Das musst du wissen

  • Bei Veranstaltungen der Corona-Skeptiker treten auch Ärzte auf.
  • Ein Blick auf einen Verein von skeptischen Ärzten zeigt: Viele von ihnen stehen alternativen Heilmethoden nahe.
  • In ihren Dokumenten fehlen wissenschaftliche Quellen weitgehend.
Den Text vorlesen lassen:

Die Meldung war irreführend – verbreitet hat sie sich aber wie ein Lauffeuer: «Geimpfte Person stirbt» schrieben verschiedene Medien. Es war am Tag vor Silvester. Und den Corona-Skeptikern und Impfgegnern war ein Coup gelungen, der medialen Beachtung folgte eine allgemeine Verunsicherung. Aber wie die spätere Analyse zeigte, gab es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Todesfall. Hinter der Meldung steckte ein Luzerner Hausarzt, der die Information über den Tod eines über 90-jährigen Mannes aus Ebikon an Impfgegner weitergab, noch bevor er die zuständigen Behörden informierte. Der Arzt heisst Andreas Heisler. Und er ist schon verschiedentlich als massnahmenskeptischer Arzt aufgefallen und als Redner bei Demonstrationen der Corona-Skeptiker aufgetreten. Von diesem Vorgehen distanziert sich Aldo Kramis, Co-Präsident der Ärztegesellschaft Luzern und betont: «Der Todesfall hatte nichts mit der Impfung zu tun, der Patient ist an Nierenproblemen gestorben.»

Andreas Heisler ist nicht der einzige. Immer wieder befeuern Ärzte die Thesen von Corona-Skeptikern. Während die Gruppe «Ärzte mit Blick aufs Ganze» (Ambag) um den St. Galler Infektiologen Pietro Vernazza nur lose organisiert ist, haben sich einige der umtriebigsten skeptischen Ärzte in einem Verein zusammengetan. Er trägt den Namen «Aletheia», nach der griechischen Göttin der «enthüllten Wahrheit». Die Gründer sehen sich als Pendant zu deutschen Vereinen wie jenem der «Ärzte für Aufklärung». Wer sind diese Ärzte von Aletheia? Und worauf stützen sie sich?

Konflikte mit Behörden

Die Positionen des Vereins decken sich weitgehend mit jenen der Corona-Skeptiker: Hinterfragt wird die Maskenpflicht, der Covid-19-Impfstoff, die restriktiven Lockdown-Massnahmen, der PCR-Test, die Übersterblichkeit, die Gefährlichkeit des Virus. In diesem Text soll es aber nicht um die Thesen der Corona-Skeptiker gehen, denn diese sind unzählige Male widerlegt worden – auch auf higgs. Es geht darum zu zeigen, wie der Verein Wissenschaftlichkeit vorgaukelt, ohne kaum je wissenschaftliche Quellen zu nennen. Es geht darum, wie Ärztinnen und Ärzte bewusst oder unbewusst zu Wegweisern in verschwörungstheoretische Milieus werden können.

Schon der Name des Schweizer Vereins suggeriert, es gäbe eine versteckte Wahrheit, die enthüllt werden müsse. Rund 100 Ärzte sind Unterstützer des Vereins, um die 20 sind in der Bewegung der Corona-Skeptiker oder als Impfgegner aktiv. Hinzu kommen noch einige hundert Unterstützer aus anderen Berufsgruppen. Organisiert ist Aletheia als Vorstandsverein, das heisst im eigenen Wortlaut, dass er keine Mitglieder, sondern Unterstützer hat. Diese können sich auf der Webseite eintragen. Die aktiven Unterstützer arbeiten ehrenamtlich.

«Das Ziel des Vereins ist, dass auch andere Meinungen berücksichtigt werden», sagt Andreas Heisler im Gespräch mit higgs. Der im Umgang freundliche Arzt bezeichnet sich selbst gegenüber dem News-Portal nau nicht als Corona-Skeptiker, sondern als gewöhnlicher Schulmediziner, der dem Wohl seiner Patienten verpflichtet sei. «Darum bin ich Skeptiker der unverhältnismässigen Massnahmen, die ihnen schaden.»

