sei denn, die betreffende Person hat zu Lebzeiten ihre Ablehnung geäussert.»
Mit anderen Worten: Jede Person über 16 Jahre, die vor ihrem Tod nicht ausdrücklich ihren Wunsch geäussert hat, würde automatisch zum Organspender werden, sofern die Bedingungen erfüllt sind. Eine Organspende kann generell nur im Krankenhaus und nur dann durchgeführt werden, wenn der Patient aufgrund einer Hirnverletzung oder eines Kreislaufversagens hirntot ist.
Die Initiative kam mit mehr als 145 000 Unterschriften erfolgreich zustande und wurde 2019 eingereicht.
Die Position des Bundesrates. Um die Wartezeiten für Transplantationen zu verkürzen, befürwortet die Regierung das Prinzip der vermuteten Zustimmung, respektive der Widerspruchslösung. Sie möchte jedoch die Angehörigen in die Entscheidung einbeziehen, was im ursprünglichen Text nicht vorgesehen ist.
Die Änderung würde nicht in der Bundesverfassung, sondern im Transplantationsgesetz verankert und sieht vor, dass «[Angehörige] eine Organspende stets ablehnen können, wenn dies dem Willen der verstorbenen Person entspricht». Der Vorschlag zur Änderung des Gesetzes wurde dem Parlament vorgelegt.
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Die Reaktion der Initianten. In einem Positionspapier, das im Rahmen der Vernehmlassung zum Gegenvorschlag herausgegeben wurde, zeigt sich das Initiativkomitee zufrieden, dass der Text des Bundesrates mit der Initiative im Einklang steht: «Es ist wirklich Zeit, einen Schritt weiter zu gehen und in der Schweiz zur Widerspruchslösung überzugehen».
Sie schlagen jedoch mehrere Änderungen des Textes vor: Angehörige sollen sich nur dann äussern dürfen, wenn kein Eintrag im Organspenderegister oder Spenderausweis vorhanden ist und wenn sie davon überzeugt sind, dass der Verstorbene nicht als Spender auftreten wollte.
Auf die Frage der Tribune de Genève vom 25. November sagte Julien Cattin, Präsident des Initiativkomitees, es sei noch zu früh, um über einen Rückzug der Initiative zu sprechen:
«Wir sind gespannt, wie die Kammern über dieses indirekte Gegenprojekt entscheiden werden. Aber wir rechnen mit der Zustimmung der Parlamentarier.»
Unterstützung in der Bevölkerung. Die Unterstützung seitens der Bevölkerung ist gross. Gemäss einer von Swisstransplant in Auftrag gegebenen Studie sprechen sich drei Viertel der Stimmberechtigten für ein System der vermuteten Zustimmung aus.
Die Position von Swisstransplant. Franz Immer, Direktor von Swisstransplant, erläutert die Position von Swisstransplant, die das Prinzip der eidgenössischen Volksinitiative befürwortet:
«Wenn der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrates angenommen wird, sind wir für den Gegenvorschlag. Und wenn die Punkte, die für die Initiatoren wichtig sind, anerkannt werden, was der Fall zu sein scheint, werden wir meiner Meinung nach eine Abstimmung vermeiden können.
Doch wir möchten ein «Ja/Nein»-Register hinzufügen und nicht ein Register haben, in dem sich nur Personen melden, die gegen eine Spende sind wie es im Text des Bundesrates vorgesehen ist. Es ist wichtig, dass auch ein «Ja» in ein Register eingetragen werden kann. Ziel ist, dass die Menschen ihre Meinung äussern können.»
Im Frühjahr sagte Franz Immer zu Heidi.news:
«Jeden zu ermutigen, seine Entscheidung zum Ausdruck zu bringen, wird trauernden Angehörigen Erleichterung bringen. Letztlich würde dieses Gegenprojekt zu einer Erhöhung der Zahl der Spender führen. Sie könnte sich verdoppeln, wenn man weiss, dass etwa 80 Prozent der Bevölkerung die Organspende befürwortet. Aber es ist immer noch sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eine Prognose zu stellen.»