Das musst du wissen

  • Das Schweizer Stimmvolk wählt dieses Wochenende seine Volksvertreter in den National- und Ständerat.
  • Die Gewählten werden in den nächsten vier Jahren die Politik des Landes prägen – die betrifft auch die Wissenschaft.
  • Drei Forschende äussern sich zu Herausforderungen, bei denen sowohl Politik als auch Wissenschaft gefragt sind.

Effy Vayena, Professorin für Bioethik an der ETH Zürich

Dank neuer Technologien gibt es so viele Daten über Menschen wie noch nie. Was bedeutet das für die medizinische Forschung?

Es gibt zwar sehr viele gesundheitsrelevante Daten, sie sind aber sehr verstreut. Neben der Krankenakte gibt es auch solche, die von Smartphone-Apps und Fitness-Trackern gesammelt werden. Die Forschung könnte davon profitieren, kann aber in der Regel nicht darauf zugreifen.

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«Smartphone-Daten können uns helfen, Krankheiten wie Diabetes oder Depression besser zu verstehen.»

Den Menschen ist ihre Privatsphäre wichtig.

Wir haben ein Privatsphären-Paradox. Wir gehen ziemlich sorglos mit unseren Daten um. Die meisten von uns haben Apps auf dem Smartphone und stellen ihre Daten Konzernen zur Verfügung, die sie für ihre eigenen Zwecke verwenden. Wenn es aber darum geht, Gesundheitsdaten der Forschung zur Verfügung zu stellen, werden wir misstrauisch. Da braucht es ein Umdenken.

«Wir haben ein Privatsphären-Paradox»Effy Vayena, Professorin für Bioethik

Was hätte ich davon, meine Smartphone-Daten mit der Forschung zu teilen?

Smartphone-Daten können Hinweise auf unsere Gesundheit liefern. Besonders, wenn sie mit klinischen Daten verbunden werden. Der Zugang zu diesen kombinierten Datensätzen ist wichtig für die Forschung, um Krankheiten wie Diabetes oder Depression besser zu verstehen. Von diesem neuen Wissen können Patienten direkt profitieren.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Was ich vermisse, ist der Dialog mit der Öffentlichkeit. Politiker sollten auf die Bedenken der Bevölkerung eingehen, aber auch über die gemeinsamen Ziele sprechen: Wie wollen wir die Forschung und den Fortschritt in der Schweiz voranbringen?

Horst-Michael Prasser, Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich

Können wir die Klimakrise ohne Atomstrom bewältigen?

Nein, an der Kernenergie führt global kein Weg vorbei. Sie kann umweltschonend einen grossen Anteil der Grundlast bei der Stromversorgung tragen, das ist ihre grosse Stärke. Pro erzeugter Kilowattstunde entsteht ähnlich wenig CO₂ wie bei Wasserkraft und Windenergie.

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«An der Kernenergie führt kein Weg vorbei, wenn die Klimakrise gelöst werden soll.»

Das Risiko einer Kernschmelze ist doch einfach zu gross.

Beim Gedanken Tschernobyl und Fukushima überkommt viele ein mulmiges Gefühl. Das verstehe ich. Aber die Sicherheit von Kernkraftwerken, auch der Altanlagen, wird laufend verbessert. Man muss sich bewusst sein: Keine Technologie ist ohne Risiko. Was vielen aber fehlt, ist ein Gefühl für die Risiken einer einseitig auf Erneuerbare ausgerichteten Energiestrategie.

«An der Kernenergie führt global kein Weg vorbei»Horst-Michael Prasser, Professor für Kernenergiesysteme

Wie meinen Sie das?

Nach meiner Einschätzung können erneuerbare Energien nicht die Gesamtlast des Stromverbrauchs tragen. Das Problem der Energiespeicherung wird massiv unterschätzt, auch weil neue Umweltprobleme auftreten werden. Wie zum Beispiel die Rohstoffgewinnung für Batterien.

Es gibt ein weiteres Problem: den Atommüll.

Für die Endlagerung der atomaren Abfälle zeichnet sich eine gute Lösung ab. Das Gestein, in dem das Schweizer Tiefenlager entstehen soll, bindet die gefährlichsten Bestandteile dauerhaft an sich, damit sie zerfallen, bevor sie das Ökosystem erreichen. Auch hier wird oft nicht rational argumentiert: Tiefenlager für andere chemische Abfälle, die giftig sind, sind gesellschaftlich schon längst akzeptiert, obwohl diese Giftstoffe nicht mit der Zeit zerfallen.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Eine ergebnisoffene, wissenschaftliche Diskussion. Ich habe den Eindruck, wenn es um die Kernkraft geht, wird zu oft nur politisch argumentiert – viele Fakten bleiben auf der Strecke.