Auf seiner Webseite schreibt der Verein, man sehe sich als offenes Netzwerk für alle Interessierten, denen ein wissenschaftlicher, offener Diskurs unter Einbezug unterschiedlicher Meinungen wichtig sei. «Wir engagieren uns für eine ehrliche Wissenschaft und für transparente Information – nicht nur für die eigenen Patienten – sondern für die gesamte Schweizer Bevölkerung.» Der Verein lehnt «eine angstverbreitende Informationspolitik» ab. Und schreibt unter «Beiträge» weiter: «Wir stellen Ihnen an dieser Stelle auch fundierte, von medizinisch-wissenschaftlichen Fachpersonen geprüfte Informationen und Links zur Verfügung, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich umfassend zu informieren und sich eine eigene Meinung zu bilden.»

Tönt gut. Nur tut der Verein genau das Gegenteil: Wer auf diese Beitragssammlung klickt, findet neben Beiträgen des Komikers Marco Rima und Kampagnenwerbung zur Impfstopp-Initiative zum Beispiel ein Video des bekannten Schweizer Corona-Skeptikers Patrick Jetzer. Gepostet am 28. Dezember. Jetzer organisierte verschiedentlich Corona-Demonstrationen, was dem Chemielaboranten die Kündigung seines Arbeitgebers Pfizer einbrachte. In dem Video warnt er, bei der Corona-Impfung handle es sich um eine «Gentherapie». Was aus wissenschaftlicher Sicht Unfug ist.

Heisler stand bereits im Fokus, bevor er das Gerücht verbreitet hat, der Tod des hochbetagten Luzerners sei die Folge der Covid-19-Imfpung. Er stellte Maskendispense aus, ohne die Patienten je gesehen zu haben. Darum läuft gegen ihn ein Aufsichtsverfahren der Gesundheitsdirektion des Kantons Luzern. Heisler ist einer von drei Ärzten, die den Verein unterstützen und bisher mit den Behörden in Konflikt geraten sind. Dazu gehört Rainer Schregel aus dem Kanton St. Gallen, der einer Redaktorin des St. Galler Tagblatts nach einem kritischen Artikel auf Facebook schrieb: «Joseph Goebbels hätte Sie als ‹mein kleines Mädchen› bezeichnet.» Oder der Kardiologe Thomas Binder, der sowohl die Corona-Pandemie als auch den menschgemachten Klimawandel und 9/11 als «Hoax» bezeichnet.

Kein Druck auf Hausärzte

Der Kopf von Aletheia, Andreas Heisler, ist Hausarzt in Ebikon. In seiner Praxis bietet er nebst klassischer Behandlung auch «schamanische Heilarbeit» an – die er freilich nicht selber durchführt. Mit der Akzeptanz von alternativen Methoden ist er im Verein nicht allein, wie eine Analyse von higgs zeigt. Von 94 Unterstützern des Vereins, die sich als «Mediziner» bezeichnen, sind 40 alternativen Methoden wie Homöopathie, Anthroposophie oder Naturheilpraxis zugeneigt – oder praktizieren diese selbst. Auf der Webseite des Vereins sind unter den «Gesundheitsfachpersonen», die sich als Unterstützer eingetragen haben, mindestens weitere 50 Homöopathinnen und Heilpraktiker zu finden.

Neben der Schlagseite nach alternativen Heilmethoden hin, fällt auf, dass über die Hälfte der Mediziner Hausärzte sind. «Ärzte sollen wieder in Ruhe denken können und sollen Kritik anbringen dürfen», sagt Andreas Heisler. Ein anderer Arzt beklagt sich im Namen des Vereins in einem Brief an die Direktorin des Bundesamts für Gesundheit, Anne Lévy, die Kantonsärzte übten Druck auf die Hausärzte aus, was sie ihren Patienten in Sachen Covid-19 zu sagen und zu machen hätten.

Dieser Darstellung widerspricht Philippe Luchsinger, Präsident des Verbands Haus- und Kinderärzte Schweiz: «Es findet überhaupt keine Bevormundung der Hausärzte statt», sagt er. Und weiter: «Die Taskforce arbeitete am Anfang tatsächlich lange praktisch ohne Hausärzte, gerade eine Person war in dem Gremium. Das hat sich nun aber geändert.» Heute, so Luchsinger, leiste die Taskforce sehr gute Arbeit. Anweisungen von oben, dass man zum Beispiel die Corona-Impfung anpreisen solle, gebe es nicht. «Der Arzt muss einfach Verantwortung übernehmen, er muss es mit gutem Gewissen machen, das ist auch sein Recht», erklärt Luchsinger. Bezüglich mRNA-Impfung kommentiert er: «Wer behauptet, das sei eine Gentherapie, hat einfach das System nicht verstanden. Es wurde x-mal dargelegt, dass das nichts mit Gentherapie zu tun hat, es wird nichts in unser Erbgut eingeschleust.»