Bruno Studer, Professor für molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich

Welche Chancen bietet das Genome-Editing, der zielgerichteten Veränderung der DNA von Pflanzen?

Es eröffnet Möglichkeiten, Innovationen in der Pflanzenzüchtung hervorbringen, neue Eigenschaften schneller ins Feld zu bringen und somit einen Beitrag zu nachhaltiger Nahrungsmittelproduktion zu leisten. Genome-Editing ist besonders interessant für Kulturpflanzen, welche züchterisch besonders schwierig zu bearbeiten sind.

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«Die Diskussion um Genome Editing muss von Fakten, nicht von Angst geprägt werden.»

Kritiker warnen vor den Gefahren der Gentechnik und sagen, wir sollen nicht Gott spielen.

Auf diese Aussage passt keine naturwissenschaftliche Darstellung. Wissenschaftlich würde ich antworten, dass seit 23 Jahren auf mittlerweile rund 191,7 Millionen Hektar in über 26 Ländern von 17 Millionen Landwirten gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Von den geäusserten Gefahrenszenarien, welche spezifisch der Gentechnik zuzuordnen sind, hat sich keines bewahrheitet.

In der Schweiz ist noch bis 2021 der Anbau von Gentech-Pflanzen verboten. Was passiert, wenn das Parlament das Moratorium verlängert?

Längerfristig werden wir – verglichen mit anderen Ländern – nicht dieselben Möglichkeiten und Werkzeuge zur Verfügung haben, um die grossen Herausforderungen in der Land- und Ernährungswirtschaft anzugehen. Eine Strategie, welche wir uns angesichts der Klimaveränderungen und dem wachsenden gesellschaftlichen Druck zum reduzierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gut überlegen sollten.

Wie sollte die Gentechnik in der Schweiz Ihres Erachtens reguliert werden?

Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen müssen im Dialog mit allen Beteiligten gestaltet werden. Wichtig ist, dass die Regulierung an den Fortschritt der Technik angepasst wird und sowohl Chancen als auch Risiken gleichermassen berücksichtigt.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Dass nicht Angst, sondern Fakten die Grundlage für den Umgang mit neuen Züchtungsverfahren und Genome-Editing bilden. Zudem wünsche ich der Politik den Mut, auch solche kontrovers diskutierten Themen aufzugreifen und im Sinne der Nachhaltigkeit umzusetzen. Wie schnell sich die Stimmung zugunsten wissenschaftlich fundierten Fakten ändern kann, zeigt die aktuelle «Fridays for Future»-Bewegung eindrücklich.

Das wünschen sich Forschende von der Politik

Anlässlich der Parlamentswahlen hat higgs mit einer Online-Umfrage den Puls der Wissenschafts-Community gefühlt. Mehr als 70 Forschende haben an der Umfrage, die wir an Schweizer Hochschulen und Universitäten geschickt haben, teilgenommen. Dabei haben sich einige Themen herauskristallisiert.

Wie im gesellschaftlichen Diskurs dominiert auch bei den Wissenschaftlern ein Thema: die Umwelt. Bei der Frage, was die drängendsten Themen sind, für die es eine Lösung braucht, wurde keines so oft genannt wie die Klimakrise.

Was vielen Forschenden ebenfalls am Herzen liegt: Dass die Forschung nicht zu abhängig wird von wirtschaftlichen Interessen. «Das Ziel sollte nicht möglichst hoher Profit sein, sondern eine gesunde Bevölkerung», schreibt ein Teilnehmer. Er wünscht sich «mehr Gelder für pharmaunabhängige Forschung mit dem Ziel, Probleme bei der Ursache zu bekämpfen.»

Immer wenn sich die Schweiz und die EU in die Haare kriegen, kann das auch die Wissenschaft treffen. Nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitative stand etwa eine Teilnahme des EU-Forschungsprogramms «Horizon 2020» auf der Kippe. Zurzeit gilt die Schweiz in dem Programm als Drittstaat, was die Teilnahme an internationalen Forschungsprojekten in Zukunft gefährden könnte.

Mehrere Umfrageteilnehmer wünschen sich deshalb, dass sich die Politik um gute Beziehungen mit der EU bemüht. Damit Schweizer Forschende an möglichst vielen internationalen Projekten mitmachen und EU-Fördergelder erhalten können.

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