Bezüglich der Vereinigung Aletheia macht sich der Arzt aber keine Sorgen. «Das sind Einzelpersonen. Kein Vergleich zu unserem Verein mit 4700 Mitgliedern oder dem Dachverband der Schweizer Ärzte FMH mit 42 000 Mitgliedern.»

Im Vergleich zu dem Branchenverband FMH ist der Verein Aletheia tatsächlich ein Zwerg. Und doch wollte sich bei der FMH auf Anfrage niemand zu den Theorien des Zwergs äussern. Die Vereinigung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte verwies auf Anfrage von higgs lediglich auf ihre eigenen Empfehlungen, in denen sie die Massnahmen des Bundes vollumfänglich unterstützt.

Links in verschwörungstheoretische Tiefen

Doch auch wenn die rund 100 Mediziner von Aletheia nur einige wenige sind, ist die Rolle, die der Verein und die dazugehörige Webseite einnehmen, problematisch. Denn während in Beiträgen auf der Webseite von «Staatswissenschaftlern» und von «Main-Stream-Medien» die Rede ist, beruft sich der Verein selber auf höchst dubiose Quellen. Wissenschaftliche Quellen kommen kaum vor. Unter den Links, die der Verein den Besuchern seiner Webseite «ans Herz legt», ist stattdessen das gesamte Repertoire der Schweizer Corona-Skeptiker vertreten. Die Quellensammlung reicht sogar bis zu Rubikon.news, einem Webportal, das verschwörungstheoretische Artikel publiziert und Ken Jebsen nahe steht, dem Betreiber des mittlerweile stillgelegten Youtube-Kanals KenFM.

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Die Quellen des Vereins Aletheia reichen aber noch weiter in verschwörungstheoretische Untiefen: In einer Quellensammlung, die einem Brief an die Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier von August angehängt ist, wird sogar ein Artikel von «Breitbart» empfohlen, dem rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Kanal von Steve Bannon, der zeitweise Donald Trumps Chefstratege im Weissen Haus war. Unterzeichnet ist dieses Schreiben von acht Ärztinnen und Ärzten, zwei Naturwissenschaftlern und einem Chiropraktiker. Das sind keineswegs harmlose, lediglich massnahmenkritische Quellen, sondern Links, die in die Abgründe der harten Verschwörungstheorien führen. «Quellen wie Breitbart und rubikon.news zeigen für mich lediglich die andere Meinung», sagt Anreas Heisler im Gespräch mit higgs. «Das ist auch nicht die reine Wahrheit, das ist klar, wie auch die sogenannten etablierten Medien nicht die reine Wahrheit schreiben.» Dass man den Rückgriff auf diese Quelle kritisiert, versteht Heisler.

Doch auch die Rhetorik des Vereins trägt verschwörungstheoretisches Gedankengut in sich. In dem Brief an die Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier taucht das ganze Argumentarium der Verschwörungstheoretiker auf. Nicht nur wird die Zuverlässigkeit des PCR-Tests und die Sicherheit der Impfung hinterfragt. Es ist auch von profitierender Pharma die Rede, von absichtlicher Panikmache, von Bill Gates als Hintermann. Selbst vor Nazi-Vergleichen schreckt die Autorenschaft nicht zurück: «Die staatstreuen Medien berichten wie ein Propaganda-Ministerium, alle kritischen Stimmen werden ausgegrenzt. Dieses unglaubliche Phänomen in der Schweiz erinnert erschreckend an die Zeiten vor dem 2. Weltkrieg», steht da. Und weiter: «Heisst es bald: Masken, Impfung und App machen frei?»

Was auf den von Aletheia publizierten Dokumenten hingegen kaum vorhanden ist, sind in anerkannten Wissenschaftsjournalen publizierte Fachartikel. Andreas Heisler erklärt das im Gespräch mit higgs damit, dass sich der Verein an Ärzte richte und die Wissenschaftlichkeit innerhalb der Ärzteschaft fördern wolle. Ausführlicher will sich der Arzt im Moment nicht zum Verein äussern.

Dafür findet sich auf der Webseite ein «sensationelles Werk einer schweizerisch-deutsch-österreichischen Expertengruppe», das beweisen soll, dass im Jahr 2020 in Wahrheit gar keine Übersterblichkeit existiert habe – die verfügbaren Zahlen zeigen etwas anderes. Wissenschaftliche Referenzen enthält der Bericht keine und die Autorenschaft des Papiers ist nicht namentlich erwähnt. Transparenz und «ehrliche Wissenschaft» sehen anders aus.

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